Thomas Müller vor der JVA Tegel, wo sich sein Sohn Marian seit Montag im Hungerstreik befindet. 
Thomas Müller vor der JVA Tegel, wo sich sein Sohn Marian seit Montag im Hungerstreik befindet.  Volkmar Otto

Thomas Müller ist ein drahtiger Mann. Zäh, ausdauernd, beherrscht. Doch als er nach dem Fototermin an der JVA-Tegel in sein Auto steigt, sagt er: „Jetzt heule ich noch ein bisschen“, schlägt die Autotür hinter sich zu und hofft mit all seiner Kraft als Vater, dass hinter den roten Backsteinmauern in der Justizvollzugsanstalt Tegel, Teilanstalt 2, sein Sohn Marian endlich etwas trinkt.

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Trinken, trinken, trinken, habe er ihm am Telefon am Morgen gesagt. „Papi, ich hab dich lieb“, so die einzige Antwort des Sohnes. Marian befindet sich seit Montag im Hungerstreik und verweigert auch die Aufnahme von Flüssigkeit. „Die unwürdigen Haftbedingungen in Tegel haben ihn kirre gemacht“, sagt sein Vater.

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Der konkrete Auslöser für den Hungerstreik ist eine Haftverschärfung. Marian muss einige Tage in einer Arrestzelle verbringen, ohne Fernseher, Radio, allein mit sich. In seinem Papierkorb wurde ein Metallteil gefunden. Eine potentielle Waffe, ein Regelverstoß. Ein Teil, das vom Bett abgebrochen war, so Marian. Außerdem gab es über die Strafe wohl eine Auseinandersetzung mit dem Teilanstaltsleiter. „Diese Stille in der Arrestzelle, die macht mich fertig“, sagt Marian seinem Vater am Telefon. Der organisiert ihm daraufhin mit wachsender Verzweiflung ein Radio. Doch Marian will noch immer nicht essen und trinken.

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In 40 Tagen sollte er aus der JVA entlassen werden 

40 Tage bevor seine reguläre Entlassung am 27. März angestanden hätte, läuft das Fass bei Marian über. Sein Protest ist auch die Folge einer langen Kette von Kämpfen und Demütigungen für den Häftling, so schildert es sein Vater.

Mit dessen Hilfe von draußen muss er im Knast um die einfachsten Dinge ringen: die Herausgabe persönlicher Sachen. Um ärztliche Behandlung  bei akuten Nierenschmerzen. Erst als der Anwalt schreibt, wird er behandelt. Auch ein Zellennachbar, der mit einem Bandscheibenvorfall das Wochenende über nicht versorgt werden sollte, bekommt erst Hilfe, als Thomas Müller die Feuerwehr alarmiert.  Zu wenig Personal, heißt es immer wieder.

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Die Schilderungen von Thomas Müller decken sich mit Protesten, die vor einigen Tagen mit einem Video aus der JVA Tegel laut geworden sind. Auch hier beklagen Insassen Willkür durch Bedienstete, Diskriminierung von Häftlingen mit Migrationshintergrund, das Nicht-Einhalten von ärztlichen Anordnungen, eine fehlende Vorbereitung auf Entlassungen. Auch Marian werden Ausgänge in Vorbereitung auf die bevorstehende Entlassung versagt. „Begründet wurde dies damit, dass mein Sohn ja bestens vorbereitet sei“, so Thomas Müller. Die Häftlinge im Video verletzen sich selbst mit Rasierklingen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.

„Natürlich sind wir nicht hier im Hotel und ja, wir haben alle Scheiße gebaut“

„Natürlich sind wir nicht hier im Hotel und ja, wir haben alle Scheiße gebaut“, sagt der Sprecher der Häftlinge in einem weiteren Video. Aber man komme „mit einem Problem auf dem Buckel in die JVA und mit zehn wieder hinaus“.

Thomas Müller zeigt ein Foto seines Sohnes. Die Haftbedingungen setzen Marian zu.
Thomas Müller zeigt ein Foto seines Sohnes. Die Haftbedingungen setzen Marian zu. Volkmar Otto

So geht es auch Marian. Als der 41-Jährige im Sommer 2021 vom überraschenden Tod seiner Mutter erfährt, befindet er sich schon im offenen Vollzug in der JVA Düppel. Tegel, so glaubt er, hat er hinter sich gelassen.  Er hat eine Lehre als Gebäudereiniger als Bester in Berlin abgeschlossen, arbeitet zuverlässig.

Sein Vater hält all die Jahre über Marians eigene kleine Wohnung in Friedrichshain. Doch die plötzliche Todes-Nachricht haut den Sohn um, er nimmt eine Flasche Schnaps mit in den Knast – ein Regelverstoß, der hart geahndet wird. Marian wird in den geschlossenen Vollzug nach Tegel zurück verlegt, zur Beerdigung begleiten ihn Beamte.

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Auf die Frage des Vaters, ob man einen Menschen nicht in den Arm nehmen könne, wenn dessen Mutter gestorben ist, antwortet der Teilanstaltsleiter in Düppel: „Am Wochenende gibt es hier keine Sozialarbeiter.“ Thomas Müller ist fassungslos.

Anträge verschwinden in der JVA 

Zurück in Tegel sind Frustration und Härte für Marian Alltag. „Anträge verschwinden einfach, Beschwerden werden nicht bearbeitet“, sagt Thomas Müller. Wer keine Hilfe von draußen habe, gehe unter. „Tegel macht alle kaputt.“ Von einem ständigen Kampf zwischen Bediensteten und den Häftlingen spricht Müller.

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Die genannten Probleme seien nicht neu, sagt auch Olaf Heischel vom Vollzugsbeirat dem rbb nach einem Bericht über den Video-Protest der Häftlinge. Er kritisiert, dass das Personal in den Haftanstalten nicht gut genug arbeite, unter anderem, weil es teilweise nicht ausreichend auf seine Aufgaben vorbereitet und auch zu dünn besetzt sei. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) will den Vorwürfen nachgehen und das Beschwerdemanagement neu aufstellen, sodass die Gefangenen Vertrauen haben. 

Verweigerung der Nahrungsaufnahme werde fortlaufend dokumentiert

Doch für Marian macht dies akut keinen Unterschied. In seinem Fall heißt es, man dürfe zu  Personaleinzelangelegenheiten von Strafgefangenen keine Auskunft geben, so ein Sprecher der Justizsenatorin auf eine KURIER-Anfrage. „Ich kann Ihnen mitteilen, dass der zuständige Sozialdienst mit einem Gefangenen, der sowohl die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit verweigert, in einem ständigen Kontakt steht und dass eine medizinische Versorgung durchweg sichergestellt ist“, so der Sprecher weiter. Die Verweigerung der Nahrungsaufnahme werde überdies fortlaufend dokumentiert und begleitet. Formal alles in Ordnung also, ein korrekter Verwaltungsakt. 

In großer Sorge um den Sohn: Thomas Müller hofft, dass sein Sohn bald frei kommt. Dann will er ihm in seinem Leben nach dem Knast zur Seite stehen. 
In großer Sorge um den Sohn: Thomas Müller hofft, dass sein Sohn bald frei kommt. Dann will er ihm in seinem Leben nach dem Knast zur Seite stehen.  Volkmar Otto

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Um seinen Sohn hat sich Thomas Müller schon gesorgt, seit er ein kleiner Junge war. Hilflos musste er mit ansehen, wie aus dem Berliner Straßenjungen, der um die Häuser zog, ein Krimineller wurde. „Ich weiß, dass mein Sohn eine Menge an Problemen mit sich herumträgt“, sagt Thomas Müller. Doch er hofft, dass er ihm in den noch bleibenden Jahren eine Stütze in Freiheit sein kann.

Marian Müller sitzt eine insgesamt 6-jährige Haftstrafe wegen KfZ-Raubs ab. Thomas Müller hat im letzten Oktober ein Gnadengesuch auf vorzeitige Haftentlassung für seinen Sohn gestellt, damit er Weihnachten vielleicht schon wieder zu Hause sein kann. Der Antrag wurde bis heute nicht beantwortet.

Update: Am Abend des 17.2. hat Marian seinen Hungerstreik beendet.