Dramatischer Appell der Schausteller: Rückt endlich Rummelplätze raus, sonst steht das Karussell für immer still!
Langsam beginnt die Zeit der Lockerungen, doch die Schausteller der Stadt können noch nicht arbeiten. Denn es fehlen zwei Dinge: Stellplätze für ihre Geschäfte und Antworten der zuständigen Behörden.

Die warme Jahreszeit ist da – und damit die Zeit der Rummelplätze. Gerade wären die „Maientage“ in der Neuköllner Hasenheide dran, doch das ist undenkbar in der Pandemie. Die Konsequenz: Berlins Schausteller stehen vor dem Aus. Seit anderthalb Jahren konnten sie kaum Geld verdienen. Jetzt brauchen sie vor allem eines: freie Flächen für Volksfeste. Nun haben sie sich erneut mit einem verzweifelten Hilferuf an die Politik gewandt.
Schon im vergangenen Jahr gingen die Schausteller auf die Straße, demonstrierten dafür, trotz Corona ihrem Beruf nachgehen zu können. Tatsächlich hat sich inzwischen etwas getan: Seit Montag können Kleinunternehmen etwa die „Neustarthilfe“ beantragen – und erst kürzlich erließ der Senat die Sondernutzungsgebühren für Veranstaltungen bis Ende des Jahres. Gelder, die etwa erhoben werden, wenn Schausteller Verkehrsflächen nutzen.
Den Schaustellern fehlen geeignete Plätze, um Volksfeste zu veranstalten
Letzteres klingt nett, birgt aber leider ein Problem, sagt Jacqueline Hainlein-Noack. „Es ist schön, dass uns die Gebühren erlassen werden, aber wenn wir keine Flächen haben, um Veranstaltungen durchzuführen, bringt uns das wenig.“ Denn das scheint in Berlin die eigentliche Schwierigkeit zu sein: Nirgendwo stehen Areale zur Verfügung, die die Schausteller nutzen können. Hainlein-Noack betreibt das Kult-Karussell „Breakdance“, gehört zum Vorstand des Interessenverbandes der Berlin-Brandenburgischen Schausteller. „Wir fragen immer wieder an – aber überall wird es abgelehnt.“

Sie macht das fassungslos. „Gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit, in der es wichtig wäre, dass wir arbeiten können, lässt man uns so auflaufen“, sagt sie. Dabei gehe es den Schaustellern nicht um Geld. „Wir wollen einfach nur unser Leben zurück – und arbeiten.“ Der Vorwurf im offenen Brief an die zuständigen Senatsverwaltungen ist hart: „Wenn Schausteller bei den vom Land Berlin beaufsichtigten Verwaltungen der Flächen […] anfragen und um kooperative Gespräche bitten, werden alle Anfragen grundsätzlich abschlägig beantwortet“, heißt es dort.
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Beispiel Spreepark: Hier gab es auf einer Demo im vergangenen Jahr den Vorstoß, Flächen im stillgelegten Park zeitweise für Fahrgeschäfte zu nutzen. Mit Abstand, Sicherheit und am historischen Ort. Doch die Grün Berlin GmbH, die das Areal in einen Kunst- und Kulturpark verwandelt, und die zuständige Senatsverwaltung lehnten ab. Eine Petition sollte es richten, doch dann rollten auf dem Gelände plötzlich die Bagger (KURIER berichtete ausführlich).

Inzwischen habe es einen weiteren Vorstoß gegeben, sagt Schausteller Thilo-Harry Wollenschlaeger. Doch die Idee, in einem kleinen Teil des Parks historische Fahrgeschäfte aufzubauen, wurde ebenfalls abgelehnt. „Das geht einem auf den Wecker. Uns wurden zwei Jahre unseres Lebens gestohlen – denn man muss ja auch dieses Jahr damit rechnen, dass wir gar nicht an den Start gehen können.“ In einer Anfrage des SPD-Abgeordneten Robert Schaddach zum Spreepark hieß es erst kürzlich, die Grün Berlin GmbH wolle ab Frühjahr 2021 eine Fläche für „kleinere und temporäre Zwischennutzungen“ zur Verfügung stellen, allerdings mit einer „geringen Anzahl an Besuchern“ und „auf eingeschränkten Flächen“. Ob die Schausteller etwas davon haben werden, scheint fraglich.
Auch anderswo werden die Anfragen der Schausteller immer wieder abgelehnt
Gleiches Problem bei anderen Parks. Stichwort Tempelhofer Feld. Eine gigantische Fläche inmitten der Stadt, dazu das betonierte Vorfeld des Ex-Flughafens – und eine gute Anbindung. KURIER-Nachfrage bei Grün Berlin. „Auf dem Tempelhofer Feld bietet das Gesetz für den Erhalt des Tempelhofer Feldes keinen Spielraum für eine kommerzielle Nutzung“, teilt eine Sprecherin mit. „Davon nicht betroffen ist das betonierte Vorfeld, das jedoch nicht durch Grün Berlin, sondern die Tempelhof Projekt GmbH bewirtschaftet wird.“
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Bei der Tempelhof Projekt GmbH argumentiert man mit Bauarbeiten, geplanten anderen Veranstaltungen und einem strategischen Entwicklungskonzept für das Gelände, beschlossen 2020. „Damit wurden inhaltliche Setzungen geschaffen, auf deren Grundlage THF schrittweise als Ort für Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und zur Unterbringung der öffentlichen Verwaltung genutzt werden soll. Aus unserer Sicht – und der Sicht unseres Auftraggebers – passen Volksfeste nicht in dieses Entwicklungskonzept“, heißt es.

Zurück zur Grün Berlin GmbH: Das Unternehmen kümmert sich um zahlreiche Flächen in der ganzen Stadt. Was ist beispielsweise mit dem Mauerpark und dem Park am Gleisdreieck? Hier gebe es Gespräche mit Anwohnern und Vereinbarungen gegen Übernutzung, Vandalismus und Lärm. „Eine Nutzung durch Schausteller würde diesem mit den Bürgern erarbeiteten Konsens widersprechen.“
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Die Frage, welche Flächen aus dem Dunstkreis der Grün Berlin GmbH sich denn konkret eignen würden, um eine Berliner Traditions-Branche zu retten, bleibt bisher leider unbeantwortet. Vonseiten der Senatsverwaltung für Umwelt heißt es, die Entscheidungslage sei „komplex“. Bewirtschaftet werden die Grünanlagen zwar von der Grün Berlin GmbH, über die kommerzielle Nutzung entscheiden die Bezirke, manchmal in Abstimmung mit der Senatsverwaltung. Für nahezu jede Fläche gibt es Gründe, warum sie für einen Rummel ungeeignet ist. „Wir haben großes Verständnis für die Anliegen der Schausteller und Schaustellerinnen, gerade in der aktuellen, für sie extrem schwierigen Situation“, teilt Sprecher Jan Thomsen mit. „Die Nutzung von Flächen in Grünanlagen halten wir allerdings, aus oben genannten Gründen, nicht für eine geeignete Lösung.“

Thilo-Harry Wollenschlaeger versteht die Probleme nicht. „Denn dass die Menschen mal abschalten können, wäre so wichtig. Und wir haben doch ein tolles Produkt: Wir bringen den Leuten Freude und Entspannung – und sind nach ein paar Wochen wieder verschwunden.“ Absurd hingegen: Seit ein paar Wochen ist mit dem Heidepark in Soltau einer der großen deutschen Freizeitparks geöffnet. Jeder kann mit negativem Test in den Park. „Wer also in Berlin lebt und Karussell fahren will, kann in den Heidepark fahren, während uns hier jede Perspektive fehlt“, sagt Hainlein-Noack. „Wir merken nicht, dass uns diesbezüglich geholfen wird. Aber es muss doch irgendwie weitergehen!“
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Im offenen Brief fordern die Schausteller ein schnelles Handeln der Politik. „Wir fragen Sie, die für Wirtschaft, Kultur und Stadtentwicklung verantwortlichen Volksvertreter, welche konkreten Lösungen Sie den Schaustellerfamilien anzubieten haben“, heißt es. Der sogenannte Zentrale Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm biete keine Alternative, er sei nicht frei nutzbar, immer wieder auch für andere Nutzungen im Gespräch und im Übrigen schlecht zu erreichen. In einer wachsenden 3,6 Millionen-Einwohner-Metropole brauche es „Lösungen für die sich wandelnden Anforderungen im Kulturbetrieb der Stadt“. Und politische Entscheider, die handeln, wenn nachgeordnete Stellen versagen.