Die Stasi verübte Anschläge auf ihn, am Wahl-Sonntag wird der Blues-Pfarrer Rainer Eppelmann 80 Jahre alt
„Bluesmusik-Messen“ für Jugendliche machten ihn für die Stasi in der DDR zum Staatsfeind.

Er gehörte zu den bekanntesten DDR-Oppositionellen und war Ziel mehrerer Mordanschläge der Staatssicherheit, später letzter Verteidigungsminister der DDR sowie CDU-Bundestagsabgeordneter. Am Sonntag wird der zum Politiker avancierte langjährige Berliner Gemeindepfarrer Rainer Eppelmann 80 Jahre alt. Sein Markenzeichen war die Organisation von „Bluesmusik-Messen“ für Jugendliche.
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Eppelmann ist gebürtiger Berliner und kommt am 12. Februar 1943 mitten im Zweiten Weltkrieg als Sohn eines Zimmermanns und einer Schneiderin zur Welt. Er wächst im Ostteil der Stadt auf, den strikten Anforderungen der Diktatur entzieht er sich. Er besucht eine Schule in Westberlin, wo sein Vater lebt.
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Der Bau der Berliner Mauer 1961 verändert schlagartig sein Leben. Er verliert nicht nur Zugang zu Schule und Freunden im Westteil, sondern wird von seinem Vater getrennt. Fortan wächst er als „gefühlter Halbwaise“ auf, wie er einmal sagt. Aber die Auswirkungen auf Eppelmanns Leben sind noch viel gravierender.
„Was soll denn einmal Inhalt deines Lebens sein?“
Der spätere Pastor kann mit den Geschichten von Jesus erstmal nicht viel anfangen. Erst eine Betreuerin in der Jungen Gemeinde in Hohenschönhausen weckte tieferes Interesse. Eppelmann nennt sie seine „Vizemutter“. Sie war es, die ihn für die großen Fragen aufschloss: „Was soll denn einmal Inhalt deines Lebens sein?“

Zunächst wird Eppelmann wegen seines im Westen lebenden Vaters das Abitur verweigert. Seinen Wunsch, Architekt zu werden, muss er begraben. Eppelmann wird Maurer. 1966 verweigert er den Wehrdienst aus religiösen und politischen Gründen und lehnt das Ersatzgelöbnis als Bausoldat ab, was ihm eine achtmonatige Haft einbringt.
„Ich war jetzt ein Stinki“, sagt er der dpa in seinem Berlinerisch, in dem alles eine Spur niedlicher klingt. Der junge Mann nutzte die Zeit der Haft, um die Bibel einmal von vorne bis hinten durchzulesen. Danach stand der Entschluss, Theologie zu studieren. Da der evangelischen Kirche Pfarrer fehlten, ließ sie Seiteneinsteiger auch ohne Abitur zu.
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Mit 26 Jahren beginnt Eppelmann also ein Studium der evangelischen Theologie und wird 1974 Pfarrer einer Gemeinde in Berlin-Friedrichshain und Kreisjugendpfarrer. Er heiratet seine Frau Eva-Maria, bald kommt das erste von fünf Kindern. Bei der Arbeit spürt er die Verzweiflung und Not vieler Menschen in der Diktatur.
Bluesmusik-Gottesdienste werden politisch
„Wir waren letztlich Erpresste“, sagt Eppelmann vor rund drei Jahren in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Besonders fallen ihm junge Menschen auf, die keine Heimat im sozialistischen System finden. Für sie organisiert er nach einem Kontakt zu einem Musiker sogenannte Bluesmusik-Gottesdienste.
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Die Veranstaltungen werden schon bald von hunderten jungen Menschen besucht, sie entwickeln sich zu Foren des Austauschs über das Eingesperrtsein. „Damit wurden wir politisch“, sagt Eppelmann. Der Staat sieht in ihm einen Aufrührer.
Stasi-Anschlag auf den aufrührerischen Pfarrer
Dutzende sogenannte informelle Mitarbeiter der allmächtigen Staatssicherheit spionieren das Umfeld des Pfarrers aus, der unter anderem auch als Initiator von Friedensappellen auffällt. In der Stasi gilt er Staatsfeind. Es werden nach eigenen Angaben Anschläge auf ihn verübt. Einmal rast ein Auto in seinen Trabant, er bricht sich zwei Halswirbel und entgeht nur knapp einer Lähmung.

Während der friedlichen Revolution im Herbst 1989 wird der Geistliche mit dem unverkennbaren Berliner Dialekt schnell zu einer wichtigen Figur. Er gehört zu den Mitbegründern des Demokratischen Aufbruchs, einer oppositionellen Partei, die erst mit der CDU kooperiert und schließlich in dieser aufgeht.
Karriere in der ostdeutschen CDU
Eppelmann wird nach der Volkskammerwahl im März 1990 Verteidigungsminister in der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière. Nach der Vereinigung und der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Herbst und Winter 1990 zieht er als CDU-Direktkandidat in einem Brandenburger Wahlkreis in den Bundestag ein.
Zeitweise übernimmt er später auch den CDU-Vorsitz in Brandenburg und gehört dem Bundesvorstand an. Darüber hinaus leitet er die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, die Arbeitnehmerinteressenorganisation innerhalb der CDU. Innerparteilich hat er laut Beobachtern aber keinen großen Einfluss.

Ein Hauptaugenmerk seiner Arbeit gilt weiterhin dem DDR-Unrecht. So wird er 1998 zum Vorsitzenden der bundeseigenen Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Bei der Bundestagswahl 2005 tritt Eppelmann nicht mehr an.
Friedlicher Unruhestifter
Seitdem ist es eher still um den früheren Dissidenten, der sich aber hin und wieder etwa in Interviews zu Wort meldet. Sein größter politischer Erfolg sei gewesen, „dass es die DDR nicht mehr gibt“, sagt er bereits vor mehr als 15 Jahren der „Zeit“ anlässlich seines Abschieds aus der Politik. Er sei „ein ungeheuer glücklicher Mensch“, der sich „auf der Seite der Gewinner erlebe“.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck nennt Eppelmann einen „friedlichen Unruhestifter“ und schreibt: „Rainer Eppelmann ist einer der seltenen Menschen, die selbst in der Diktatur erkannten, eine Wahl zu haben. Als die meisten Menschen in der Anpassung verharrten, stand er stets für seine Überzeugungen ein, selbst wenn das bedeuten konnte, ins Gefängnis gehen zu müssen.“ Eppelmanns großes Verdienst sei, Menschen zu ermutigen und darin zu bestärken, ihre Angst abzulegen und als freie Menschen zu handeln."