Das Unglück eines Familienvaters spaltet seit zwei Jahren eine Nachbarschaft in Friedenau
Norbert Bülow ist seit einem Fahrradunfall querschnittgelähmt und kommt mit seinem Rollstuhl nicht allein aus der Wohung. Ein behindertengerechter Fahrstuhl könnte sein Problem beheben.

Norbert Bülow wird von zwei Mitarbeitern des Krankentransportes mit einer mobilen Treppensteighilfe vom dritten Stock seiner Altbauwohnung in Friedenau nach unten getragen. Eigentlich wollte er nie wieder in dieses Gerät einsteigen, weil es nur eine Notlösung ist und er damit schon einmal abgestürzt ist und großen Schaden davon trug.
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Der Familienvater ist nach einem Fahrradunfall querschnittgelähmt und auf fremde Hilfe angewiesen. Seit zwei Jahren kämpft der 58-Jährige gemeinsam mit Ehefrau Birgit, um den Einbau eines behindertengerechten Aufzug in das Mehrfamilienhaus (der KURIER berichtete). Doch der Plan liegt noch immer auf Eis, weil das Bauvorhaben einen Streit unter den Miteigentümern ausgelöst hat, der jetzt vor Gericht entschieden werden soll. Für Norbert Bülow ist das ein weiterer Tiefschlag.
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Der Schicksalsschlag „bringt uns oft an unsere Grenzen “
Die Bülows sind seit 25 Jahren verheiratet. Doch der Schicksalsschlag hat auch ihre Partnerschaft verändert. Statt zu zweit, die Söhne sind aus dem Haus, leben sie jetzt mit Pflegepersonal unter einem Dach, das Norbert im Schichtdienst Tag und Nacht versorgt. Damit das reibungslos funktioniert, lebt Birgit jetzt im vorderen Teil der Wohnung, Norbert im hinteren, zusammen mit dem Pflegeteam. „Wir kommen oft an unsere Grenzen, weil wir uns an die neue Situation sehr schwer gewöhnen können“, sagt Birgit Bülow. Tränen laufen über ihre Wangen, während sie spricht. Als sie mit ihrem Mann am Frühstückstisch sitzt, kommt eine junge Pflegerin dazu. Sie gibt Norbert Bülow Medizin und zieht ihm die Jacke an, weil er gleich vom Krankentransport abgeholt wird. Es gibt Tage, an denen das Paar an der neuen Rollenverteilung verzweifelt. „Mein Mann hat mit schweren depressiven Phasen zu kämpfen“, sagt Birgit Bülow.
Ihr Mann war bis vor seinem Unfall kerngesund und unabhängig, fuhr jeden Tag 15 Kilometer mit dem Fahrrad von Friedenau in den Wedding und zurück. Dort hat er beim Chemie-und Pharmaunternehmen Bayer als Führungskraft im IT-Bereich gearbeitet. Die Bülows sind viel gereist. Nach Österreich zu ihren Kindern. Sie wanderten gern in den Bergen und fuhren Kajak. Doch dann passierte der tragische Unfall im Mai 2019: Ein Auto fuhr Norbert Bülow in Höhe des Bundeskanzleramts an und er brach sich mehrere Wirbel, verbrachte Monate im Krankenhaus und musste künstlich beatmet werden. Als er endlich nach Hause zurückkehrte, fiel er einen Tag später mit dem Sitz der mobilen Treppensteighilfe die Stufen hinab. Er zog sich schwere Kopfverletzungen zu und lag Wochen lang im Koma.
Badumbau für 65.000 Euro

Norbert Bülow hatte sich geschworen, das Gerät nie wieder zu benutzen. „Ich hatte große Angst, dass mir erneut etwas zustoßen könnte“, sagt er. Als er zu Weihnachten 2020 nach einem Jahr endlich aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte, ist er vorübergehend in eine barrierefreie Wohnung gezogen. Doch dauerhaft von seiner Frau räumlich getrennt leben, das wollte er nicht. So konnte Norbert Bülow Ende September wieder in sein Zuhause zurückkehren und hat bislang keine andere Wahl: Er muss die mobile Treppensteighilfe wieder benutzen. Doch es ist ein Kraftakt für die Mitarbeiter, ihn damit herunterzutragen.
Ein Kraftakt ist auch der Einbau eines behindertengerechten Aufzugs, der rund 220. 000 Euro kosten soll. Die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie hat nach KURIER-Informationen im Juli 2020 einen Finanzierungsbescheid von 260.000 Euro für Umbauarbeiten für die Wohnung bewilligt, in denen auch ein Außenaufzug mit direktem Zugang zur Wohnung vorgesehen ist. Aber die Auszahlung ist nur unter bestimmten Gegebenheiten möglich: „Bislang liegen uns die notwendigen Zustimmungen der Eigentümergemeinschaft zu den Umbaumaßnahmen nicht vor. Damit sind die Voraussetzungen zur Auszahlung der Wohnungshilfe derzeit leider nicht gegeben“, teilte eine Sprecherin mit. Den Umbau des Bades haben die Bülows zunächst für 65.000 Euro aus eigener Tasche finanziert.
Es gibt Geld, aber keine Zustimmung

Das Problem ist, eine einvernehmliche bauliche Lösung zu finden, bei der sich niemand der Eigentümer benachteiligt fühlt. Weil die aber schwer umsetzbar zu sein scheint, ist ein Konflikt entstanden, der jetzt zu einem Rechtsstreit unter den Nachbarn geführt hat. Bislang war es im Wohneigentümergesetz (WEG) so geregelt, dass die Installation ein hundertprozentiges Zustimmungsergebnis erforderte. Aber seit kurzem gibt es eine Gesetzesänderung, die besagt, dass ein Wohnungseigentümer angemessene bauliche Veränderungen verlangen kann, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen dienen. Nach dieser Novellierung hofft Familie Bülow nun, mit ihrer Klage Erfolg zu haben. Während die Anwälte streiten, liegen die Nerven in der Eigentümergemeinschaft blank. Es gibt Nachbarn, die Bedenken mit dem Fahrstuhl haben, weil er möglicherweise zu Beeinträchtigungen führen könnte, und sie haben dem Einbau nicht zugestimmt. Manche haben den Eindruck, dass ihre Einwände nicht sachlich diskutiert, sondern moralisch bewertet werden und das ärgert sie. Es gibt unterschiedliche Meinungen.
Mit einem Plattformlift zeigten sich alle einverstanden
„Alle Lösungen, die wir vorgeschlagen haben, verlaufen ins Leere. Ich vermute, dass hier jeder seinen eigenen Vorteil sucht“, vermutet Birgit Bülow. Die eine Lösung sieht vor, dass der Fahrstuhl an der Außenfassade angebracht wird. Das sei auf der Eigentümerversammlung im November 2019 komplett von den Eigentümern abgelehnt worden. Es seien aber auch nach diversen persönlichen Gesprächen keine Verbesserungsvorschläge gemacht worden. Dann habe ein Nachbar als Alternative einen Plattformlift vorgeschlagen, der im Treppenhaus vom Erdgeschoss bis in den dritten Stock am Geländer hochfährt und mit dem alle einverstanden gewesen seien.
Aber der Bausachverständige der Berufsgenossenschaft habe Bedenken geäußert: Ein Plattformlift könnte die lichte Treppenbreite soweit einschränken, dass die vorgeschriebene Breite für einen Fluchtweg gemäß Bauordnung Berlin nicht mehr eingehalten werden könnte. Zum gleichen Ergebnis sei auch ein Sachverständiger der Architektenkammer gekommen. Es sei auch die Idee entstanden, einen Aufzug am Vorderhaus für alle zu errichten. Dieser würde aber von Seiten der Stadtplanung Schöneberg nicht genehmigt werden, da Abstandsflächen insbesondere zu Fenstern im Erdgeschoss nicht eingehalten werden können, ein Bauantrag aus früheren Jahren sei bereits einmal deswegen abgelehnt worden. Zudem würden die Berufsgenossenschaft diese Lösung nicht mitfinanzieren.
Das sagt eine Eigentümerin, die erst neu in das Mehrfamilienhaus gezogen ist: „Ich habe eine Mail von Herrn Bülow bekommen, in der er sein Schicksal beschreibt und um meine Stimme für den Fahrstuhl bittet. Ich hätte mir mehr Informationen gewünscht (z.B. zu Rückbau, Geräuschen, Verkleinerung Garten, gemeinschaftliche/exklusive Nutzung“, sagt die Mutter zweier Kinder. Verwundert habe sie auch, das eine geplante Mediation seitens Familie Bülow abgesagt worden sei. Sie hätte sich gewünscht, dass das Schicksal von Herrn Bülow, getrennt von der Bauplanung, betrachtet werden könne. Bezüglich des Plattformlifts habe sie sich noch eine weitere Meinung eines Anbieters gewünscht. Zumal ein Sachverständiger, der vom Anwalt der Beklagten eingesetzt worden sei, zu dem Ergebnis gekommen sei, dass genügend Breite vorhanden sei, um diese Art von Lift zu installieren.

Die neue Eigentümerin wünscht sich, „dass die Anfeindungen untereinander aufhören“ und man versucht, gemeinsam an einer konstruktiven Lösung für alle zu arbeiten. „Mit einem Blog, auf dem alle Nachbarn an den Pranger gestellt werden oder einem Pixi-Buch, in dem die anderen Eigentümer karikiert werden, schürt man nur böses Blut und sorgt für noch tiefere Gräben", sagt sie.“ Anmerkung der Redaktion: Familie Bülow hat auf ihrem öffentlichen Blog (norbert-will-nach-hause.de) ihre persönliche Sichtweise kundgetan und auch ein Pixi-Buch dazu illustrieren lassen.
Doch es gibt nach KURIER-Recherche einen Hoffnungsschimmer: Die neue Nachbarin will mit Familie Bülow noch einmal ins Gespräch kommen. Sie sagt: „Ihnen ist Schreckliches widerfahren und es tut mir sehr leid. Ich möchte der Familie gern helfen und versuchen, dass wir uns außergerichtlich einigen können und wieder zu einer friedlichen Nachbarschaft zurückkehren können“, sagt sie.