Dramatisches Fischsterben in der Oder: Liegt alles an einer hochgiftigen Alge? SO kam sie in den Fluss!
Was hat zum Fischsterben geführt? Eine Spurensuche, die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Oder stinkt nach Tod, überall werden tote Fische an die Ufer geschwemmt. Allein bis Mittwoch wurden in Brandenburg rund 36 Tonnen verendeter Fische gefunden, in Polen hat die Feuerwehr schon über 100 Tonnen tote Fische aus dem Grenzfluss und einem kleineren Fluss geborgen. Die Behörden beider Länder jagen die Verursacher der Umweltkatastrophe. Experten vermuten nun eine giftige Algenart. Die könnte im Klärbecken eines polnischen Bergbau-Unternehmens entstanden und mit salzhaltigem Abwasser in die Oder gelangt sein, wie der RBB meldet. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.
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Woher soll die giftige Alge stammen?
Aus einem Klärbecken in Glogow, das dem polnischen Bergbauunternehmen KGHM gehört. Wie die Zeitung Gazeta Wyborcza schreibt, leitete das Unternehmen zwischen dem 29. Juli und dem 10. August salziges Wasser aus dem Klärbecken in die Oder. Dabei könnte die für Fische und Muscheln tödliche Alge in den Fluss gelangt sein.
Kann die Alge das Massensterben ausgelöst haben?
Eine giftige Algenart könnte Wissenschaftlern zufolge ein entscheidender Faktor für das Fischsterben sein. Ein Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei identifizierte die toxische Art als Mikroalge mit dem Namen Prymnesium parvum. Nach Worten des Gewässerökologen Christian Wolter ist sie bekannt dafür, dass sie gelegentlich zu Fischsterben führt. Das bestätigt auch Jörg Oehlmann, Leiter der Abteilung Aquatische Ökotoxikologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Nachgewiesen ist aber noch nicht, dass das Gift der Alge Grund für das Fischsterben ist, nur ihre Massenentwicklung ist bewiesen. „Der Anteil der Algenart von rund zehn Prozent in der Algenmasse könnte gegebenenfalls hohe Konzentrationen des Fischgifts Prymnesin und damit das Fischsterben in der Oder erklären“, berichtete das Brandenburger Umweltministerium in Potsdam.
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Warum gibt es plötzlich so viele Algen in der Oder?
Die Algenart Prymnesium parvum kommt laut der Forscher eigentlich ausschließlich im Brackwasser vor. Sie benötigt erhöhte Salzgehalte, die es auf der betroffenen Oderstrecke normalerweise nicht gibt. An der offiziellen Messstation des Landesamts für Umwelt in Frankfurt an der Oder wurden aber rund zwei Wochen massiv erhöhte, unnatürliche Salzfrachten gemessen, die laut der Forscher ihren Ursprung stromaufwärts haben müssen. Das Massenwachstum der Algen bewirkte den Wissenschaftlern zufolge auch deutlich erhöhte Messwerte bei Sauerstoff, PH und Chlorophyll. Im oberen Teil der Oder befinden sich viele Staustufen. Dort gibt es wegen des Niedrigwassers momentan kaum Wasseraustausch.

Spielen auch andere Umwelteinflüsse eine Rolle?
Der Klimawandel stresst das sensible Ökosystem. Für die Forscher des Berliner Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei kommen dabei mehrere schädliche Faktoren zusammen. Dürrephasen und viel zu niedrige Pegel, geringe Sauerstoffwerte und viel zu hohe Wassertemperaturen erhöhen als „menschengemachte“ Probleme das Risiko für Umweltkatastrophen, sagen sie. Bei Niedrigwasser etwa würden schädliche Substanzen in viel geringerem Wasservolumen transportiert. Dieser Extremzustand stresst die Fische. Kommen zur bestehenden Belastung weitere Gefahren wie toxische Algenblüten oder chemische Verunreinigungen hinzu, kann das ganze Ökosysteme in Gewässern vernichten, sagt etwa der Forscher Jörg Oehlmann.
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Wie kommen die Experten mit der Ursachenforschung voran?
Das Landeslabor Berlin-Brandenburg (LLBB) untersucht weiterhin Wasserproben verschiedener Tage und Messpunkte sowie Fische. Nach Angaben des Brandenburger Umweltministeriums gestaltet sich die Suche nach der Ursache für das Fischsterben auch schwierig, weil Informationen von polnischer Seite fehlen, etwa zu eventuellen Einleitungen oder konkreten Anlässen für die Umweltkatastrophe. Forscher sagen, die Ursachenforschung zu der Katastrophe durch Analyse der Stoffe in der Oder sei eine wahre Sisyphusarbeit, da etwa 350.000 Substanzen potenziell in einer Wasserprobe vorhanden sein könnten – und auch eine ausführliche Diagnostik nie alle abdecke. Die Untersuchung könne Wochen dauern, so der Ökotoxikologe Oehlmann.

Was sagen die Polen?
Polens Umweltministerin Anna Moskwa gab am Donnerstagabend bekannt, dass in Wasserproben toxische Algen entdeckt worden seien. Es handele sich um sogenannte Goldalgen, die für Fische und Muscheln tödlich seien. Ob es sich um Prymnesium parvum handelt, war zunächst bei polnischen Umweltministerium und dem zuständigen Institut nicht zu erfahren.
Was unternimmt die polnische Staatsanwaltschaft?
Die polnische Regierung geht von einem Umweltsünder aus. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagt Regierungschef Mateusz Morawiecki vor einer Woche. Die polnische Polizei hat eine Belohnung von umgerechnet 210.000 Euro für Hinweise auf den Täter ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile mehr als 200 Zeugen gehört und zwölf Ortstermine an der Oder absolviert – eine heiße Spur war bislang nicht dabei.
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Wer sind die Verdächtigen?
Ermittler überprüfen derzeit auch Industriebetriebe, die in der Nähe des Flusses liegen. In den Tagen nach den ersten Hinweisen auf das Fischsterben wurde in sozialen Medien in Polen eine Papierfabrik im niederschlesischen Olawa südlich von Breslau beschuldigt. Das Unternehmen dementiert. Das Werk habe „weder etwas mit der Umweltkatastrophe an der Oder zu tun noch in irgendeiner Weise dazu beigetragen“, hieß es in einer Erklärung.
Experten wie der Chemie-Professor Marcin Drag von der Fachhochschule in Wroclaw (Breslau) vermuten aufgrund des hohen Salzgehaltes, dass der Fluss mit Einleitungen aus dem schlesischen Bergbau verseucht wurde. Nach Angaben des oppositionellen Parlamentsabgeordneten Piotr Borys leitet ein staatliches Bergbau-Unternehmen bei Glogow regelmäßig salzhaltiges Abwasser aus einem riesigen Rückhaltebecken in die Oder ein – es hat dafür allerdings auch die Genehmigung der Wasserbehörde.