Linumer Bruch, das wohl nördlichste Anbaugebiet von Reis in Europa: Wiebke Fuchs (33) und Robert Jäkel (32) bei den jungen Reispflanzen. 
Linumer Bruch, das wohl nördlichste Anbaugebiet von Reis in Europa: Wiebke Fuchs (33) und Robert Jäkel (32) bei den jungen Reispflanzen.  Volkmar Otto

Guido Leutenegger schwankt. Zu viele Erwartungen will er nicht wecken. Aber der Pioniergeist, der in diesen Tagen über den Linumer Teichen schwebt, lässt sich nicht immer im Zaum halten. Wenn diesmal wirklich klappt, was er und sein Team 2020 zum ersten Mal versucht und am Ende vergeigt haben, könnten die ehemaligen Karpfenteiche in Linum das nördlichste Reisanbaugebiet der Republik, vielleicht sogar Europas werden.

Reis mag es warm. Brandenburger Sommer sind warm

Reis mag es warm. Warm sind die Brandenburger Sommer. Schon ein durchschnittlich warmer Sommer würde reichen. Guido Leutenegger kommt aus der Schweiz, wo er ökologische Landwirtschaft betreibt. Auch im Tessin wird Reis angebaut. Heute sind es dort 12 Grad, hier in Linum am Vormittag 14 Grad, liest er schnell auf dem Handy ab. Um die 20 Grad wären im Durchschnitt toll, ein heißer Sommer eher noch zuträglich als ein Problem.

Guido Leutenegger (65) glaubt an seinen Großversuch, Reis in Brandenburg anzubauen. 
Guido Leutenegger (65) glaubt an seinen Großversuch, Reis in Brandenburg anzubauen.  Volkmar Otto

Neben der Wärme benötigt Reis Wasser. Viel Wasser. Und das haben sie hier in den ehemals bis zu 58 Karpfenteichen in Linum. In der DDR wurde hier Fischerei in großem Stil betrieben. Mittlerweile sind im Teichland Linum, dessen Flächen Leutenegger von den Stadtgütern Berlin pachtet, nur noch einige der Teiche mit Karpfen besetzt.

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Der Absatz von Karpfen als Speisefisch stagniert oder ist rückläufig. 10.000 Karpfen produzieren sie hier noch. Warum anstelle von Karpfen dann nicht sexy Fisch wie Forelle oder Zander ziehen? Die Wasserqualität gebe das nicht her, erklärt Guido Leutenegger.

Was also tun, wenn man mehr Teiche hat als es Silvester gibt – und als Karpfen gekauft wird?

85.000 Reissetzlinge in Brandenburger Boden 

Am Ende entscheidet eben doch der Konsument darüber, was die Landwirte anbauen.  Und so hat Leutenegger mit seinem jungen Team in zwei der nicht mehr genutzten Teiche Mitte Mai 85.000 Reissetzlinge gepflanzt. Auf einem anderen Feld wurde Reis gesät. Im nassen Boden beginnen die Samen unter der Brandenburger Sonne bald zu keimen.

Auf zwei der Teichflächen in Linum wird Reis angebaut.  
Auf zwei der Teichflächen in Linum wird Reis angebaut.   Volkmar Otto

Am Rande der Teiche bewegen sich, während wir die Reihen von kleinen Reispflanzen bestaunen, große schwarze Tiere mit gebogenen Hörnern durch das Dickicht. Wenn der dramatische Himmel über den knallgrünen Reispflänzchen steht, fühlt man sich tatsächlich asiatisch.

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Die Wasserbüffel sind aber nicht zur Dekoration hier. In den Betrieben von Guido Leutenegger geht die Produktion von Lebensmitteln immer Hand in Hand mit Naturschutz und dem Erhalt von Biodiversität. Die Wasserbüffel weiden auf den Dämmen und halten die Teiche gesund und frei von Bewuchs.

Mit demselben Credo hält Guido Leutenegger in der Schweiz naturnah Mutterkühe auf einst aufgegebenen Almen. In Ökobetrieben bei Potsdam und in Ribbeckhorst weiden ebenso Black-Angus-Rinder. Die Höfe versorgen sich selbst, das Futter für die Tiere wird biozertifiziert vor Ort angebaut. Seit 2019 bewirtschaftet Leuteneggers Betrieb Natur konkret auch die Flächen in Linum.

Wasserbüffel in Linum halten die Teiche sauber und grasen auf den Dämmen. 
Wasserbüffel in Linum halten die Teiche sauber und grasen auf den Dämmen.  Volkmar Otto

Und tatsächlich wagte sich der landwirtschaftliche Unternehmer schon im ersten Jahr in Linum an einen Anbauversuch für Reis. Nur erzählt hat er es keinem. „Wir haben alles falsch gemacht“, sagt Leutenegger heute. Und trotzdem sei damals der Reis bis fast zur Reife gelangt.

Milchreife nennen das Fachleute wie Robert Jäkel, der bei Natur konkret Betriebsleiter ist. Noch ein bisschen mehr Zeit und auf die Teigreife wäre die Kornreife gefolgt. Diesmal stehen die Chance deutlich besser. Die Linumer haben gelernt und auch Experten zurate gezogen: Auf das Wassermanagement kommt es an und auf die Pflege der Felder. Dass am Ende Schilf das Feld überwuchert, soll dieses Jahr nicht vorkommen.

Linumer Teichreis als schmackhaftes Nischenprodukt 

Dass ihr Reis konkurrenzfähig zum 3-Euro-Produkt beim Discounter sein wird, davon gehen sie in Linum selbstverständlich nicht aus. 600 Millionen Tonnen Reis werden pro Jahr weltweit produziert. In dieses Weltmarkt-Karussell einzusteigen, ist nicht das Ziel.

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Wenn der Linumer Teichreis zur Ernte kommt, wird er ein Nischenprodukt bleiben. Aber wenn alles gut geht, ein besonders feines und schmackhaftes.

„Wir hoffen, dass wir zehn Tonnen Reis ernten können“, sagt Guido Leutenegger, das sei in etwa so viel wie auch ein Weizenfeld abwerfe. Er spricht in Sachen Reis von einem hoffnungsvollen Versuch mit einigen Fragezeichen. Wenn es im September oder Anfang Oktober Reis gibt, dann soll er im Hofladen oder in regionalen Restaurants vermarktet werden.

Pünktlich zur Kranichzeit im Herbst könnte es in Linum dann eine regionale Attraktion mehr geben.

Das wohl nördlichste Anbaugebiet von Reis in Europa: Geschäftsführerin Wiebke Fuchs (33) und Betriebsleiter Robert Jäkel (32). 
Das wohl nördlichste Anbaugebiet von Reis in Europa: Geschäftsführerin Wiebke Fuchs (33) und Betriebsleiter Robert Jäkel (32).  Volkmar Otto

Ein befreundeter Gastronom hat heute schon einmal die Sorte Risottoreis zubereitet, deren Halme bisher in den Linumer Teichen nur die Spitzen aus dem Wasser strecken. Lotto heißt die Sorte und geschmacklich ist sie ein echter Hauptgewinn. Wie übrigens auch das Fleisch der nebenan weidenden Angus-Rinder.

Der nördlichste Reisanbauversuch der Welt 

„Nach unserem Wissensstand handelt es sich bei diesem Versuch um den nördlichsten Reisanbauversuch der Welt“, sagt Guido Leutenegger. Auch in Halle in Mitteldeutschland gibt es Versuche, Reis anzubauen. Auch weiter südlich. Doch nördlich von Berlin sind die Reis-Pioniere bisher allein unterwegs.

Wenn der Versuch gelingt, wäre das auf jeden Fall ein kulinarischer Gewinn. Doch schon heute profitieren Rotbauchunken und Vögel wie der Waldwasserläufer von den unter Wasser stehenden Reisfeldern. Wenn im Storchendorf der Reisanbau gelingt, dann wäre das eine echte Sensation.

Guido Leutenegger denkt bereits über die Verpackung nach: Stoffsäckchen mit Linumer Teichreis. Auch wenn es eigentlich ein Langkornreis ist: eine runde Sache.