Die Enkelin von Karl Liebknecht sagt: „Ich vermisse die DDR. Der Individualismus ist nichts für mich.“
Die 90-Jährige pendelt eigentlich zwischen Moskau und Hennigsdorf. Doch Corona und der Krieg setzen ihr zu.

Sie trägt einen großen Namen. Liebknecht. Und das nicht aus Zufall. Maja-Karlena Liebknecht ist die Enkelin von Karl Liebknecht. Dem 1919 ermordeten Revolutionär und KPD-Gründer, in dessen Namen (und dem von Rosa Luxemburg) bis heute jedes Jahr im Januar Tausende zum Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde pilgern, um den Vordenkern einer sozialistische Idee zu gedenken. Maja-Karlena Liebknecht ist 90 Jahre alt, immer noch agil. Sie pendelt zwischen ihren Wohnungen in Hennigsdorf und Moskau und erzählt im Gespräch, wie sehr sie die DDR vermisst.
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Obwohl: Dass mit dem Pendeln zwischen Moskau und Hennigsdorf, nordwestlich von Berlin, klappt zur Zeit nicht richtig. Sie hat zwar zwei Wohnungen, doch im Moskauer Domizil im Stadtzentrum unweit der Christ-Erlöser-Kathedrale war sie schon lange nicht mehr.
Zurzeit kann sie nicht zurück nach Russland, erzählte sie jetzt einem Reporter der Berliner Zeitung: „Meine gesundheitliche Verfassung, Corona und der Ukraine-Krieg sind solche Faktoren, die dafür sorgen, dass ich nicht zurück kann.“ Moskau ist für sie wegen der Sanktionen gegen Russland nur schwer zu erreichen. „Statt eines dreistündigen Direktfluges von Schönefeld oder dem Nachtzug vom Bahnhof Lichtenberg muss man ja jetzt über Istanbul oder Belgrad fliegen“, sagt sie bedrückt. Zu viel Reisestrapazen für die immer noch fitte 90-Jährige.
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Maja-Karlena Liebknecht (90) ist in Moskau geboren und aufgewachsen
Dabei ist Moskau für Maja-Karlena Liebknecht mehr als ein zweiter Wohnsitz. Sie ist hier am 26. März 1932 geboren, sie ist hier aufgewachsen. Auch russisch ist ihre Muttersprache. Ihr Vater, Wilhelm Liebknecht, der älteste Sohn von Karl, emigrierte damals in die Sowjetunion. Die 90-Jährige erzählt, dass ihr Vater nach der Ermordung von Karl Liebknecht in Deutschland diskriminiert und in Sippenhaft genommen wurde, „ob in der Schule oder der Universität“.

Ihr Vater war am 15. Januar 1919, dem Tag der Ermordung Karl Liebknechts, erst 18 Jahre alt. Er war dermaßen traumatisiert von der Ermordung Karl Liebknechts, dass er selten über seinen Vater sprach. „Die Emigration in die Sowjetunion Ende der 20er-Jahre war ein Glücksfall für ihn, da er von nun an für die Ideen seines Vaters weiterkämpfte“, erzählt Maja-Karlena Liebknecht der Berliner Zeitung.
Obwohl sie ihn nie kennenlernte, spielt Opa Karl bis heute ein große Rolle im Leben von Maja-Karlena Liebknecht. Gerade liest sie das Buch „Lebt wohl, Ihr lieben Kerlchen“ – mit Briefen, die Karl Liebknecht an seine Kinder schrieb. Die 90-Jährige erzählt, dass sie in diesem Buch ihren Großvater „als Menschen kennen“ kennenlerne und nicht nur als Revolutionär. Vieles von dem, was ihr Vater, schwer traumatisiert, nie erzählte.
„Ich vermisse die DDR“, sagt die Enkelin von Karl Liebknecht
Dass Maja-Karlena Liebknecht viel liest, versucht, die Geschichte zu verstehen, sieht man in ihrer Hennigsdorfer Wohnung. Bücherregale dominieren, jedes Zimmer mit Ausnahme der Küche könnte eine eigene Bibliothek sein. An den Wänden hängen Gemälde und Souvenirs. Auf dem Schreibtisch steht ein großes Porträt ihres Vaters.
Ihr Vater, er starb 1975, kehrte nie nach Deutschland zurück. „Auch, weil er in der DDR keine politische Rolle spielen wollte“, wie sie vor vier Jahren erzählte. Anders Maja-Karlena Liebknecht. Sie studierte nach dem Krieg Chemie, arbeitete als Chemikerin in der DDR. Als deutsch-russische Übersetzerin blühte sie dann beruflich auf und pendelte regelmäßig zwischen den Hauptstädten der DDR und der Sowjetunion.

Das Leben damals und die Ideen ihres Opas haben sie geprägt. „Ich vermisse die DDR“, erklärt sie in der Berliner Zeitung, „der Individualismus ist nichts für mich.“ Die Enkelin von Karl Liebknecht sehnt sich nach einer „kollektiven Idee, weg vom Konkurrenzdenken“.
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Am 15. Januar macht sie sich wohl auch deshalb immer rar. „Am Jahrestag der Ermordung meines Großvaters gebe ich mich nicht immer zu erkennen, da ich den Trubel um meine Person eher meiden will“, sagt sie. Trotzdem berührt es die 90-Jährige, wenn Jahr für Jahr Tausende zum Friedhof der Sozialisten in Lichtenberg pilgern, um unter anderen „meines Opas“ zu gedenken.

Um sich herum hat Maja-Karlena Liebknecht Bekannte und Freunde, mit denen sie Weihnachten, Ostern und Geburtstage gemeinsam feiert. Die Familie ist hingegen in der ganzen Welt, von Wien über Paris bis in die USA, verteilt. Wenn man sie fragt, wo sie denn lieber wäre, sagt sie: „Ich bin in Moskau geboren, aber Hennigsdorf ist meine zweite Heimat.“
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