Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR und Anwalt, sitzt am Schreibtisch in seiner Kanzlei.
Michael Diestel, letzter Innenminister der DDR und Anwalt, sitzt am Schreibtisch in seiner Kanzlei. dpa/Wüstneck

Er galt schon als Querkopf als es noch keine Querdenker gab. Immer meinungsstark. Er eckt an – und hat sichtlich Spaß daran. Peter-Michael Diestel, eine der prägenden Figuren der Wendezeit. Anwalt, letzter DDR-Innenminister. Einst CDU-Politiker, der aber auch Freunde bei den Linken hatte. Jetzt hat Diestel hat ein neues Buch geschrieben: „Ruhe gebe ich nicht“. Im Interview erzählt er von der Ausgrenzung der ehemaligen DDR-Bürger, den Fehlern von Angela Merkel und Corona.

Die neue Ampel-Koalition in Berlin kommt bei Peter-Michael Diestel nicht gut an. „Die Bevölkerung hat kein Vertrauen in die aktuelle Koalition in Berlin“, meint der Anwalt, der am 14. Februar 70 Jahre alt wird, und in Zislow (Mecklenburgische Seenplatte) lebt. Aus der politischen Arbeit hat sich Diestel zwar zurückgezogen, er verfolgt die deutsche Innen- und Außenpolitik aber trotzdem sehr aufmerksam. „Die deutsche Einheit ist unvollendet“, lautet seine Diagnose.

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Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer seien Ostdeutsche ausgegrenzt, was ein Blick in alle Führungsebenen von Politik, Wirtschaft und auch in der Justiz zeige. Dies sei eine „große politische Dummheit“, meint Diestel. Damit werde auf die Kreativität von mehr als 16 Millionen Einwohnern verzichtet. Obwohl sich Diestel als Gegner von Quoten sieht, fordert er „eine Quote für Ostdeutsche in allen Gremien“. Anders gehe es nicht mehr.

Auch sein neues Buch thematisiert den Status Quo im Land. Es heißt „Ruhe gebe ich nicht. Gespräche über die unvollendete deutsche Einheit“ (Eulenspiegel-Verlag) und erscheint am 7. Februar. Auf dem Cover: Diestel mit kleine randloser Brille, längerem Haar, weißem Hemd – und einem Glas Rotwein in der Hand.

Peter-Michael Diestel zeigt eine Kopie vom Cover seines neuen Buches "Ruhe gebe ich nicht".
Peter-Michael Diestel zeigt eine Kopie vom Cover seines neuen Buches "Ruhe gebe ich nicht". dpa/Wüstneck

Auch das Hin und Her in der Corona-Politik zeige, dass echte Führungspersönlichkeiten in Deutschland fehlten, sagt er. Diese sieht Diestel zuletzt am ehesten noch in den früheren Bundeskanzlern Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU) oder auch Gerhard Schröder (SPD).

Diestel war von März 1990 bis zur Wiedervereinigung im Oktober DDR-Innenminister sowie stellvertretender DDR-Ministerpräsident – und zehrt von seinen Erfahrungen bis in die Gegenwart, wie er sagt. Er habe noch immer viele Kontakte, in viele Parteien. Zum näheren Umfeld gehörten Gregor Gysi und Lothar de Maizière, aber auch der neue CDU-Generalsekretär Mario Czaja – „ein fähiger Mann“, sagt Diestel.

Die Ausgrenzung ostdeutscher Fachleute habe unter Merkel nicht aufgehört

Der Wahl-Zislower kam 1952 in Prora auf der Insel Rügen in einer Offiziersfamilie zur Welt, war als Kind in Warnemünde Ringer und immer Sportler. Die Familie zog nach Leipzig. Diestel wurde erst Rinderzüchter, 1978 schloss er ein Jura-Studium in Leipzig mit Auszeichnung ab. In die Politik ging er in der Wendezeit 1989, als in Leipzig die Deutschen Soziale Union (DSU) gegründet wurde. Diese schloss sich mit der Neu-Partei Demokratischer Aufbruch und der alten Ost-CDU zum Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“ zusammen und gewann die erste freie Wahl in der DDR im März 1990.

„Müssen wir uns für das Ergebnis der friedlichen Revolution schämen oder können wir stolz darauf sein?“, fragt Diestel. Seine Antwort – im Sinne der Ostdeutschen – ist klar: Man könne da stolz darauf sein. Doch die Ausgrenzung ostdeutscher Fachleute, die unter Kohl und Schröder begonnen habe, habe auch unter Merkel nicht aufgehört. „Das muss man ihr vorwerfen“, sagt er. Zu schätzen sei, dass die Ex-Bundeskanzlerin Deutschland 16 Jahre aus Kriegen herausgehalten habe.

Peter-Michael Diestel, steht vor seiner Kanzlei neben einer Skulptur von Holzbildhauer Günter Schumann.
Peter-Michael Diestel, steht vor seiner Kanzlei neben einer Skulptur von Holzbildhauer Günter Schumann. dpa/Wüstneck

Merkel habe aber auch etliche Fehler gemacht. So habe die CDU unter der Kanzlerin dafür gesorgt, dass rechts neben den Christdemokraten eine neue Partei entstanden sei – die AfD. „Diese AfD hat das Wertkonservative aufgehoben, das die CDU ohne Not weggeworfen hat.“ Als Beispiel nennt Diestel die Orientierung an eigener Tradition und Geschichte und den Wert der Familie.

Wegen seines Jobs, seiner Familie und Freunde hat Diestel sich impfen lassen. Aber mit Zweifeln

Auch wegen dieser Entwicklungen habe er 2021 „die Laschet-CDU“ verlassen, der er mehr als 30 Jahre angehörte. 1990 bis 1994 war er Mitglied des Brandenburger Landtags und erster Vorsitzender der CDU-Fraktion. Seine einstige Partei sieht er nun in einer großen substanziellen Krise. Vom neuen CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz sei zu hoffen, dass er dem Wertkonservativen wieder deutlich mehr Wert beimesse. „Ich verstehe sie nicht mehr und ich mag sie heute genauso wenig wie sie mich“, hatte er bei seinem Austritt über die CDU gesagt.

Diestel, der drei Kinder hat und sechsfacher Großvater ist, will weiterhin als Anwalt aktiv bleiben. Noch mindestens zehn Jahre. Auch deshalb und wegen seiner Familie und der Freunde habe er sich dreimal gegen Corona impfen lassen. „Ich bin vollständig geimpft – aber mit Zweifeln.“ Diese müssten erlaubt sein.

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Seinen Lieblingsplatz in Deutschland verortet er an der Mecklenburgischen Seenplatte. Seine Hobbys beschreibt er auf seiner Internetseite so: „Kraftsport, Jagd, Lesen, klassische Musik genießen und gelegentlich aber regelmäßig einen guten Rotwein prüfen.“ Von Zislow aus will er weiter zu Mandanten, Gerichten und demnächst zu mancher Talkshow reisen.