Berlin trocknet aus

Derk Ehlert: „Wir brauchen acht Wochen Dauerregen“

Stadtnaturexperte Derk Ehlert über die Trockenheit in Berlin und darüber, wie Pflanzen und Tiere unter dem Hitzestress leiden und warum Honigtau wirklich manchmal in Honig steckt.

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Derk Ehlert kennt Berlins Stadtnatur und ihre Tiere wie kaum ein anderer. Und er kann erklären, was die Natur jetzt braucht.
Derk Ehlert kennt Berlins Stadtnatur und ihre Tiere wie kaum ein anderer. Und er kann erklären, was die Natur jetzt braucht.Volkmar Otto

Berlin klebt und schwitzt. Wer derzeit mit dem Rad unterwegs ist, spürt den surrenden Widerstand an den Reifen sofort. Auch an Schuhen klebt es beständig. Die derzeitige Trockenheit hat viele Auswirkungen auf die Natur und sie ist nicht das einzige Problem.

Aus Sicht des Stadtnaturexperten Derk Ehlert sind die hohe Strahlungsintensität und die Temperaturen genauso fatal. „Es ist nicht allein entscheidend, dass der Boden austrocknet. Es ist damit verbunden auch für viele Pflanzen sehr schädlich, dass so eine hohe Strahlungsintensität vorherrscht“, sagte der Fachmann der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. „Das sind also mehrere ungünstige Faktoren. Selbst wenn man einen Baum immer nass halten würde, könnte er oben Verbrennungen zeigen“, sagte Ehlert.

Wenn in den kommenden Tagen also ab und an Wolken den Himmel bedecken, ist das günstig für Flora und Fauna.

Hohe Temperaturen am Boden schädlich für Pilze und Bakterien

Erwärme sich der Boden stark, sei das zudem schädlich für das Leben im Boden, also etwa für Pilze und Bakterien, die wichtig seien für das Wurzelwerk. Mit Blick auf Berlins Wälder sagte Ehlert: „Die Bäume stehen unter ganz starkem Klimastress. Die haben in den vergangenen Jahren schon sehr viel Belastung gehabt und 2023 scheint wieder so ein Jahr zu werden.“ Als Reaktion könnten sich Bäume etwa von Blättern oder Nadeln befreien, die sie nicht mehr versorgen können, indem sie diese abwerfen.

Anwohner gießen die Straßenbäume. Die für Katastrophen vorgesehenen Handwasserpumpen funktionieren und Kiezbewohner kümmern sich um das Grün am Straßenrand.
Anwohner gießen die Straßenbäume. Die für Katastrophen vorgesehenen Handwasserpumpen funktionieren und Kiezbewohner kümmern sich um das Grün am Straßenrand.Volkmar Otto

In den vergangenen sechs Wochen habe es mit Ausnahme kleiner, lokaler Schauer kaum oder nicht geregnet in der Hauptstadt – nach einem Jahresbeginn mit überdurchschnittlich viel Regen, fasste Ehlert zusammen. „Es konnte erfreulich viel Wasser in den Wintermonaten in den Untergrund gelangen und auch tiefere Bodenschichten erreichen. Trotzdem herrscht bei uns immer noch Dürre im Boden“, sagte Ehlert. „Wenn ich mir was wünschen würde, dann wäre es ein einsetzender Regen, der ungefähr acht Wochen anhält.“ Das sei zwar nicht toll für die Gartenlokale, aber mehr als erholsam für die Tier- und Pflanzenwelt.

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Bienenfresser vor den Toren Berlins

Auf die Trockenheit reagiere die Tierwelt sehr, sehr unterschiedlich. Schlecht sei die Situation vor allem für Arten, die unmittelbar im Wasser lebten oder davon abhängig seien, beispielsweise Frösche und Lurche. „Sie sind als Erstes davon betroffen, wenn Teiche trocken fallen.“ Nutznießer gebe es aber auch, etwa wärmeliebende Insektenarten, die sich auch hierzulande zunehmend ausbreiteten. Als Beispiel nannte Ehlert die Gottesanbeterin, eine Fangschreckenart.

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Auch exotisch wirkende Vögel wie die bunten Bienenfresser profitierten. Lange habe es diese Art nur punktuell im wärmebegünstigten Südwesten Deutschlands gegeben, inzwischen aber auch in Mittel- und Ostdeutschland. „Gar nicht weit vor den Stadtgrenzen Berlins entfernt im Süden gibt es schon die erste Bienenfresser-Kolonie“, sagte Ehlert. Ab und zu flögen die Vögel auch über Berlin. „Das ist eine Art, die wir uns noch vor 30 Jahren hier hätten nicht vorstellen können.“

Was das Wässern von Straßenbäumen angeht, so wird den Bürgern die Nutzung der Online-Plattform „Gieß den Kiez“ empfohlen, sagte Uwe Bahr vom BUND Berlin. Nutzer könnten dort schauen, ob vor allem Jungbäume in ihrer Straße für eine Gießpatenschaft infrage kommen. Altbäume hingegen könnten sich in der Regel selbst versorgen.

Honigtau – Berlin klebt vor lauter Blattlaus-Pipi

Eine weitere Folge ausbleibenden Regens ist der klebrige Belag, der derzeit auf Rad- und Fußwegen, aber auch auf Autoscheiben fest haftet.

Fahrzeug mit Lindenblüten und Honigtau
Fahrzeug mit Lindenblüten und Honigtauimago/Sascha Steinach

Das Phänomen Honigtau, die Ausscheidungen von Blattläusen, ist allerorten spürbar. Dennoch gebe es in diesem Jahr nicht mehr Blattläuse als sonst. Normalerweise werde aber der klebrige Honigtau durch den Regen schnell weggespült. Wenn der Regen fehlt, wird die klebrige Schicht dicker.

Für viele Insekten und andere Tiere ist der zuckerhaltige Kot der Blattläuse zur Ernährung überlebenswichtig, so Ehlert. Wer ebenfalls neugierig auf den Geschmack geworden ist, kann Waldhonig aus dem Supermarkt kosten. Dieser besteht nach Angaben von Ehlert fast ausschließlich aus den Hinterlassenschaften der Blattläuse.