Die Oder sollte den Urzeitfisch vorm Aussterben retten: Jetzt sitzt der Stör im Gift-Fluss in der Todesfalle!
Seit 15 Jahren kümmert sich ein Berliner um die Wiederansiedlung des Tieres. Mit der Katastrophe ist nun auch das Millionen-Projekt bedroht.

Das Fischsterben in der Oder fordert immer mehr Opfer. Jetzt ist der Stör in Gefahr. Eigentlich sollte die Oder dem Tier eine neue Überlebenschance bieten, das seit Jahren in Deutschland als ausgestorben gilt. Millionen von Euro wurden für die dortige Wiederansiedlung des Baltischen Störs ausgegeben, der schon vor über 200 Millionen Jahren existierte, als noch die Dinosaurier über unseren Planeten stampften. Doch nun sitzt der Urzeitfisch in dem giftigen Fluss in der Falle.
Noch immer ist unklar, welche toxischen Substanzen das Leben in der Oder vernichten. War es eine giftige Algenart, deren Wachstum durch Industrieabwässer gefördert wurde? Fakt ist: Über 100 Tonnen Fischkadaver wurden bisher angeschwemmt, schätzt der BUND. Welse, Rotfedern, Barsche, Hechte und vor allem Rapfen. Das allein ist schon schlimm genug. Doch nun wurden auch die ersten toten Störe in dem Fluss gefunden, der diesem Fisch eigentlich das Überleben sichern sollte.
„Wir erhielten Berichte, dass mittlerweile die Kadaver von 40 großen Tiere im Unteren Odertal entdeckt wurden“, sagt Jörn Geßner, Biologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. „Eine Katastrophe.“

Diese Störe hätten in naher Zukunft für Nachwuchs in der Oder sorgen können und das ihre Art in dem Fluss aus eigener Kraft wieder sesshaft wird, erklärt der Wissenschaftler. „Es ist eine Katastrophe, dass die Existenz dieser Fische, die die Dinosaurier und viele Geschehnisse, die seit Millionen von Jahren auf unserem Planeten passiert sind, überlebt haben, nun von Menschenhand vernichtet wird.“
40 tote Störe im Fluss gefunden - sie stammen aus dem Rettungsprogramm
Der Stör steht auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Von den 25 Arten sind 23 akut gefährdet, 16 davon sind vom Aussterben bedroht. Der baltische Stör aus der Ostsee, der in der Wildnis bis zu 100 Jahre alt werden kann, gilt quasi als ausgerottet.
Die massenweise Jagd nach dem Urzeitfisch als Kaviar-Lieferant ist längst nicht mehr das Hauptproblem. Es sind die Veränderungen der Gewässer unter anderem mit Stauwehren und die Verschmutzung der Flüsse, die seinen Lebensraum zerstören. In Deutschland wurden in den 50er- und 60er-Jahren die letzten Störe gefangen. Seit dem gilt er bei uns als ausgestorben.

Der Berliner Biologe Jörn Geßner begann vor 15 Jahren mit der Rettung des Urzeitfisches. Mit Tieren aus Kanada, die mit dem Ostsee-Stör genetisch verwandt sind. Es wurden Zuchtstationen errichtet. 2007 begann Geßner mit der Aussetzung der ersten 500 Jungstöre in der Oder. „Bis zu diesem Jahr wurden insgesamt 3,5 Millionen Jungtiere verschiedenen Alters in den Fluss gebracht“, sagt Geßner.
Bis diese Störe selber für Nachkommen sorgen können, ist es ein sehr langer Weg. Zunächst müssen die Jungstiere, die markiert sind, monatelang die Oder bis zur Ostsee hinauf ziehen, um von dort in die Meere zu gelangen. Erst wenn sie geschlechtsreif sind, kehren sie nach 15 Jahren zum Laichen in ihren Heimatfluss zurück. Anglern ist es verboten, die Fische zu fangen und zu töten. Sie müssen versehentlich gefangene Tiere zurücksetzen und die Sichtung melden.

Zehntausende Jungstöre durch Oder-Giftwasser getötet
In diesem Jahr hätte man vielleicht die ersten Baby-Störe in der Oder finden können. Doch dann kam das Fischsterben. Es betraf nicht nur die toten, größeren Störe, die man jetzt in der Oder fand. „In unserem Zuchtcontainer starben Zehntausende bis zu drei Monate alte Jungfische, die für weitere Aussetzungen geplant waren“, sagt Geßner. Der Grund: Um die Mini-Störe an die Oder zu gewöhnen, wurde der Container mit den Jungtieren mit Oder-Wasser durchspült. Die giftigen Substanzen sorgten dann für ihr Sterben, so der Biologe. „Wir hätten diese Fische retten können, hätten wir rechtzeitig von dem Fischsterben auf der polnischen Seite erfahren“, sagt er.
Möglicherweise wurden auch die über 1000 Jungstöre von den giftigen Substanzen getötet, die dieses Jahr im April und Mai in die Oder ausgesetzt wurden. Geßner hofft, dass einige dieser Urzeitfische in die Seitenarme und Nebenflüsse kamen, die dem Fischsterben nicht ausgesetzt waren.
Die Rückkehr des Störs in die Oder: Das Projekt, das vom BUND und dem NABU unterstützt wird, bisher etwa drei Millionen Euro kostete, ist durch die Giftwelle in dem Fluss bedroht. BUND-Gewässer-Experte Sascha Maier geht zwar davon aus, dass sich die Oder schnell von der Katastrophe erholen könnte. Aber ob und wann man mit dem Wiederansiedlungsprojekt weiter machen kann, steht in den Sternen.

Jungstöre wären trotz der Katastrophe in dem Aufzucht-Container da - dank der Zuchtstation bei Angermünde, die nicht von dem Giftwasser betroffen ist und mit der der NABU das Stör-Projekt an der Oder seit Jahren unterstützt. Das Problem: „Keiner kann sagen, wann wir mit der Aussetzung der Fische weiter machen können. Ob das schon im nächsten Jahr soweit sein kann oder erst viel später - solange wir nicht genau wissen, was das Fischsterben in der Oder ausgelöst hat“, sagt Geßner.
Selbst wenn das klar ist, gibt es noch ein Problem. Mit dem Gift in der Oder sind nicht nur Fische auch massenhaft Schnecken und Muscheln gestorben – die Hauptnahrung der Störe. Ob und wann der Stör wieder zu uns an die Oder zurückkehren und für Nachwuchs sorgen kann, bleibt somit offen.