Er tötete eine Lehrerin, verletzte zahlreiche Menschen
Der Totraser vom Breitscheidplatz: War der Völkermord an den Armeniern das Tatmotiv?
Der Genozid geschah vor 100 Jahren im Osmanischen Reich. Laut Indizien könnte er der Grund dafür gewesen sein, warum Gor V. mit seinem Renault in eine Menschengruppe fuhr.

Eine Lehrerin wurde getötet, zahlreiche Menschen verletzt. Ein Tag nach der Amokfahrt in Berlin ist weiterhin unklar, warum Gor V. (29) am Mittwochvormittag mit seinem Renault-Clio nahe des Breitscheidplatzes in eine Menschengruppe raste. Trotz den Vernehmungen des Deutsch-Armeniers durch die Polizei gibt es derzeit noch immer keine Antwort. Aber es gibt Indizien. Der Völkermord an den Armeniern könnte das Tatmotiv sein, der vor über 100 Jahren im damaligen Osmanischen Reich begangen wurde.
Alljährlich gedenken die Armenier im April an den Genozid. Die Gräueltat wird von der Türkei bis heute bestritten und nicht anerkannt. Das dieser Völkermord ein mögliches Tatmotiv für die Amokfahrt von Gor V. sein könnte, dafür spricht die Tatsache, dass in dem Auto des Deutsch-Armeniers Plakate und Schriftstücke gefunden wurden, auf denen Äußerungen zur Türkei stünden, wie es offiziell hieß. Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte im RBB betont: Man schließe bei den Ermittlungen zu der Tat im Moment „gar nichts“ aus.
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Amokfahrt wegen Völkermord? Beim Genozid vor über 100 Jahren starben bis zu 1,5 Millionen Armenier
Massaker und Todesmärsche: Der Völkermord an den Armeniern geschah während des Ersten Weltkrieges zwischen 1915 und 1916 im Osmanischen Reich, ging als einer der ersten systematischen Genozide des 20. Jahrhundert in die Geschichtsbücher ein. Bis zu 1,5 Millionen Armenier wurden getötet. Verantwortlich dafür war die jungtürkische Regierung vom Komitee für Einheit und Fortschritt, die sich zu jener Zeit an die Macht des Osmanischen Reiches geputscht hatte.
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Damals lebten dort etwa 1,7 Millionen Armenier. Sie bildeten nach den Griechen die zweitgrößte christliche Minderheit im Osmanischen Reich, waren in Anatolien beheimatet. Diese Region sollte nun das Zentrum des von der jungtürkischen Regierung geplanten türkischen Nationalstaates werden. Die Machthaber planten daher, Anatolien von „fremdstämmigen Elementen zu reinigen“.

Bei der Verfolgung und Vertreibung der Armenier soll die jungtürkische Regierung mit großer Brutalität vorgegangen sein. Männer wurden in den Dörfern ermordet, deren Frauen und Kinder gewaltsam aus ihrer Heimat deportiert. Sie mussten sich auf lange Märsche zu den neuen Siedlungsgebieten in der mesopotamische Wüste begeben, meist ohne Nahrung und Wasser. Die Mehrheit überlebten diese Todesmärsche nicht.
Wollte Gor V. die Türkei anprangern, weil sie den Völkermord leugnet?
Die Türkei leugnet bis heute offiziell den Genozid an den Armeniern. Die Deportationen werden als „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“ dargestellt. Staaten, die das Geschehene als Völkermord einstufen, droht die türkische Regierung mit diplomatischen Folgen. So gab es Proteste, als der Bundestag 2016 beschloss, dass Deutschland die Massentötung von Hunderttausenden Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord einstuft.
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Dabei hatte auch Deutschland einen Anteil an den Genozid. Als deutsche Diplomaten und Offiziere damals über die Deportationen und Massaker an den Armeniern berichtete, hielt es das Deutsche Reich nicht für notwendig, dagegen einzuschreiten. 1915 notierte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“

Wer den Genozid im Osmanischen Reich überlebte, floh ins Ausland. Die größte armenische Gemeinde gibt es in Frankreich (600.000). Einer der prominentesten Vertreter war der Chansonier Charles Aznavour (1924-2018), dessen Mutter 1915 vor dem Völkermord geflohen war.
In Berlin wurde bereits ein Attentat wegen des Völkermordes begangenen
In Deutschland leben etwa bis zu 60.000 Armenier, in Berlin sind es geschätzt 2000. Ihre christliche Gemeinde wurde 1923 in der Hauptstadt gegründet.
Der Völkermord an den Armeniern: In Berlin war er bereits am 15. März 1921 Motiv für ein Attentat. An diesem Tag hatte der Exil-Armenier Soghomon Tehlirian am Hardenbergplatz Mehmet Talaat Paschaen auf offener Straße mit einem Kopfschuss ermordet.

Aus Rache. Denn Mehmet Talaat Pascha war Innenminister der jungtürkischen Regierung, der unter falschen Namen in Berlin lebte und als einer der Drahtzieher des Völkermordes an den Armeniern galt. Ist es ein Zufall, dass nun 101 Jahr später in der Nähe des damaligen Rachemordes nun am Breitscheidplatz die Amokfahrt des Deutsch-Armeniers geschah, der in seinem Wagen Plakate mit Äußerungen zur Türkei bei sich hatte? In der aktuellen Erklärung der Polizei vom Donnerstag heißt es: „Derzeit liegen Indizien vor, dass es sich um eine Vorsatztat eines mutmaßlich psychisch erkrankten Mannes handeln könnte. Gleichwohl werden die Ermittlungen in alle Richtungen fortgesetzt.“