100 Jahre Kneipe
Eckkneipe in Gefahr: Das Höher’s Eck in Prenzlauer Berg kämpft
„Dit is Berlin, zieht aufs Dorf wenn ihr Großstadt nicht aushaltet“, schreiben sie unter der Petition für das Eck. Berlins sozialer Kitt, das sind auch die Kiezkneipen.

In der Kneipe in der Rhinower, Ecke Gleimstraße schaufelt ein Ventilator an der Decke die schwüle Luft umher. Es riecht hier nicht nach Mitte-Schick und Parfüm, sondern nach Zigaretten und Ehrlichkeit. Der Boden ist noch ein bisschen klebrig von der letzten Party. Hinter dem Tresen steht Heiko, das Hemd nur halb zugeknöpft. Das verwaschene Onkelz-T-Shirt hat er dann doch lieber ausgezogen, „nicht, dass die wirklich denken, wir sind eine Nazi-Kneipe“. Das Höher’s Eck ist alles andere. Doch hier geht es in diesen Tagen um viel. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, jedes noch so labbrige Shirt kann zum Fallstrick werden.
Eckkneipen in Berlin – bald ausgestorben
Dass die Eckkneipe in Berlin eine bedrohte Spezies ist, ist bekannt. Doch dieses Eck hier hat mit zwei jungen Wirtinnen eigentlich eine sichere Zukunft. Die Gäste kommen zuhauf, trinken am Tresen oder am Stammtisch ihr Bier. Der halbe Liter Hausbier für 3,30 Euro, kann man nicht meckern.
An der bunt gemischten Kundschaft – von CSD bis VEB – scheitert diese Kneipe jedenfalls nicht. Vielleicht aber an den Klagen einer Anwohnerin, die seit Jahren Beschwerde um Beschwerde schreibt und die Polizei schickt.
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„Dit is Berlin, zieht aufs Dorf wenn ihr Großstadt nicht aushaltet“, hat eine der Unterzeichnerinnen der Petition, die sich für den Erhalt des Höher’s Eck einsetzt, geschrieben. Das Doofe ist nur, dass die Beschwerdeführerin selber Ur-Berlinerin ist. „Keine Zugezogene, wie man woanders oft hört“, sagen die Wirtinnen Athina und Sonja. Auch keine grimmige Alte, sondern eine, die den Sound und den Duft von Großstadtkneipen durchaus selber zu schätzen weiß, nur eben nicht direkt unterm eigenen Balkon und Schlafzimmer.

Noch einmal zurück zu dem, was hier bedroht ist: Das Höher’s Eck ist seit 100 Jahren eine Gastwirtschaft. Man konnte hier schon an weißbedeckten Tischen speisen, in der DDR war das Höher’s die einzige Kneipe im Kiez, die bis 24 Uhr offen war und wo man auch spät noch was zu essen bekam. Die Täfelungen an den Wänden sind im Jahrhundertwende-Stil geschnitzt. Die Patina ist echt, nicht nur mit dem Label „vintage“ versehen. Ebenso echt ist die Mischung an Gästen, die hier ein und aus gehen. Anderswo heißen die Kneipen Wohnzimmer, das hier ist eins.
Ort für grummelige, alte Männer
Seit zwei Jahren gehört das Höher’s Sonja und Athina, vorher war ihr Vater hier Wirt. „Wir führen den Betrieb mit viel Liebe und Herz und haben es in den letzten zwei Jahren geschafft, einen Platz für alle zu schaffen“, schreiben die beiden. Wir sind Wohnzimmer, Hafen und Anlaufstelle für Stammgäste aus früheren und den neuesten Stunden der Geschichte des Höher’s. Jung und Alt sitzen an einem Tisch, selbst die grummeligen, alten Männer sind willkommen.
Alle Menschen seien hier von Herzen willkommen, egal welcher soziale Status, welche Religion, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung. Auf den Partys feiert queeres Publikum mit Stammgästen von früher. Glitzerparty und am Stammtisch sitzt Bernd mit seiner Rockerkutte, so was geht nicht mehr in vielen Kneipen in der Stadt.

Dass so eine Kneipe im Erdgeschoss nervig sein kann, ist bekannt. Man zieht dann lieber nicht in die Wohnung oben drüber ein, wie die Frau, die sich seit ihrem Einzug 2007 immer wieder über Lärm und Zigarettengeruch beschwert. Manchmal kippt sie besonders viel Wasser über ihre Balkonblumen und wässert damit dann die Biertische samt Geburtstagsdeko vor der Kneipe. „Einmal stand sie um zehn hier vorm Tresen und hat gesagt: Ich kann nicht schlafen“, erinnert sich Sonja, das war die einzige Begegnung, seitdem schicke die Dame nur noch die Polizei.
Hier ist Berlin noch typisch Berlin
Ein Gespräch darüber, wie man miteinander auskommen kann, gab es bisher nicht. Dann wüsste die Dame, dass Studenten bereits angeboten haben, eine Schalldämmung als Uniprojekt hier einzubauen. Dass eine Lüftungsanlage installiert werden soll, doch ohne Mietvertrag macht das keinen Sinn. Unter den Gästen sind viele Handwerker, die würden mit anpacken, wenn es um die Zukunft ihres zweiten Zuhauses geht.
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Die Gäste des Höher’s haben innerhalb von einer Woche 3500 Unterschriften gesammelt. Wenn es 10.000 sind, wollen Athina und Sonja sie dem Besitzer, der dänischen Investmentgesellschaft EgnsInvest, überreichen. Notfalls sogar persönlich. Sie wollen sich vor der Kneipe festkleben, wenn es wirklich zur Räumung kommt, scherzen sie. Auf eine Anfrage in der Pressestelle von EgnsInvest hieß es, man wolle die Angelegenheiten von Mietern oder ehemaligen Mietern nicht kommentieren. Von der Hausverwaltung in Berlin heißt es: „Das Mietverhältnis ist gekündigt, sofern das Mietobjekt nicht geräumt und übergeben wird, wird es zu einer Zwangsräumung kommen.“
Paradies für echte Berliner
Echte Berliner treffe man in der Stadt doch kaum noch, heißt es immer. Im Höher’s, vor der Bar, die aus einem Jugendstilschlafzimmer zusammengebaut wurde, da sind sie. Und auch hinter der Bar stehen sie. Heike, Susi und Jörg, Martin, der schwule Zahnarzt, Adrian, der Hipster, Rhan aus Thailand. Sie alle bangen auch um ihren Job.

Der Besitzer der Immobilie, die dänische Investmentgesellschaft, will wohl nur endlich Ruhe haben und hat den Mietvertrag mit dem Höher’s Eck nicht verlängert. Statt einer Kneipe könne man sich ein Solarium oder ein Yogastudio vorstellen, oder ein Tagescafé, sagen die Betreiberinnen. So enden dann manchmal die 100-jährigen Geschichten. Und Gäste wie Gunnar wissen nicht, wohin. Dem alten Kellner, dessen Bild noch überm Tresen hängt, haben sie mal Schrippen an die Wohnungstür gehangen, als es ihm schlecht ging, erzählt er.
Die Dame von oben soll gesagt haben, „die Asozialen sollen weg“, weiß man am Stammtisch. Pah! Eine Wendung wie im Tomsky, das wäre es. Auch diese Kneipe in Prenzlauer Berg sollte nach 31 Jahren dichtmachen, weil eine einzige Person sich gestört fühlte. Nach einer Unterschriftenkampagne und Druck aus der Nachbarschaft wurde der Mietvertrag um zehn Jahre verlängert.