Neustart für Deutschlands älteste Gefangenenzeitung

Die Stimme aus dem Knast: Diese vier Männer machen Zeitung hinter Gittern

Die Häftlinge, die noch lange im Gefängnis sitzen, haben den Neustart der Zeitung nach einer achtmonatigen Zwangspause gestemmt.

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Einer der Redakteure arbeitet gerade an der neuen Ausgabe: Der Titel einer älteren Ausgabe der Gefangenenzeitung Der Lichtblick hängt an einer Tür zum Redaktionsraum im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel.
Einer der Redakteure arbeitet gerade an der neuen Ausgabe: Der Titel einer älteren Ausgabe der Gefangenenzeitung Der Lichtblick hängt an einer Tür zum Redaktionsraum im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel.Jörg Carstensen/dpa

Sie geben den Gefangenen eine Stimme: vier Männer, 30 Seiten. Adrian (42), H. Peter (62), Michael (52) und Steffen (34) arbeiten bei Der Lichtblick, Deutschlands ältester Knast-Zeitung. Nach mehr als 55 Jahren drohte dem Blatt das Aus. Mithilfe von Profis und neuer Mannschaft ist der Neustart geglückt. Doch die Recherche hinter Gittern bleibt eine Herausforderung.

Gelbe Zettel mit Stichwörtern kleben unter einem Monitor, Notizen zu Recherchen stapeln sich, in Regalen stehen der Duden und andere Nachschlagewerke. Die vier Schreibtische sind jeweils mit zwei Monitoren bestückt. Auf den ersten Blick sieht das wie ein normaler Redaktionsalltag aus – jedenfalls für ältere Semester.

Die Redaktion besteht aus den Strafgefangenen Adrian (42), H. Peter (62), Michael (52) und Steffen (34)

Doch vor den Fenstern sind Gitter und die schwere knallblaue Zellentür führt zu einem langen Flur und Metalltreppen, die gut als Kulisse für alte Gefängnisfilme taugen würden. Willkommen bei Deutschlands ältester Gefangenenzeitung Der Lichtblick in der Männerhaftanstalt Berlin-Tegel.

Die Redaktion besteht aus den Strafgefangenen Adrian (42), H. Peter (62), Michael (52) und Steffen (34). Am 24. April haben sie ihren Dienst angetreten, berichten sie stolz. „Ich bin eher überredet worden“, schildert einer der Häftlinge. „Ich habe die Chance gesehen, mich kreativ und kulturell weiter zu orientieren“, sagt ein anderer. Die Häftlinge, die allenfalls in mehreren Jahren auf eine Entlassung hoffen dürfen, haben den Neustart der Zeitung nach einer rund achtmonatigen Zwangspause gestemmt.

Eine Ausgabe der Gefangenenzeitung Der Lichtblick liegt auf einem Tisch im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel, während im Hintergrund drei Redaktionsmitglieder sitzen.
Eine Ausgabe der Gefangenenzeitung Der Lichtblick liegt auf einem Tisch im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel, während im Hintergrund drei Redaktionsmitglieder sitzen.Jörg Carstensen/dpa

Dazu beigetragen hat wesentlich das Engagement der Panter-Stiftung der Tageszeitung taz. Diese organisierte mit interessierten Insassen einen Workshop. Angeleitet von Mitarbeitern der Tageszeitung übten die Teilnehmer mehrere Monate lang verschiedene journalistische Formate. „Mehr als 20 Interessenten haben sich anfangs beteiligt, vier Leute sind übrig geblieben“, berichtet Stiftungsvorständin Konny Gellenbeck. Sie haben auch die Sicherheitsüberlegungen der Anstalt überstanden.

Ein Ex-Redakteur hat seine Privilegien ausgenutzt und aus der Haft heraus eine Autovermietung betrieben

Natürlich habe dieser Aspekt auch für die Stiftung eine Rolle gespielt, als man das Projekt angegangen sei, sagt Gellenbeck. Zu den Teilnehmern gehörten Männer, die in Sicherungsverwahrung sitzen. Eine Maßnahme, die bei besonders schweren Straftaten im Anschluss an eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Andere wurden zu einer lebenslangen Haft wegen Mordes verurteilt. Kurzum: Es geht um Menschen, die nicht unbedingt Sympathieträger sind. „Aber auch Gefangene haben ein Recht auf Information“, betont Gellenbeck.

Mit rund 10.000 Euro habe die Stiftung den Neustart der Zeitung unterstützt, die erstmals 1968 erschien. „Alles Spendengelder“, so Gellenbeck. Nötig wurde es, weil Ermittlungen zu einem Überfall auf einen Geldtransporter im Juni 2022 auch in die Redaktion der Gefangenenzeitung führten: Ein früherer Redakteur soll seine Privilegien ausgenutzt und aus der Haft heraus eine Autovermietung betrieben haben. Eines dieser Fahrzeuge soll bei dem Überfall genutzt worden sein. Bei der Razzia in der Vollzugsanstalt wurden die Computer der Zeitung beschlagnahmt.

Inzwischen gibt es wieder einen eingeschränkten Zugang zum Internet und die Redaktion verfügt über einen neuen Online-Auftritt. Die Haftanstalt übernehme unter anderem die Kosten für den Druck, den Versand und die Ausstattung mit Computern sowie Telefon- und Faxanschluss, heißt es von der Senatsjustizverwaltung. Ziel sei, dass Der Lichtblick wieder quartalsweise erscheine.

Blick in den alten Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel. Viermal im Jahr erscheint Deutschlands einzige unzensierte Gefangenenzeitschrift in einer bundesweiten Auflage von 7500 Stück.
Blick in den alten Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel. Viermal im Jahr erscheint Deutschlands einzige unzensierte Gefangenenzeitschrift in einer bundesweiten Auflage von 7500 Stück.Jörg Carstensen/dpa

Dafür arbeiten seine Redakteure täglich außer sonntags ab 7.00 Uhr. „Je nachdem was anfällt, geht es abends bis 21.00 Uhr“, schildert Adrian, der als verantwortlicher Redakteur im Impressum steht. Ein „Freiläuferausweis“ ermöglicht dem Team, in dem großen Gefängniskomplex zu recherchieren und Tipps zu überprüfen.

Die Zeitung Der Lichtblick erscheint in einer Auflage von 7500 Exemplaren

„Unsere Quellen sind – potenziell – alle Inhaftierten, Rechtsanwälte und sonstige Unterstützer“, nennt H. Peter Ansatzpunkte für Themen. Die Redaktion versteht sich als „Sprachrohr“ – natürlich insbesondere für die Insassen in Tegel und generell für Gefangene. Aber da die Zeitung mit einer Auflage von 7500 Exemplaren bundesweit an Haftanstalten versendet wird und Abonnenten weltweit zu finden sind, etwa in Australien, kommen Anregungen aus vielen Richtungen.

Manchmal erinnern Anrufe in der Redaktion eher an ein Sorgentelefon, etwa wenn die Mutter eines Gefangenen unter Tränen am Hörer ist. „Das sind aber auch kostbare Momente. Mit denen haben wir gar nicht gerechnet“, schildert Steffen.

Eine Zellentür der Justizvollzugsanstalt Tegel ist als Redaktionsraum der Gefangenenzeitung Der Lichtblick gekennzeichnet.
Eine Zellentür der Justizvollzugsanstalt Tegel ist als Redaktionsraum der Gefangenenzeitung Der Lichtblick gekennzeichnet.Jörg Carstensen/dpa

In der aktuellen Ausgabe geht es etwa um ein neues Mediensystem in Hafträumen, mit dem zumindest in Berlin das Digitale Einzug halten soll. Oder um Auswirkungen der Inflation, Altersarmut und geschlechtliche Identität. Über die Themen des nächsten Heftes verraten die Redakteure nur: Die JVA Tegel wird im Oktober 125 Jahre alt, Stoff bietet auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Mini-Löhnen für Gefangene. Und nach dem Regierungswechsel in Berlin hoffen sie auf einen Besuch von Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos). „Wir haben sie eingeladen“, berichten sie.

Gut 60 Seiten hat eine Ausgabe normalerweise, das erste Blatt nach dem Neustart kommt auf 30. Etwa 60 Gefangenenzeitungen gibt es bundesweit, diese tragen jedoch nach Einschätzung des Vereins Strafvollzugsarchiv „vielfach Züge einer Anstaltszeitung“. Anders Der Lichtblick: „Wir sind als einzige Gefangenenzeitung unzensiert. Das ist so geblieben – und das schützen wir auch“, betont die Redaktion. Ihr Motto: „Informieren, allen auf die Finger schauen und, wenn nötig, gehörig draufklopfen.“

Ein Redakteur der Gefangenenzeitung blättert im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel die aktuelle Ausgabe durch.
Ein Redakteur der Gefangenenzeitung blättert im Zellentrakt der Justizvollzugsanstalt Tegel die aktuelle Ausgabe durch.Jörg Carstensen/dpa

Dafür gilt es teils Hürden zu überwinden: So kann die Redaktion nach eigenen Angaben vom Festnetz aus nur auf anderen Festnetzanschlüssen und nicht ins Ausland anrufen. „Das ist hoffnungslos veraltet und bremst uns massiv aus“, schildert H. Peter. Das gilt aus Sicht von Adrian generell mit Blick auf moderne Technik: „Digital ist das leider noch eine Katastrophe“.

Gefangene hätten nach wie vor wenig Zugriff auf das Internet, berichtet Sybill Knobloch vom Verein Freiabonnements für Gefangene. Bislang habe allein Berlin das Bestreben gezeigt, diese Situation zu ändern. „Die Zeitung spielt im Vollzug noch eine ganz andere Rolle als draußen“, betont die Geschäftsführerin des Vereins.

Für Menschen in Freiheit sei das schwer nachvollziehbar. „Aber Gefangene werden nicht mit Informationen überschüttet“, erklärt Knobloch. Darum setzt sich der in Berlin ansässige Verein für Information und Bildung für Menschen in Haft ein und vermittelt derzeit 40 verschiedene Zeitungen und Magazine.