Biologe Dirk Wesuls bei der Inventur: Er untersucht Pflanzen im Nationalpark.
Biologe Dirk Wesuls bei der Inventur: Er untersucht Pflanzen im Nationalpark. dpa/Pleul

Die Natur ändert sich. Mit dem Eingriff durch Menschen, mit dem Klimawandel, aber auch durch den Zuzug von Tieren, die hier bisher noch nicht heimisch waren. Der Nationalpark Unteres Odertal gehört zu den artenreichsten Lebensräumen Deutschlands. Das Adonisröschen und das Federgras wachsen hier, so weit westlich sonst nirgends. Mehr als 145 Vogelarten brüten im Nationalpark, im Frühjahr und Herbst kann man den Durchzug Tausender Gänse, Enten und Kraniche beobachten. Seit 27 Jahren ist das Untere Odertal ein Nationalpark, jetzt ist es Zeit für eine Inventur.

Lesen Sie auch: Bauarbeiten sorgen für neues U-Bahn-Durcheinander: DIESE Bahnen sind betroffen – und das sollten Fahrgäste wissen>>

Biologe Dirk Wesuls ist im mannshohen Grün hochgewachsener Pflanzen kaum zu sehen. Der Fachmann steht in Gummistiefeln und mit Hut mitten in Deutschlandes einzigem Fluß-Auen-Nationalpark, vor sich ein Tablet, auf dem er Daten einträgt und 13 Jahre alte Luftbilder mit der Natur um ihn herum vergleicht.

Bei der Inventur werden Pflanzen und Tiere genauestens erfasst

„Ich schaue, in welchem Zustand die abgebildeten Flächen heute sind, welche Pflanzenarten hier wachsen, und kartiere meine Ergebnisse“, erläutert der Botaniker, Mitarbeiter im Netzwerk für angewandte Ökologie. Wesuls ist im Auftrag der Nationalparkverwaltung Unteres Odertal unterwegs. „Wir machen hier Inventur, erfassen den Bestand von Flora und Fauna, aber auch Bauwerke, Wanderwege und Gewässer“, erklärt Dirk Treichel, Leiter der Nationalparkverwaltung.

Jana Chmieleski, Forschungsreferentin der Nationalparkverwaltung, und Dirk Treichel, Leiter der Nationalparkverwaltung, im Nationalpark Unteres Odertal.
Jana Chmieleski, Forschungsreferentin der Nationalparkverwaltung, und Dirk Treichel, Leiter der Nationalparkverwaltung, im Nationalpark Unteres Odertal. dpa/Pleul

Diese aufwendige Untersuchung sei Bestandteil des Nationalparkplanes, der 2014 fertiggestellt worden war und nun aktualisiert wird. Die erste Bestandsaufnahme liege 13 Jahre zurück. „Die Natur hat sich seitdem weiterentwickelt“, macht Treichel deutlich. Der Klimawandel spiele dabei ebenso eine Rolle wie der von der polnischen Seite bereits begonnene Oder-Ausbau.

Am 10. September 1995 wurde der Nationalpark Unteres Odertal eingeweiht, er liegt am Unterlauf der Oder im Nordosten Brandenburgs – in den Landkreisen Barnim und Uckermark, ganz in der Nähe liegt die Stadt Schwedt.

Über 40 Fischarten leben in dem Fluss

Neben der Auenlandschaft lockt der Nationalpark in den angrenzenden Hangbereichen mit naturnahen Laubmischwäldern und blütenreichem Trockenrasen. Mit seinen Flussarmen und den regelmäßig überfluteten Auen ist das Untere Odertal ein Paradies für Wasservögel als Brut-, Rast und Überwinterungsplatz. Die Oder ist berühmt für ihre Fischfauna, über 40 Arten leben in dem in vielen Bereichen noch recht naturnahen Fluss.

Anhand der neuen Erkenntnisse, die bei der Inventur gewonnen werden, soll das Leitbild des Nationalparks überarbeitet und die sogenannte Maßnahmenplanung angepasst werden. „Was also müssen wir tun, um wertvolle Lebensräume zu erhalten und zu gestalten“, sagt Treichel. Das bedeute beispielsweise, mit Landwirten, die Grünlandflächen im Park bewirtschaften, abzustimmen, ab wann sie auf die Flächen können – ohne Brutvögel wie den selten gewordenen Wachtelkönig zu gefährden. „Wir sind ja nicht nur Nationalpark, sondern auch europäisches Vogelschutzgebiet.“

 Dirk Wesuls betrachtet mit einer Lupe die Blüten der Wilden Sumpfkresse.
Dirk Wesuls betrachtet mit einer Lupe die Blüten der Wilden Sumpfkresse. dpa/Pleul

Die Abstimmung der Interessen mit anderen Nutzenden sei ein wesentlicher Bestandteil bei der Fortschreibung des Nationalparkplans, bestätigt Peter Südbeck, der Vorsitzende des Nationale Naturlandschaften e.V., also des Dachverbandes der 16 deutschen Nationalparks. „Wo es viele Nutzer und damit Interessen gibt, müssen diese gemanagt werden. Grundlage dafür ist der Nationalparkplan.“

Lesen Sie auch: Mega-Hitze kommt zurück! Gratis Wasser: Hier können Sie kostenlos den Durst stillen – hätten Sie es gewusst?>>

Die natürliche Dynamik, aber auch neue Bedingungen durch den Klimawandel machten es erforderlich, regelmäßig zu überprüfen, wie die Natur in den Großschutzgebieten reagiere. „Mit den gesammelten Daten können wir uns den Herausforderungen stellen. Denn wir haben es uns ja zur Aufgabe gemacht, diese besonderen Naturlandschaften zu schützen“, sagt Südbeck, auch Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer.

Die steigende Artenvielfalt belegen Brutvögel wie Rotschenkel, Kiebitz, Teich- und Schilfrohrsänger

Wichtig sei beispielsweise das Wassermanagement in dem von Überflutungspoldern der Oder geprägten Gebiet, sagt Treichel. „Mit dem dynamischen Schöpfwerkesystem regulieren wir, dass genügend Nässe im Park vorhanden ist, damit wasserliebende Arten nicht verschwinden, zu pflegende Grünflächen jedoch weiter bewirtschaftet werden können.“

Auch die Bestandsaufnahme mit allen Veränderungen brauche Zeit, sagt Jana Chmieleski, Forschungsreferentin der Nationalparkverwaltung. So seien beispielsweise im Polder 10 nördlich von Schwedt (Uckermark), der nicht mehr bewirtschaftet und durch Schöpfwerke reguliert wird, bereits Veränderungen zurück zum ursprünglichen Landschaftsrelief sichtbar. „Altarme der Oder finden wieder ihren Weg, andere Pflanzen, deren Samen sich über Fließgewässer verbreiten, siedeln sich an, auch die für Auen charakteristischen Silberweiden. Die steigende Artenvielfalt belegen Brutvögel wie Rotschenkel, Kiebitz, Teich- und Schilfrohrsänger.“

Aufgrund der vergangenen Dürrejahre sterben in den Nationalpark-Waldflächen massiv Kiefern und Fichten ab, wie Luftbilder belegen. „Zu sehen ist aber auch, dass die Natur darauf reagiert und in den einst reinen Nadelwäldern nun Vogelbeerbäume, Birken und sogar Eichen heranwachsen“, hat Chmieleski beobachtet.

Lesen Sie auch: Schock-Studie zum 9-Euro-Ticket: Experte spricht von „alarmierenden Daten“>>

Wesuls hat auf der Auenwiese, die seit einigen Jahren nicht mehr beweidet wird, neben Brennnesseln, Kratzdisteln und Rohrglanzgras auch die weidenblättrige Schafgarbe und Brenndolden entdeckt. „Diese Pflanzen wachsen tatsächlich nur in Flussauen, die bekommt man recht selten zu sehen“, freut sich der Biologe der Nationalparklandschaft. „Hier geht es um Monitoring als reinen Naturschutz – ein toller Auftrag.“ Im kommenden Jahr stehen laut Chmieleski Kartierungen von Fischen, Muscheln und Schnecken an Gewässerrändern sowie Libellen und Amphibien im Fokus der Inventur.

Eine Nabu-Mitarbeiterin setzt im Nationalpark Unteres Odertal einen Stör in das Wasser der Oder.
Eine Nabu-Mitarbeiterin setzt im Nationalpark Unteres Odertal einen Stör in das Wasser der Oder. dpa/Stache

Erst im April wurden im Nationalpark Unteres Odertal 500 junge Störe in die Oder ausgesetzt. Die kleinen Störe sollen Richtung Skandinavien schwimmen – und danach hoffentlich wieder zurückkehren. Der Baltische Stör war bis zum 19. Jahrhundert in Deutschland weit verbreitet. Durch Überfischung und Verschmutzung gilt der Wanderfisch inzwischen als ausgestorben – jetzt soll er zurückgeholt werden.

Lesen Sie auch: Irre Wetter-Prognose: So schlägt die Dauerhitze in den kommenden Tagen zu – und DARUM wird Öl noch teurer>>

Auch Besucher können sich die Natur des Unteren Odertals anschauen. Guter Startpunkt für Touren ist das Nationalparkhaus in Criewen, einem Ortsteil von Schwedt. Drei Beobachtungstürme (in Mescherin, Stützkow und am Wrechsee), die Beobachtungshütte Seeschwalbe sowie mehrere Wanderwege locken. Etwa der Auenpfad, der über 3,7 Kilometer von der Criewener Brücke durch den Polder A bis zum Saathener Wehr führt. Das Nationalparkhaus ist täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet.