Angst & Einschüchterung?
Durch die Jüdische Gemeinde Berlins geht ein tiefer Riss
Es geht nur um eine Wahl zu einem Gemeindeparlament der Jüdischen Gemeinde. Aber es stehen schwere Vorwürfe im Raum, von allen Seiten. Die Rede ist von Verleumdung, Angst, Einschüchterung.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin ist religiöse Heimat für etwa 9000 Menschen. Sie ist ein großer Arbeitgeber und verantwortlich für Schulen, Kitas, soziale Einrichtungen. Und sie ist tief zerstritten.
Es stehen schwere Vorwürfe im Raum, von allen Seiten. Die Rede ist von Verleumdung, Angst, Einschüchterung. Dabei geht es nur um eine Wahl zu einem Gemeindeparlament. Die diesjährige Abstimmung zur Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, eine der größten in Deutschland, hat tiefe Gräben neu aufgerissen. Abgründe, könnte man sagen. Und selbst wenn der Wahlgang am 3. September abgeschlossen ist, wird der Streit wohl noch lange nicht vorbei sein.
Der Stand der Dinge: Der seit 2012 amtierende Gemeindevorsitzende Gideon Joffe und seine Unterstützer änderten vor der Wahl in diesem Jahr die Wahlordnung und zogen unter anderem eine Altersgrenze von 70 Jahren für Kandidaturen ein. Die frühere Vorsitzende Lala Süsskind, 77, und andere klagten dagegen erfolgreich vor dem Gericht beim Zentralrat der Juden, das den Stopp der Wahl anordnete. Aus Joffes Sicht ist das Gericht aber nicht zuständig. Er verbittet sich die Einmischung und zieht die Abstimmung durch. Sie läuft als Briefwahl.
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Zankapfel Wahlordnung der Jüdischen Gemeinde
Ein neues Oppositionsbündnis namens Tikkun hält Joffes Vorgehen für unrechtmäßig und ruft zum Boykott der Wahl auf. „Wir fordern freie und demokratische Wahlen“, sagt Tikkun-Vertreterin Sigalit Meidler-Waks der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Die frühere Gemeindevorsitzende Süsskind verweist auf den Millionenzuschuss des Landes Berlin für die Gemeinde, die mit rund 500 Mitarbeitern auch Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder ein Pflegeheim betreibt. „Auch der Senat muss hier endlich einschreiten, hier fließen öffentliche Gelder“, sagt Süsskind der dpa. „Die Wahlordnung ist im höchsten Maße diskriminierend. Das verstößt gegen das Grundgesetz, da kann der Senat nicht einfach zuschauen.“ Sie will das Wahlergebnis in jedem Fall anfechten.
Ihr Nachfolger Joffe kontert alle Vorwürfe. Die Gemeinde hat nach eigenen Angaben sogar juristische Schritte gegen einzelne Kritiker eingeleitet, denen sie auf ihrer Website „Einschüchterung, Bedrängung und Drangsalierung, Gewalt und mediale Attacken“ vorwirft.
Oppositionsbündnis der Jüdischen Gemeinde ruft zum Boykott auf
Zur neuen Altersgrenze sagt Joffe der dpa, Ziel sei, Jüngere zum Engagement in der Gemeinde zu bewegen. Er habe nicht gewusst, dass Süsskind noch einmal habe kandidieren wollen, die Neuerung sei nicht gegen sie gerichtet gewesen. Zum Bündnis Tikkun sagt er, es handele sich um „unbekannte Personen“ und deshalb „bleibt ihnen nur der Weg der Unruhe“. Der Anordnung des Gerichts beim Zentralrat wiederum könne er nicht Folge leisten. Das Gericht sei nicht zuständig, sondern der eigene Schiedsausschuss der Gemeinde.
Im Übrigen schreibt Joffe auf der Website der Gemeinde, auch bei den evangelischen und katholischen Kirchen fänden ja regelmäßig Wahlen zur Besetzung politischer Ämter statt. „Aus irgendeinem Grund ist es nicht so spannend, wenn sich zwei Protestanten oder zwei Katholiken streiten. Wenn sich zwei Juden streiten, schon.“ Deshalb sei auch der Vorlauf diesmal so kurz, die Wahl wurde von Dezember auf September vorgezogen: „Zwei Wochen mehr Wahlkampf brächten den Wählern nicht mehr Informationen, sondern nur mehr Schlammschlachten.“
Es ist vielleicht ein Hinweis auf die Schlachten der Vergangenheit, denn der Zwist in der Gemeinde währt seit Jahren. Schon 2014 beklagten Mitglieder öffentlich einen autokratischen Führungsstil Joffes. Nach dessen Wiederwahl Ende 2015 berichteten Zeugen, am Ende der Auszählung sei überraschend eine unbekannte Urne mit sehr vielen Stimmen für Joffe aufgetaucht, die die Wahl gedreht hätten.
Zwist in der Jüdischen Gemeinde währt seit Jahren
Der unterlegene Bewerber Sergey Lagodinsky legte damals Beschwerde wegen Manipulation ein und ließ sich mit den Worten zitieren, es herrsche „ein Zustand der Gesetzlosigkeit, des Nepotismus und Despotismus“. Inzwischen hat der Grünen-Europaabgeordnete sein Engagement in der Gemeinde eingestellt. Tikkun-Vertreterin Meidler-Waks sagt: „Die Verdachtsmomente im Hinblick auf eine Wahlmanipulation im Jahr 2015 sind meiner Meinung nach bis heute nicht gänzlich aus dem Weg geräumt worden.“
Insgesamt gilt für Meidler-Waks: „Die Gemeinde ist in einem traurigen Zustand. Es herrscht eine Atmosphäre geprägt von Angst und Misstrauen.“ Laut Tikkun ist die Zahl der Mitglieder von 12.000 auf weniger als 9000 geschrumpft. Damit sei die Gemeinde nicht mehr die größte Deutschlands, sondern das sei jetzt München.
Die Gemeindeführung unter Joffe erhebt ihrerseits schwere Vorwürfe gegen Tikkun. „Es werden gegenwärtig Mitarbeiter im Dienst auf das Äußerste beschimpft und nach Dienstschluss auf dem Nachhauseweg abgefangen und bedroht“, heißt es auf der Website der Gemeinde. „In Paparazzi-Manier werden Mitglieder überrascht, fotografiert und erpresst.“ Das weist Tikkun kategorisch zurück: „Wir sind fassungslos über die unhaltbaren Äußerungen und werden diese einer rechtlichen Prüfung zuführen.“
Wie soll das weitergehen? Es werden wohl wieder Juristen damit befasst. Das Gericht beim Zentralrat der Juden könnte wegen Nichtachtung seines Urteils Strafen verhängen. Im Extremfall könnte die Mitwirkung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin im Zentralrat ausgesetzt werden.
Tikkun äußert sich verbittert. Joffe und die Repräsentanten untergrüben „absichtlich die Einheit jüdischen Lebens in Deutschland“, erklärt das Oppositionsbündnis. „In Zeiten ansteigender antisemitischer Straftaten und erstarkender rechtsradikaler Parteien ist das ein fatales Zeichen.“