Rainer Eppelmann im Januar 2023. Am 12. Februar wird er 80 Jahre alt. 
Rainer Eppelmann im Januar 2023. Am 12. Februar wird er 80 Jahre alt.  epd/Scherhaufer

In der DDR war der Pfarrer Rainer Eppelmann jahrzentelang in der Opposition, bis er 1989 einer der Köpfe der Friedlichen Revolution wurde. Ein Leben gegen viele Widerstände, dem auch Angela Merkel und Joachim Gauck Respekt zollen.

Zum 80. Geburtstag am 12. Februar hat Rainer Eppelmann einen Wunsch: Er will mindestens 93 werden. „Ich war 46 Jahre alt, als die DDR aufhörte zu existieren, und ich habe ein bisschen dazu beigetragen, dass es sie Gott sei Dank nicht mehr gibt“, sagt der ehemalige Pfarrer, Bürgerrechtler, Minister und CDU-Bundestagsabgeordnete. „Wenn ich 93 Jahre alt bin, kann ich auf dem Hintergrund meines Lebens meiner Frau erzählen: „Schatz, jetzt lebe ich ein Jahr länger in der Demokratie, als ich vorher in der Diktatur leben musste.“

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Den Satz sagt Eppelmann gegen Ende eines langen Gesprächs über seine 80 Jahre in diesem erst geteilten und dann vereinten Deutschland. Es ist ein Leben gegen viele Widerstände in der DDR, mit Haft, Verrat und Mordanschlägen, das ihn 1989 sehr unverhofft mitten in die Friedliche Revolution und in politische Verantwortung brachte. Eppelmann weiß, dass nicht alles perfekt lief. „Wir haben auch Fehler gemacht, wir sind ja keine Götter“, sagt der heutige Vorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Doch ist er sich sicher: „Das war eine anständige Leistung.“

Für den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck ist Eppelmann ein „friedlicher Unruhestifter“

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das ähnlich. Die beiden verbindet seit der gemeinsamen Zeit beim Demokratischen Aufbruch in der DDR – er als Vorsitzender, sie als Pressesprecherin – 1990 eine Beinahe-Freundschaft und jedenfalls großer Respekt. „Rainer Eppelmann hat das Herz auf dem rechten Fleck“, schreibt Merkel auf dpa-Anfrage. „Er hat ein untrügliches Gespür für Gerechtigkeit.“ Die Verfolgung durch den SED-Staat habe ihn nicht verbittert. Vielmehr sei Eppelmann ein Mensch, der mit gutem Mut und Gottvertrauen Probleme zu lösen versuche. „Darin wie in seiner zupackenden Art hat er mich häufig inspiriert“, schreibt Merkel.

Rainer Eppelmann im Jahre 1991: Am ersten Tag, als in der Gauck-Behörde in Berlin Stasi-Akten eingesehen werden konnten.
Rainer Eppelmann im Jahre 1991: Am ersten Tag, als in der Gauck-Behörde in Berlin Stasi-Akten eingesehen werden konnten. Imago/Konnerth

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck nennt Eppelmann einen „friedlichen Unruhestifter“ und schreibt auf Anfrage: „Rainer Eppelmann ist einer der seltenen Menschen, die selbst in der Diktatur erkannten, eine Wahl zu haben. Als die meisten Menschen in der Anpassung verharrten, stand er stets für seine Überzeugungen ein, selbst wenn das bedeuten konnte, ins Gefängnis gehen zu müssen.“ Eppelmanns großes Verdienst sei, Menschen zu ermutigen und darin zu bestärken, ihre Angst abzulegen und als freie Menschen zu handeln.

Weil er nicht linientreu war: Maurerlehre statt Abitur

Eppelmann wurde am 12. Februar 1943 in Berlin geboren als ältestes von vier Kindern einer Schneiderin und eines Zimmermanns. Sein Vater, das entdeckte Eppelmann Jahrzehnte später, arbeitete zeitweise als SS-Mann im NS-Konzentrationslager Buchenwald. Nicht nur deswegen nennt ihn Eppelmann nur seinen „Erzeuger“. Er trägt seinem Vater auch nach, dass der nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 im Westen blieb und die Familie in der DDR zurückließ.

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Eppelmann selbst war zeitweise vom Ostteil Berlins zu einem Gymnasium im Westen gependelt, doch die Mauer schnitt ihn wortwörtlich vom Abi ab. Als nicht ganz linientreu schickte ihn der SED-Staat als Dachdeckergehilfen und später als Maurer auf den Bau. Die Eltern hatten ihn schon im Grundschulalter nicht zu den jungen Pionieren gelassen. Vielmehr ließen sie den Jungen, da war er schon fünf oder sechs, evangelisch taufen. Später ging er zum Konfirmandenunterricht. Lauter Gründe, in der DDR anzuecken.

Pfarrer Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch) bei der Stimmabgabe in Ost-Berlin. Am 18. März 1990 fanden nach 40 Jahren die ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR statt.
Pfarrer Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch) bei der Stimmabgabe in Ost-Berlin. Am 18. März 1990 fanden nach 40 Jahren die ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR statt. dpa/Eilmes

Der spätere Pastor konnte nach eigenen Worten mit den Geschichten von Jesus erstmal nicht viel anfangen. Erst eine Betreuerin in der Jungen Gemeinde Hohenschönhausen weckte tieferes Interesse. Eppelmann nennt sie seine „Vizemutter“. Sie war es, die ihn für die großen Fragen aufschloss: „Was soll denn einmal Inhalt deines Lebens sein?“

Eppelmann verweigerte in der DDR den Fahneneid: „Ich war jetzt ein Stinki“

Waffendienst in der Nationalen Volksarmee war für den jungen Christen nicht denkbar. Er wurde Bausoldat, das ließ die DDR zu. Nicht tolerabel fand der SED-Staat hingegen, dass Eppelmann auch den Fahneneid ablehnte. „Ich war jetzt ein Stinki“, sagt er in seinem Berlinerisch, in dem alles eine Spur niedlicher klingt. Acht Monate Militärgefängnis waren die Strafe. Der junge Mann nutzte die Zeit, um die Bibel einmal von vorne bis hinten durchzulesen. Danach stand der Entschluss, Theologie zu studieren. Da der evangelischen Kirche Pfarrer fehlten, ließ sie Seiteneinsteiger auch ohne Abitur zu.

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Für Eppelmann war das, so erzählt er es heute, zunächst eine Art intellektuelle Flucht vor der Eintönigkeit und Perspektivlosigkeit in der DDR. Erst später stellte er fest: „Das ist ja genau der richtige Beruf für dich.“ Das fanden wohl auch die jungen Menschen, die bald zu Tausenden in seine Kirche strömten.

Mit Blues in der Kirche lockte Eppelmann Tausende an

1979 bot Eppelmann dem Bluesmusiker Günter Holwas an, im Gottesdienst zu spielen. Bald wurden die „Bluesmessen“ in Friedrichshain und Lichtenberg für viele, die mit Kirche sonst nichts zu tun hatten, für ein paar Stunden zum Freiraum. Mit fein austarierter Systemkritik testeten die Massenevents die Geduld der DDR-Oberen. Die Stasi schrieb im operativen Vorgang „Blues“ eifrig mit.

Rainer Eppelmann 1999 vor einem Großfoto des Brandenburger Tores am Morgen nach der Maueröffnung. Vor diesem Foto als Hintergrund sprach Eppelmann bei einer Festveranstaltung zum 10. Jahrestag des Mauerfalls im Roten Rathaus.
Rainer Eppelmann 1999 vor einem Großfoto des Brandenburger Tores am Morgen nach der Maueröffnung. Vor diesem Foto als Hintergrund sprach Eppelmann bei einer Festveranstaltung zum 10. Jahrestag des Mauerfalls im Roten Rathaus. dpa/Settnik

Der junge Pfarrer und Familienvater traf sich mit anderen Dissidenten, mit West-Grünen und West-Journalisten, veröffentlichte Appelle, eckte weiter an – bis er „Staatsfeind Nummer eins“ war, wie er selbst sagt. Zwei Autounfälle, die tödlich hätten enden können, schreibt er der Stasi zu. Aber Eppelmann überlebte. Als 1989 die DDR wankte, waren die informellen Netze der Opposition geknüpft. Mit anderen gründete Eppelmann den Demokratischen Aufbruch und saß bald mit am Runden Tisch.

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Nach der ersten freien Volkskammerwahl vom März 1990 wurde der Pfarrer sogar Verteidigungsminister – ein Pazifist, der plötzlich vor der Aufgabe stand, die Zukunft der Nationalen Volksarmee in einem vereinten Deutschland zu entwerfen. Oppositionelle wie Bärbel Bohley nahmen ihm das schwer übel. Den Spruch „Eppelmann treibt uns in die Nato“ soll sein eigener Sohn an sein Haus gesprüht haben.

„Warum gehen die, die so laut meckern, nicht nach Saudi-Arabien?“

Es habe keine Lehrbücher gegeben, es sei auch einiges schief gelaufen, sagt Eppelmann mehr als 30 Jahre später. Aber die Frage, ob die Einheit gelungen sei, beantwortet er so: „Da wir nicht im Paradies leben, da keine menschliche Gesellschaft die Wünsche aller erfüllen kann, selbst wenn sie wollten, meine ich schon: ganz anständig, ganz anständig.“

Dass heute viele verbittert sind, enttäuscht vom Westen, vom System und von der Demokratie, dafür hat er wenig Verständnis. Er erinnert an das überwältigende Votum für eine rasche Vereinigung 1990. „Wir sind nicht erobert worden, wir haben es selbst gewollt“, sagt er. Dann bringt er einen Spruch, wie ihn altwestdeutsche Linke zu DDR-Zeiten von ihren Eltern hörten: Wenn es dir hier nicht passt, dann geh– doch nach drüben. Eppelmanns Version geht so: „Warum gehen die, die so laut meckern, nicht nach Saudi-Arabien? Da soll es goldene Badewannen und goldene Wasserhähne geben.“