Berliner Intensivarzt über Corona: „Das ist eine Katastrophe von historischer Dimension“
Oberarzt Jan Kruse ist Teil der rbb-Doku „Charité Intensiv: Station 43“. Im Interview spricht er über seinen harten Klinikalltag und die Bedeutung der Serie.

Auf der Charité-Station 43 liegen in Pandemiezeiten schwer erkrankte Covid-19-Patienten, um deren Leben Ärzte und Pflegekräfte täglich kämpfen. Der Dokumentarfilmer Carl Gierstorfer hat das medizinische Personal während der zweiten Welle Ende des vergangenen Jahres über Wochen begleitet. Entstanden ist eine vierteilige Dokuserie über den Krankenhausalltag, die ab dem 14. April im rbb zu sehen ist.
Einer der Protagonisten in der Doku ist Jan Kruse, 48, Oberarzt. Seit 13 Jahren arbeitet er als Internist, Intensiv- und Notfallmediziner in der Charité. Im Interview mit dem KURIER spricht Kruse über die Dreharbeiten, die aktuelle Lage in der dritten Welle und seine persönlichen Belastungen.
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KURIER: Der rbb hat Sie und viele weitere Kollegen in der zweiten Welle wochenlang mit der Kamera begleitet. Aus Ihrer Sicht: Was war den Machern dabei wichtig?
Der Filmemacher Carl Gierstorfer gehörte über diesen Zeitraum quasi zu unserem Team. Ich empfinde es so, dass die Doku Zeit und Raum zum Nachdenken lässt und einfach die Realität unserer Arbeit abbildet, wie er sie als Außenstehender aber auch teilweise Involvierter gesehen hat. Meine persönliche Meinung ist, dass ihm das gut gelungen ist.
Den Zuschauern wird visuell einiges zugemutet, man sieht Sterbende, aber auch genesene Patienten. Was bekommt man nicht zu sehen?
Ich glaube, dass sich Herr Gierstorfer viele Gedanken darüber gemacht hat, was er den Zuschauern zeigen möchte. Man müsste ihn am besten selbst fragen, aber gewisse Dinge hat er entweder aus Rücksicht auf die Patienten oder die nicht vorbelasteten Zuschauer nur angedeutet. Ich finde es bewundernswert, wie er es geschafft hat, die Situation in ihrer Klarheit abzubilden, ohne auf reißerische und schockierende Effekte zu setzen.
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Welche Bedeutung bekommt eine solche Doku in der jetzigen Zeit?
Ich finde, dass es zwei Aspekte gibt. Das Wichtigste ist, dass die Leute sehen, wie es wirklich in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen aussieht. Wie ernst die Lage war und wie ernst sie auch wieder ist – und wie schlimm es noch werden kann. Ich glaube, dass das noch nicht jedem in der Gesellschaft bewusst ist, wie ernst es mit Corona ist. Es trifft eben nicht nur schwerstvorerkrankte alte Menschen, sondern kann auch jüngere Menschen mitten aus dem Leben reißen. Es geht uns alle an. Wir müssen alles tun, um uns gegenseitig zu schützen. Ich glaube, diese Funktion kann die Doku erfüllen. Zum anderen soll sie zeigen, unter welchen hohen Belastungen die Menschen stehen, die hier arbeiten. Was die Ärzte und Pflegekräfte tagtäglich aushalten und leisten müssen. Ich habe die Hoffnung, dass sich strukturell an der ein oder anderen Stelle im Gesundheitswesen künftig etwas ändert, wenn den Leuten bewusstwird, wie wichtig die Funktion ist, die das Personal in den Krankenhäusern erfüllt.
Wie bedrohlich ist die Lage aktuell auf den Intensivstationen?
Die Situation ist ähnlich angespannt, wie sie Ende letzten Jahres und Anfang dieses Jahres war. Die dritte Welle ist da und nimmt weiter Fahrt auf. Wir befürchten, dass sich die Situation noch verschlimmern wird. Wir arbeiten hart, um der gegenwärtigen Situation Herr zu bleiben. Im Moment sind wir noch nicht in der Situation, dass wir an Grenzen stoßen. Aber es ist ernst.
Wie sieht Ihre persönliche Belastung momentan aus?
Ich empfinde es als sehr fordernde Zeit und es geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich schaffe es, das Ganze einigermaßen emotional zu verarbeiten. Letztendlich ist es mein Job und ich versuche das Beste für die Patienten rauszuholen. Meine Kollegen machen das ebenfalls äußerst professionell, obwohl alle an die Grenze ihrer Belastbarkeit gehen. Wir müssen funktionsfähig bleiben.
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In der Doku spricht eine Kollegin davon, dass sie die fortlaufenden lauten Geräusche auf der Intensivstation nur schwer aushalten könne und ihr Tag danach oft gelaufen sei. Geht Ihnen das auch so?
Das Stress- und Geräuschlevel ist enorm hoch. Man muss immer ein gewisses Maß an Alarmbereitschaft behalten. Es gibt aktuell keine wirklichen Ruhepausen in dem Job. Auf Dauer ist das auch für mich eine hohe Belastung.
Wie muss man sich den Umgang mit Kollegen auf der Intensivstation vorstellen?
Alle haben mit der Schwere der Schicksale und der Häufung, in der sie momentan auftritt, zu kämpfen. Dennoch herrscht hin und wieder auch eine gewisse Lockerheit. Das ist ein natürlicher Kompensationsmechanismus, den man sich behalten sollte, um auch funktionieren zu können. Dafür muss Raum sein im Team.
Wie gehen Sie mit Angehörigen und Hinterbliebenen um, denen Sie oftmals schlechte Nachrichten überbringen müssen?
Das ist eine der schwersten Aufgaben meines Jobs und etwas, was niemand gerne macht. Jede Familie braucht eine individuelle Ansprache. Das kann man nur schwer erlernen. Es entwickelt sich mit der Erfahrung im Beruf. Wir haben speziell geschultes Personal, das uns dabei unterstützt. Es ist sehr belastend, aber notwendig. Wir geben uns Mühe, das so einfühlsam wie möglich zu lösen.
Was glauben Sie, wie Sie in einigen Jahren auf die Corona-Zeit zurückblicken werden?
Ich werde die Pandemie als sehr schwere und belastende Zeit erinnern. All die Schicksale der Patienten, die wir hier sehen, werden mich weiterhin begleiten. Es ist eine Katastrophe von historischer Dimension, in der wir uns gerade befinden.
Glauben Sie, dass Sie auch eine positive Erinnerung aus dieser Zeit mitnehmen?
Mir persönlich ist in der Zeit nochmal klarer geworden, welche Leistung die Kollegen hier tagtäglich bringen. Wie viel Empathie und Opferbereitschaft jeder einzelne in seinen Job steckt. Diese schwere Zeit hat uns immerhin als Team noch mehr zusammengeschweißt.