Die Todesliste von Sachsenhausen: Wo die Sowjets ein Nazi-KZ weiter betrieben
60.000 Menschen waren 1945 bis 1950 im „Speziallager“ des NKWD eingesperrt. Jeder fünfte Insasse starb.

Der Schauspieler Heinrich George war wohl das prominenteste Opfer des sowjetischen Nachkriegs-Terrors im „Speziallager Nr. 7“. Der Vater von Götz George gehörte zu den rund 12.000 Menschen, die in der Zeit von 1945 bis 1950 in dem Lager, das in Teilen des KZ Sachsenhausen betrieben wurde, gestorben waren. Mit einem Online-Totenbuch erinnert die Gedenkstätte Sachsenhausen jetzt an die Opfer des sowjetischen Speziallagers.
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11.889 Namen umfasst die Liste, die jetzt von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten freigeschaltet wurde. Direktor Axel Drecoll sagte: „Ungeachtet der Frage nach Schuld und Verantwortung gilt es, den unter unmenschlichen Bedingungen umgekommenen und anonym in Massengräbern verscharrten Menschen ihren Namen wiederzugeben.“
Brandenburgs Kulturstaatssekretär Tobias Dünow: „Je weiter zeitlich entfernt die Geschichte der stalinistischen Speziallager ist, desto wichtiger wird die Weitergabe des Wissens um diesen Ort, an dem der Tod ständiger Begleiter des Lageralltags war.“ Die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, erklärte, die Einschüchterung einer ganzen Gesellschaft und die Angst als Kitt einer Diktatur hätten in dieser Zeit ihren Anfang gefunden.
Namen und Daten der Toten aus verschiedenen Quellen
Die Daten des Totenbuches wurden nach Angaben der Stiftung auf der Basis sowjetischer Dokumente und verschiedener deutscher Quellen zusammengetragen. Das Totenbuch dokumentiert Vornamen und Namen sowie - falls vorhanden - Geburtsdatum mit Geburtsort und Sterbedatum. Zudem liegt eine aktualisierte Neuauflage des gedruckten Totenbuchs vor.
Drei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte der sowjetische Geheimdienst NKWD im August 1945 das Speziallager Nr. 7 (insgesamt gab es zehn) aus dem Dorf Weesow bei Bernau in den Kernbereich des ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen verlegt. Bis zur Auflösung im März 1950 wurden nach Angaben der Gedenkstättenstiftung rund 60.000 Menschen in dem inzwischen in Speziallager Nr. 1 umbenannten Lager festgehalten. Im sogenannten Hungerwinter 1946/47 starben Häftlinge in Massen.
Inhaftiert waren in dem Lager die unterschiedlichsten Menschen. Die Stiftung schreibt: „Mit rund 30.000 Menschen stellte das ‚Spezkontingent‘ den größten Anteil der Häftlinge, der in der ‚Zone I‘ des Lagers untergebracht war. Diese Häftlinge waren nach den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens als Angehörige des NS-Machtapparates präventiv verhaftet und über Jahre ohne formelles Gerichturteil eingesperrt worden. Unter ihnen befanden sich vor allen Dingen untere und mittlere NS-Funktionäre, aber auch Angehörige von SS, Gestapo oder KZ-Wachmannschaften und Mitarbeiter von Ministerien und Behörden. Zur Gruppe der Internierten zählen auch einfache Mitglieder von NS-Jugendorganisationen, politische Gegner und willkürlich Verhaftete.“
Vielfach waren Denunzianten tätig, die Menschen anschwärzten und so ins Lager brachten. Auch Heinrich George, der sich mit den Nazis mindestens arrangiert hatte, und den Sohn Götz 2013 in einer TV-Doku „George“ selbst spielte, war denunziert worden.
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Sowjetsoldaten, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren, wurden im Speziallager eingesperrt
In einer Zone II waren 16.000 Menschen interniert, die bis auf wenige Ausnahmen nach Schauprozessen wegen angeblichen Widerstands gegen die Besatzungsmacht verurteilt worden waren, häufig nach Folter. Dazu kamen rund 6500 ehemalige Wehrmachtsoffiziere, die aus US-Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren, und 7000 Sowjetbürger und Emigranten: Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren und deshalb zu Verrätern erklärt wurden, Zwangsarbeiter, straffällig gewordene Mitglieder der Roten Armee.
Auf der Internetseite der Stiftung gibt es auch ein Totenbuch der Menschen, die zwischen 1936 und 1945 im Nazi-KZ-Sachsenhausen ermordet wurden oder starben. Soweit es ermittelbar war. Die Liste umfasst über 22.000 Namen, die Zahl der Toten war aber um Zehntausende höher: In dem Lager waren über die Jahre rund 200.000 Menschen inhaftiert, nur 140.000 wurden registriert.