Der Junge aus dem Kultfilm „Sonnenallee“: Er kann von der DDR nicht lassen
Der KURIER traf den Schauspieler in Kreuzberg, wo er gerade eine Platte mit Gedichten des DDR-Autoren Stefan Heym aufnahm.

Volkmar Otto
Sicher erinnern Sie sich an den verrückten Ost-Berliner Jungen, der im Kultfilm „Sonnenallee“ (1999) einer Rolling-Stones-Platte hinterherjagte. Was aus ihm geworden ist? Der KURIER hat Robert Stadlober auf ein Käffchen getroffen und erfährt, dass der heute 39-Jährige noch immer nicht von der Musik und der DDR lassen kann. Denn er singt nun die Gedichte eines der bedeutendsten Autoren des Landes – Stefan Heym (1913–2001).
Dabei hat der gebürtige Österreicher mit deutschem Pass die DDR gar nicht kennengelernt. Den Mauerfall erlebte Stadlober als Siebenjähriger vom Westteil Berlins aus. Mit 15 zog er nach Kreuzberg, wo wir uns mit ihm beim Argon-Hörbuchverlag treffen und wo auch seine Platte mit den Heym-Songs entstand. In dem Kiez zwischen Adalbertstraße und Engelsbecken lebte der Schauspieler zu jener Zeit, als er den „Sonnenallee“-Film drehte und auf den DDR-Autoren stieß.
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Volkmar Otto
Die Gedichte von Stefan Heym sind wie Popsongs
„Ich war 17, als ich seinen Roman ,Collin‘ zum ersten Mal las, den ich im Bücherschrank meiner Eltern entdeckt hatte“, sagt Stadlober. Das Buch, das von der Auseinandersetzung eines DDR-Künstlers mit einem Stasi-Funktionär erzählt, musste Heym 1979 im Westen veröffentlichen. „Seit ,Collin‘ bin ich von Heym begeistert und nahm mir weitere Werke des Autoren vor.“ Dabei stieß Stadlober Jahre später auf einen Band mit Gedichten, die Heym verfasste, als er 1933 nach dem Reichstagsbrand vor den Nazis aus Berlin in die Tschechoslowakei floh.

„Kaum jemand weiß heute, dass Heym Gedichte schrieb“, sagt Stadlober. „Ich habe sie regelrecht verschlungen. Das sind Texte eines jungen Mannes über Weltschmerz, Liebe, Überschwang, Radikalität und Unbedingtheit. Da ich ja auch als Musiker unterwegs bin, sah ich sofort das Potenzial, was darin steckte. Heyms Gedichte waren die perfekte Grundlage für Popsongs. Zeilen, die ich auch gerne geschrieben hätte. Nur, das hatte schon jemand Jahrzehnte vor mir getan. Und dazu noch viel besser als ich es jemals hätte ausdrücken können.“

Volkmar Otto
Stadlober fing 2019 an, einige der Gedichte von Heym zu vertonen. 19 Lieder entstanden. Zunächst wollte der Schauspieler die Songs mit seiner extra dafür gegründeten Band „Heym“ im Rahmen eines Prosa-Abends am Kleist-Theater in Frankfurt (Oder) aufführen. Doch dann stoppte der Corona-Lockdown das Vorhaben. Aus dem Theaterprojekt wurde nun das Album „Vom Aufstoßen der Fenster“, das in diesen Tagen erscheint. Der Titel ist ein Zitat aus der Rede, die Stefan Heym am 4. November 1989 auf der legendären Demonstration der DDR-Künstler auf dem Alexanderplatz hielt.

Robert Stadlober liebt Lakomy-Platten und die Mosaik-Hefte aus der DDR
Die politische Wende, der Mauerfall, die Wiedervereinigung: Irgendwie gehört dieser Teil der deutschen Geschichte auch zu Stadlobers Leben dazu. „Die DDR und der Osten Deutschlands sind mir ja nicht wirklich fremd“, sagt er. „Teile meiner Familie mütterlicherseits lebte ja dort. Von meiner Großtante bekam ich zu DDR-Zeiten die ersten Schallplatten. Das waren die ,Traumzauberbaum‘-Geschichten von Lakomy, die ich immer noch besitze.“
Und einen weiteren Schatz aus DDR-Zeiten hütet Stadlober: Die beliebten „Mosaik“-Hefte mit den DDR-Comic-Helden Digedags bekam er von seinem Onkel. „Ich mag auch deren Nachfolger, die Abrafaxe. Ich kaufe auch noch heute das ,Mosaik‘, lese es zusammen mit meiner ältesten Tochter. Zum Glück gibt es die Hefte auch in Wien“, sagt Stadlober. Denn vor einem Jahr zog der Schauspieler mit seiner Familie aus dem Prenzlauer Berg, wo er zuletzt wohnte, in die österreichische Hauptstadt. „So bin ich in der Nähe meines Vaters, der in der Steiermark lebt.“
Am 3. November ist Robert Stadlober wieder in Berlin, präsentiert um 19 Uhr im Kulturkaufhaus Dussmann sein Heym-Album (Eintritt frei).