Ende Oktober 2022 kam es in der Bundesallee zu einem Unfall mit einem Lkw, an dessen Folgen eine Radfahrerin starb. Das sogenannte weiße Geisterrad erinnert an die 44-Jährige.
Ende Oktober 2022 kam es in der Bundesallee zu einem Unfall mit einem Lkw, an dessen Folgen eine Radfahrerin starb. Das sogenannte weiße Geisterrad erinnert an die 44-Jährige. Zinken/dpa

Diese Zahl ist erschreckend: 470 Radfahrer starben deutschlandweit im vergangenen Jahr im Straßenverkehr. Laut TÜV verunglücken in Berlin und Deutschland immer mehr Menschen mit Fahrrad und E-Scooter. Deutschlandweit stieg die Zahl der Fahrradunfälle um 16 Prozent auf fast 97.700 und der E-Scooter-Unfälle mit Personenschaden um 49 Prozent auf 8260. Der TÜV fordert jetzt den Ausbau der Radinfrastruktur – und mehr Kontrollen durch die Polizei. Denn viele Rad- und E-Roller-Fahrer halten sich nicht an Verkehrsregeln.

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Laut Daten des Statistischen Bundesamtes sind im Jahr 2022 in Deutschland 97.664 Fahrradfahrer verunglückt. Das sind rund 13.500 oder 16 Prozent mehr als im Vorjahr. 470 Fahrradfahrer kamen ums Leben (plus 26 Prozent) und 15.925 wurden schwer verletzt. Einen noch stärkeren Anstieg gab es bei E-Scooter-Unfällen mit Personenschaden. Die Statistikbehörde verzeichnete hier 8260 Unfälle (plus 49 Prozent). Zehn E-Scooter-Fahrer wurden getötet, 1090 schwer verletzt.

Fahrräder sind eine größere Gefahr für Fußgänger als E-Scooter

Ähnlich sieht es in Berlin aus. Die Zahl der Fahrradunfälle stieg innerhalb eines Jahres von 6683 auf 7450, im Jahr 2022 starben zehn Radfahrer im Straßenverkehr. E-Scooter spielen eine immer größere Rolle in der Berliner Unfallstatistik. 1144 Unfälle mit 700 Leicht- und 123 Schwerverletzten hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert, nach 813 im Jahr 2021 und 320 im Jahr 2020. 

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E-Roller-Nutzer fahren besonders gefährlich: Ein Verkehrsforscherteam vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt fand heraus, dass mit dem E-Scooter das Unfallrisiko im Vergleich zum Fahrrad doppelt so hoch ist.

Aber: Fahrräder sind den offiziellen Zahlen zufolge eine größere Gefahr für Fußgänger als E-Scooter. Im vergangenen Jahr nahm die Berliner Polizei insgesamt 413 Kollisionen zwischen Fußgängern und Fahrrädern auf, das sind 76 mehr als im Jahr davor.

Mit Pedelecs, elektrisch verstärkten Fahrrädern, ist man viel schneller unterwegs, aber auch die Unfallgefahr steigt.
Mit Pedelecs, elektrisch verstärkten Fahrrädern, ist man viel schneller unterwegs, aber auch die Unfallgefahr steigt. Scheurer/dpa

98 Zusammenstöße ereigneten sich auf Gehwegen. Ein Fußgänger wurde getötet. 32 Fußgänger trugen schwere, 262 leichte Verletzungen durch Fahrräder davon. Interessant: An den meisten Kollisionen waren die Fußgänger schuld. In 44 Prozent der Fälle waren die Radfahrer die Hauptverursacher, so die Polizei.

Übrigens: Ein Fußgänger kam im Januar 2022 in Berlin-Marienfelde (Waldsassener Straße) bei einem Zusammenprall mit einem Skateboard-Fahrer ums Leben. Dieser Unfall taucht laut Verkehrsklub VCD nicht in der offiziellen Unfallstatistik auf, da er nicht auf öffentlichem Straßenland geschah. Der Skateboard-Fahrer beging Unfallflucht.

In Reinickendorf fährt Pedelec-Fahrer einen Polizisten um

Besonders besorgniserregend sind aus Sicht des TÜV-Verbands die stark steigenden Unfallzahlen mit Pedelecs. So waren von den 470 im Jahr 2022 tödlich verunglückten Radfahrern 206 mit einem Pedelec unterwegs. Das entspricht einem Anteil von 44 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der getöteten Pedelec-Fahrer um 57 Prozent angestiegen.

Erst im Januar machte ein Fall aus Berlin-Reinickendorf Schlagzeilen. Hier wurde bei einer Radarkontrolle ein Pedelec-Fahrer mit 70  km/h (!) geblitzt, erlaubt waren 50 km/h. Als Polizisten den 33-Jährigen stoppen wollten, rammte der Raser einen Beamten und verletzte diesen an Bein, Hüfte und Schulter. Das wahrscheinlich frisierte Pedelec wurde sichergestellt, der Fahrer wegen fahrlässiger Köperverletzung und Fahrens ohne Führerschein angezeigt.  

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Der Reinickendorfer Raser ist sicher ein Einzelfall. Der aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, das eines wichtig ist: Die Infrastruktur in den Städten muss dringend ausgebaut werden, um Zweiradfahrer besser zu schützen. „Räder und E-Scooter brauchen für mehr Sicherheit mehr Straßenfläche“, sagt Marc-Philipp Waschke, Experte für Verkehrssicherheit beim TÜV-Verband.

Eine wichtige Voraussetzung dafür sei die angekündigte Reform des Straßenverkehrsrechts in Deutschland. Waschke: „Die Kommunen brauchen mehr eigene Zuständigkeiten und Kompetenzen, um den Straßenverkehr zu entflechten, bei Bedarf zu verlangsamen und ein flüssiges und sicheres Nebeneinander verschiedener Fortbewegungsformen zu ermöglichen.“

Durchgängige Radverkehrsnetze in Ballungszentren und Radschnellwege im ländlichen Raum könnten mehr direkte Verbindungen schaffen und somit einen sicheren Radverkehr fördern. Auch ausreichend gute und sichere Abstellanlagen seien vielerorts Mangelware. Verbesserungen kämen letztlich auch dem Fußverkehr zugute. Und von einer besseren Fahrradinfrastruktur profitieren auch E-Scooter-Fahrer, da sie Radwege benutzen müssen. „Bei der Mobilitätswende im urbanen Raum haben E-Sooter ihren festen Platz“, sagt Waschke.

Experten: Viele Rad- und E-Scooter-Fahrer halten sich nicht an die Verkehrsregeln

Das Verbot von E-Scooter-Angeboten in Städten wie jetzt in Paris sei die falsche Antwort auf die steigende Beliebtheit dieser Fahrzeuge, erklärt der TÜV-Verkehrsexperte. Mehr Akzeptanz und Vertrauen würden europaweit einheitliche Vorschriften schaffen, die grundlegende Anforderungen an die technische Sicherheit und die jeweiligen Straßenverkehrsordnungen in den EU-Mitgliedstaaten stellen.

Gleichzeitig fordert der TÜV-Verband die Einhaltung und Überwachung der Verkehrsregeln im Zweiradverkehr. „Nicht wenige Radfahrende halten sich nicht an grundlegende Verkehrsregeln, überfahren Ampeln bei Rot oder fahren mit hoher Geschwindigkeit auf Gehwegen und gefährden damit Zufußgehende“, sagt Waschke.

Man sieht es immer wieder in Berlin: E-Scooter-Fahrer sind häufig unerlaubt auf Bürgersteigen, zu zweit oder alkoholisiert unterwegs. Im Jahr 2021 war bei fast jedem fünften Unfall mit Elektrorollern Alkohol im Spiel (18,1 Prozent).

„Die polizeiliche Verkehrsüberwachung darf angesichts des steigenden Verkaufsaufkommens nicht vernachlässigt werden“, sagt Marc-Philipp Waschke. Die personellen Kapazitäten für diesen Kernbereich der Polizeiarbeit müssten erhöht werden, um aggressives Fahrverhalten, Falschfahrten sowie Alkohol- und Drogenverstöße im Sinne der Verkehrssicherheit zu ahnden.