Die liebe Geschichte von einem bösen Vermieter
Es könnte die oft erzählte Geschichte guter Mieter versus böser Vermieter werden. Doch das Haus an der Torstraße, seine Bewohner und sein Besitzer liefern den Stoff für eine vielschichtigere Erzählung.

Benjamin Pritzkuleit
„Kaufen, reinschlüpfen, wohlfühlen“ - der Aufsteller vor dem frisch gestrichenen Haus in der Torstraße 39 gehört zu einer Berliner Institution – dem Pantoffeleck Jünemann. Im Souterrain verkaufen die Jünemanns in vierter Generation bequeme Latschen. Doch für einige Mieter des Hauses, das dem Filmproduzenten, Investor und Galeristen Lars Dittrich gehört, passt der Slogan nicht. Ihr Leben in dem Haus an der Torstraße, so empfinden sie es, ist alles andere als puschelig. „Kaufen, verdichten und verdienen“, würden sie lieber auf eine Tafel vor dem Haus schreiben. Schon länger ist ihr Verhältnis zum Vermieter schwierig. Und nun will er in den schmalen Hinterhof des Wohnhauses auch noch ein Bürogebäude bauen.
Dies könnte die oft erzählte Geschichte guter Mieter versus böser Vermieter werden. Doch das Haus an der Torstraße, seine Bewohner und sein Besitzer bieten exemplarisch Stoff für eine vielschichtigere Erzählung.
Rosemarie Nünning ist eine resolute Frau, die weiß, dass sie rechtlich gesehen kaum eine Chance hat, gegen die Baupläne ihres Vermieters vorzugehen. Was ihr bleibt, ist Öffentlichkeit herstellen, unbequem sein. Und so treffen sich an einem regnerischen Vormittag vier weitere Mieter der Torstaße mit Rosemarie Nünning, um vor Ort zu zeigen, welche Auswirkungen ein Neubau im Hinterhof hätte.
Von Brandwand zu Brandwand soll der Klotz gebaut werden. Ein Fenster einer Wohnungseigentümerin im Nachbarhaus müsste dafür zugemauert werden. Aus dem Fleckchen Grün, welches die Kinder in der Torstraße 39 manchmal nutzen, würde ein öffentlicher Platz , den man im schlimmsten Fall mit telefonierenden oder rauchenden Büromenschen teilen müsste. Die Mieter fürchten Zustände wie in Zilles Mietskasernen, nur stylisher natürlich.
Auf einer Visualisierung ist ein treppenförmiger Bau mit Glasfassaden zu sehen. Man kann das Haus auch schön finden. Das Stück Himmel, das diejenigen sehen, die nur Fenster zum Hof haben, würde aber auf jeden Fall kleiner, daran lässt sich nicht rütteln.
Nicht mitgenommen bei der Planung
Die Mieter in der Torstaße 39 haben mittlerweile ein feines Gespür dafür entwickelt, wenn sich etwas Neues anbahnt. „Ende Februar kamen Leute und haben einen Baum im Hof gefällt, dann kamen die Vermesser, schließlich die, die eine Bodenprobe nahmen“, sagt Rosemarie Nünning. Das historische Kellergewölbe unter dem Rasen bohrten sie dabei an, dabei hätten sie nur klingeln und fragen müssen, die Menschen hier im Haus wohnen schon 20, 30 Jahre hier und kennen sich bestens aus. Doch mitgenommen auf der Reise in die Zukunft in bester Innenstadtlage fühlen sie sich nicht.
Ein Eigentümer spricht selten mit seinen Mietern über seine Pläne, muss er auch nicht. Doch als Diskussionen um den geplanten Neubau im Haus hochkochen, ruft Lars Dittrich selbst bei Rosemarie Nünning an. Sie habe doch nur Angst, er wolle das Haus entmieten, habe er zu ihr gesagt. Und bekräftigt, dass dies nicht sein Plan sei. Doch Rosemarie Nünning will daran nicht glauben.
Das Verhältnis ist belastet, seit sich Dittrich im letzten Jahr die Renovierung der Hausfassade mit einem gigantischen, undurchsichtigen Werbebanner querfinanzierte. Das Banner hing plötzlich und über Nacht am Baugerüst und verdunkelte fünf Monate lang die Fenster. Heute räumt Dittrich unumwunden ein, dass das mit dem Plakat keine gute Idee war. „Das war unglücklich“, sagt er. Den Mietern überwies er im Anschluss ungefragt eine Gutschrift. Ein hoher zweistelliger Prozentbetrag der Miete. Bei einigen kam diese Botschaft so an, als wolle er sich freikaufen.

Benjamin Pritzkuleit
Im Hof Einnahmen generieren, damit Mieten günstig bleiben
„Egal wie ich es mache, ich kann es nur falsch machen“, sagt Dittrich, der am liebsten seine Rolle in diesem öffentlichen Schauspiel Mieter vs. Investor komplett aus dem Drehbuch streichen würde. Zu festgelegt sind die Klischees. Dittrich als Besetzung für den bösen Investor, das ist zu kurz gedacht für einen, der mit seiner Rolle als so öffentlich sichtbarer Unternehmer mit sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung sichtlich hadert.
In seinem Haus in Laufweite zum Fernsehturm liegt die Durchschnittsmiete bei 5,82 Euro kalt für den Quadratmeter. Gestattet man sich, das Lager der Mieter zu verlassen, gibt es durchaus Argumente für einen Lückenschluss im Hinterhof. Hinten würden mit Büros, die abends leer stünden, Einnahmen erwirtschaftet, damit im Vorderhaus Mieter wie Frau Nünning weiter günstig wohnen können. Wie beim Fußball, wo die Zuschauer in den VIP-Logen mit 3000-Euro-Tickets die Stehplätze für 15 Euro mit bezahlen.
Ein verkitschter Romantiker sei er, sagt Dittrich über sich selber, mit Sympathie für den kleinen Handwerksbetrieb im Untergeschoss. Jünemann hat Planungssicherheit auf Jahre, mit dem Zahnarzt im Haus sei man sich eben nicht einig geworden. Wo Menschen wohnen, gibt es kein Schwarz und Weiß. Vielmehr ein ständiges Aushandeln und Abwägen von Interessen. Lars Dittrich und Rosemarie Nünning sind währenddessen, ohne es zu wollen, in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung in Schablonen stecken geblieben. Die eine fühlt sich als Mieterin bedroht, obwohl sie es nicht ist, der andere als Miethai, als rücksichtsloser Klotz verunglimpft, obwohl er es nicht ist.
Wenn Dittrich verkauft, kommt ein neuer, namenloser Investor
Wenn er alles mitnehmen würde, was geht, dann müsste Dittrich das Haus genau genommen verkaufen oder teurer vermieten. Dann käme ein neuer, vielleicht namenloser Investor, der ein neues Gerüst aufstellt. Wenn er alles mitnehmen würde was geht, dann wären Mieter wie Rosemarie Nünning vielleicht schon nicht mehr da. "Warum sich das antun, sich öffentlich etwas ankleben lassen, was man nicht ist?", fragt sich Dittrich.
„Wir sind noch im Genehmigungsverfahren und es ist völlig offen, ob das Bürogebäude überhaupt gebaut wird“, sagt Dittrich zum Schluss. Klingt, als wäre Zeit, sich doch noch einmal gegenseitig zuzuhören.