Die Opfer Hiltrud und Johann-Conrad S.<br><br>
Die Opfer Hiltrud und Johann-Conrad S.

Foto: Pressefoto Wagner

Er hat sich noch eine gewisse Lockerheit bewahrt. „Wir hatten, wenn man so will, ein Riesenglück im Unglück. Unser Haus hätte auch längst weiterverkauft sein können“, sagt Johann-Conrad S. am Freitag. Er ist Zeuge im Prozess um einen dreisten Immobilienklau, der derzeit vor dem Berliner Landgericht verhandelt wird. Angeklagt wegen Betrugs sind zwei Brüder aus einem polizeibekannten arabischen Clan, ein Rechtsanwalt und ein Kaufmann. Sie sollen Johann-Conrad S. und seine Frau Hiltrud auf unverfrorene Art und Weise - beinahe - um ihr Mehrfamilienhaus in der Voigtstraße in Friedrichshain gebracht haben.

Seit 1994 ist das Paar, das in Hamburg wohnt, Eigentümer der Immobilie. Im Dezember 2019 riefen Mieter an, berichteten, dass Fremde durch das Haus laufen würden und angebliche Versicherungsvertreter Fotos von den Wohnungen machen wollten. „Wir haben an Trickbetrüger gedacht, die die Fotos in die Zeitung setzen wollten, um Mietkautionen zu erlangen“, erzählt Johann-Conrad S. Er habe damals die Polizei alarmiert.

Älteres Ehepaar laut Grundbuch seit dem 6. November 2019 nicht mehr Eigentümer des Berliner Mietshauses

Doch es kam für das alte Ehepaar, beide sind 80 Jahre alt, noch viel schlimmer: Die Betrogenen waren sie selbst. Anfang Januar vorigen Jahres, an einem Sonnabend, erhielt Johann-Conrad S. einen Brief der Feuersozietät. Darin teilte ihm das Unternehmen mit, dass die Versicherung für das Berliner Haus gekündigt sei.

„Wir dachten, dass es sich um einen Computerfehler handelt“, erinnert sich Hiltrud S. Gleich am Montag habe ihr Mann bei der Versicherung angerufen, um sie auf den Irrtum hinzuweisen. Doch es war kein Irrtum, es war bitterer Ernst. Der Mitarbeiter am Telefon sagte zu Johann-Conrad S.: „Sie sind doch gar nicht mehr Eigentümer des Hauses. Sie haben doch verkauft.“ Die Eheleute fielen aus allen Wolken. Johann-Conrad S., von Haus aus Jurist, rief sofort seinen Anwalt an, der ihm den Grundbuchauszug besorgte.

Und wirklich, sie waren als Eigentümer gelöscht. Neuer Eigentümer war laut Grundbuch seit dem 6. November 2019 eine GmbH in Berlin. Johann-Conrad S. legte Widerspruch ein, beantragte über seinen Anwalt eine einstweilige Verfügung und ein Veräußerungsverbot. Er meldete sich bei Stefan G., dem geschäftsführenden Alleingesellschafter der im Grundbuch eingetragenen GmbH und nun angeklagten Anwalt. Der alte Herr aus Hamburg forderte G. auf, die Rückübertragung der zu Unrecht erworbenen Immobilie zu veranlassen. Stefan G. habe das Ansinnen jedoch abgelehnt. Das Paar erstattete Anzeige.

Ende Januar vergangenen Jahres reichte es Zivilklage ein, um wieder ins Grundbuch zu gelangen. Was geschehen war, beschreibt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage so: Die vier Angeklagten, der 53-jährige Rechtsanwalt Stefan G., der 55-jährige Kaufmann Rainer G., die 36 und 35 Jahre alten Brüder Rabih und Mohamad A.-C. und der gesondert verfolgte Steffen F. sollen spätestens Anfang Mai 2019 geplant haben, sich das Haus im Wert von drei Millionen Euro zu verschaffen, um es für sechs bis sieben Millionen Euro weiterzuverkaufen.

Berliner Mietshaus sollte älterem Ehepaar für 250.000 Euro abgeluchst werden

Steffen F. habe die Informationen über ein passendes Grundstück besorgt, das Haus in der Voigtstraße. Auf der Immobilie lasteten keine Schulden, die Eigentümern waren alt und lebten zudem nicht in Berlin. Das Haus sei perfekt gewesen für den Coup, heißt es.

Um der Immobilie habhaft zu werden, soll Stefan G. im Juli 2019 eine GmbH als geschäftsführender Alleingesellschafter gegründet haben. Auch der angeklagte Kaufmann spielte in dem aufgebauten Firmenkonstrukt eine Rolle. Eine Woche später beurkundete ein Notar den vermeintlichen Kaufvertrag, mit dem die Immobilie für 250.000 Euro den Besitzer wechseln sollte. Dafür sollen Rabih und Mohamad A.-C. zusammen mit Steffen F. zwei bisher noch unbekannte Personen organisiert und sie mit gefälschten Ausweispapieren und den Personaldaten der Hamburger Eigentümer ausgestattet haben. Den Kaufunterlagen beigefügt wurde Anfang August 2019 ein ebenfalls gefälschtes Schreiben, mit dem die Eigentümer angeblich den Erhalt des Verkaufspreises bestätigten. Nun stand dem Grundbucheintrag nichts mehr im Wege.

Johann-Conrad S. kann über die gefälschten Personalausweise vor Gericht nur den Kopf schütteln. Viele Daten darauf stimmten einfach nicht. „Ich bin beispielsweise nicht in Hamburg geboren“, erklärt er. Zudem stünden nur zwei Vornamen  auf der Fälschung. In seinem richtigen Ausweis seien vier Namen vermerkt. Auch die Unterschriften auf den Papieren, dem Kaufvertrag und der Mitteilung, dass sie die 250.000 Euro für das Haus erhalten hätten, seien „so was von falsch“.

So, wie auch ihr angeblicher Sohn. Bei den Verkaufsverhandlungen war ein 1,90 Meter großer und etwa 60 Jahre alter Mann als Sohn von Johann-Conrad S. und Hildtrud S. präsentiert worden. „Ja, wir haben einen Sohn“, sagt der Zeuge aus Hamburg nun vor Gericht. Aber der sei deutlich kleiner und „um die 50“ und bei keinem Verkauf dabei gewesen.

Seit zwei Wochen stehen Hiltrud und Johann-Conrad S. wieder im Grundbuch

Der Betrug wird nun strafrechtlich mit dem Prozess aufgearbeitet. Doch bereits seit einem Jahr und vier Monaten kämpft das Paar darum, wieder als rechtmäßige Eigentümer ins Grundbuch eingetragen zu werden. Einen ersten Zivilprozess haben sie im Juni vorigen Jahres gewonnen, aber die Gegenseite ging dagegen vor. Vermutlich habe sie geglaubt, „dass einer von uns in der Zwischenzeit einen Herzinfarkt erleidet“, sagt Hiltrud S. Vor dem Kammergericht sei die Berufung schließlich zurückgenommen worden. Auf einem Großteil der für die „Rückübertragung“ notwendigen Kosten, nach Angaben von Johann-Conrad S. 130.000 Euro, wird das Paar wohl sitzenbleiben.

Der Zeuge aus Hamburg, selbst Jurist, hat die Auftritte der „Gegenseite“ vor dem Zivilgericht zudem als ziemlich dreist empfunden. Der angeklagte Kaufmann habe ihnen sogar angeboten, ihr Haus zu kaufen, und auch viermal deswegen bei ihnen angerufen. 4,25 Millionen Euro habe ihnen Rainer G. geboten, sagt Johann-Conrad S. „Wir wollten und wollen nicht verkaufen.“

Der Betrug wäre vermutlich nicht so schnell aufgeflogen, hätte der neue, mutmaßlich unrechtmäßige Eigentümer des Mietshauses nicht dieselbe Gebäudeversicherung gewählt wie das Hamburger Ehepaar. Nur so konnte die Assekuranz Johann-Conrad S. mitteilen, dass er die Versicherung für das Haus nicht mehr benötige, weil es vom neuen Eigentümer versichert worden sei.

Seit zwei Wochen stehen Hiltrud und Johann-Conrad S. wieder im Grundbuch. „Hätte man mich vor eineinhalb Jahren gefragt, ob das, was uns widerfahren ist, in Deutschland möglich ist, ich hätte nur gelacht“, sagt Hiltrud S. Heute sei sie nur eins: sprachlos.

Der Prozess wird fortgesetzt.