Einzelhandel vor dem Lockdown: „Es herrscht blankes Entsetzen“
Ein Komplett-Lockdown rückt näher und dürfte Berlins Geschäfte schon vor Weihnachten treffen. Wie die Kaufleute reagieren

Der Senat will aufgrund des dynamischen Infektionsgeschehens rasch handeln und Berlin in einen harten Lockdown schicken. An diesem Wochenende wird bei einem Treffen der Länderchefs mit Kanzlerin Angela Merkel eine Entscheidung für einen bundesweiten Shutdown erwartet. Die Frage ist nur noch, ob vor oder nach Weihnachten alles dicht gemacht wird. Die Stimmungslage bei Berlins Einzelhändlern ist vor dem Gipfel gespalten.
„Für uns ist die erneute Schließung natürlich total schwierig“, sagen die Steffens, die in der Pankower Ossietzkystraße den Spielwarenladen Steppke betreiben. In der Vorweihnachtszeit und auch mit dem sich abzeichnenden erneuten harten Lockdown seien jetzt schon mehr Kunden im Laden, doch ein Einbruch mitten im Weihnachtsgeschäft sei hart.
Ein paar hundert Meter weiter in der Florastraße betreiben Nicole und Jule Liebing die Florentine. Mit ausgewählten Produkten für Küche, Bad und Zuhause haben sie ein Sortiment perfekt für Geschenkefinder auf den letzten Drücker. An diesem Freitagvormittag brummt der kleine Laden. Die Leute wollen jetzt, wo es noch geht, alle Einkäufe erledigen. Wie es in der nächsten Woche für sie weiter geht, wissen sie noch nicht.
Noch sind die Kunden der Buchhandlung „Buch in Wannsee“ nicht verunsichert oder aufgeregt, dass das Geschäft vor Weihnachten schließen muss. Nur Inhaberin Claudia Lutz, 53, ist verunsichert. „Da es noch keine klare Entscheidung gibt“, sagt sie. Am Freitagvormittag hatte sie vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine Mail erhalten, in der sie über die Möglichkeit des Schließens informiert wurde. „Aber ob ich telefonisch oder per Mail Bestellungen aufnehmen kann und die Ware ausliefern darf, bleibt offen. Darauf weiß auch der Börsenverein noch keine Antwort“, sagt Lutz.
Im ersten Lockdown im Frühjahr durften Buchläden weiter öffnen. „Ich bin bisher gut durch die Krise gekommen“, sagt die Buchhändlerin, die nun einen Web-Shop für den Laden plant. Auch das Weihnachtsgeschäft liefe bisher optimal. „Ich glaube nicht, dass meine Kunden im Fall einer Schließung die Bücher bei den großen Internethändlern bestellen werden“, sagt Lutz. „Wir sind hier wie in einem Dorf, wo jeder jeden kennt. Ich habe treue Kunden, die den Vorteil einer guten persönlichen Beratung schätzen.“
Daniela Herp und Felix Jaremtschuk vom Friseur Fräulein Schneider im Prenzlauer Berg haben den ersten Lockdown „mit Bauchschmerzen überstanden“ und sind der Meinung, dass sie auch diesmal durchkommen werden. „Uns ist klar, dass wegen der Infektionszahlen etwas passieren muss.“
Der gleichen Auffassung ist auch Christina Wille, die zwei Modegeschäfte mit dem Namen Loveco betreibt. „In Schöneberg erleben wir, dass die Leute noch munter einkaufen, in Friedrichshain dagegen bricht es schon seit Tagen ein. Wir wissen, wie die aktuellen Zahlen aussehen. Aber man nimmt uns auch ein Stück vom Weihnachtsgeschäft.“

Mario Schubert vom VEB Orange im Prenzlauer Berg hat sich mental schon auf den Lockdown vorbereitet. „Ich habe meinen Puls bereits runtergefahren. Wir haben ja im März und April schon geübt, da müssen wir halt jetzt durch. Unterm Strich ist das auch ein Schutz für mich und meine Freundin, die ist Risikopatientin“, sagt der 46-Järhige. „Weihnachten ist eh nicht meine Kernzeit, ich lebe von den Touristen. Die sind das ganze Jahr nicht richtig dagewesen, insofern war das alles problematisch. Ich arrangiere mich zähneknirschend.“
Elle Jannssen betreibt auf der Oderberger Straße das Modegeschäft Hit-in.tv. Für sie fühlt sich der Lockdown „okay“ an, denn sie sei seit 18 Jahren hier und habe eine treue Stammkundschaft. „Die haben mich schon vor Weihnachten unterstützt, falls es brenzlig wird. Ich möchte meine Eltern gerne sehen, deshalb würde ich am liebsten schon eine Woche vorm Fest die Kontakte auf ein Minimum reduzieren“ sagt die 49-Jährige. „Bei mir gibt es auch keine Kurzschlusskäufe, deswegen hoffe ich, dass die Verluste klein bleiben.“

Das kann sich Nils Busch-Petersen nicht so recht vorstellen. Für ihn ist die Lage der Einzelhändler äußerst prekär. „Es herrscht blankes Entsetzen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelverbands Berlin-Brandenburg. „Obwohl wir auf allen Ebenen lobbyieren, ist für die Kaufleute nicht erkennbar, dass sie wenigstens an den Dezembertagen so behandelt werden wie alle anderen Bereiche der Wirtschaft auch. Bisher kriegen wir keine Zusage, dass wir Umsatzkompensate erhalten. Wir brauchen eine klare verlässliche Aussage der Politik. Die Regierung muss sich darum kümmern, dass Berlin hinterher nicht eine enthandelte Stadt ist.“
Und wie sieht es bei denen aus, die geöffnet bleiben dürfen? Im Edeka-Supermarkt Götze in Wannsee herrscht reges Treiben. Ein ganz normaler Freitagvormittag. Die Parkplätze in der Tiefgarage und vor dem Geschäft sind gut besetzt. Im Laden sind vor allem ältere Leute oder Mütter mit Kleinkindern, die sich mit Lebensmitteln für das Wochenende eindecken. Dass der angekündigte Lockdown im Einzelhandel bei der Kundschaft nun zu panischen Hamsterkäufen wie einst im Frühjahr anregen könnte, befürchtet Marktleiterin Katrin Teltzrow nicht.
„Sicher, vereinzelte Kunden greifen schon etwas mehr an den Regalen zu“, sagt sie. „Aber wir haben bisher noch keine Maßnahmen getroffen. Allerdings haben wir momentan mehr Toilettenpapier als sonst. “ Die Edeka-Marktleiterin hofft aber, dass die Berliner aus dem ersten Lockdown gelernt haben, daher mögliche Hamsterkäufe jetzt ausbleiben. „Die Menschen haben es damals gesehen und wissen auch jetzt, dass wir Lebensmittelhändler stets für sie da sind“, sagt Teltzrow.