Lockdown und Homeschooling erfordern eine Strategie für das Abitur 2021.
Lockdown und Homeschooling erfordern eine Strategie für das Abitur 2021. Foto: Imago Images/Fleig

Robert Rauh hofft auf Besonnenheit und eine sachliche Debatte. Schließlich hat er in der Vergangenheit so seine Erfahrungen gemacht als Lehrer in Berlin. Rauh unterrichtet am Barnim-Gymnasium in Lichtenberg die Fächer Politik, Geschichte und Deutsch. Er hat Schüler, die in diesem Jahr ihr Abitur machen sollen. Die Frage ist nur: Wie und wann genau?

Die Pandemie wirbelt Lehrpläne durcheinander. Schulen haben geschlossen, der Unterricht findet digital statt. Homeschooling ist das Gebot der Stunde, das nicht an jeder Schule gleich gut befolgt werden kann. Die Bedingungen für die Abschlussjahrgänge weichen zum Teil gravierend voneinander ab, je nach Gymnasium, nach Technik, nach Lehrern. Und auch zu anderen Jahrgängen ist Vergleichbarkeit schwer herzustellen.

„Wir sollten verhindern, dass es durch hektische Beschlüsse zu Fehlentscheidungen kommt“, sagt Rauh, Lehrer des Jahres 2013, Buchautor und Initiator des Projekts Ideen für eine bessere Schule. „Deshalb sollten wir die vier möglichen Szenarien sorgfältig gegeneinander abwägen, die nach jetzigem Stand infrage kommen.“

Das erste Szenario wurde bereits im vergangenen Jahr erprobt. Damals zwang das Coronavirus dazu, den Präsenzunterricht auszusetzen. Diesem Muster folgend, würden nun die Prüfungen um zwei Wochen verschoben. Für Mitte April ist ihr Start bis jetzt geplant; Berlin gehört zu den Bundesländern, die früh beginnen. Der zeitliche Rahmen würde nicht allzu sehr ausgedehnt.

„Man könnte die Nachschreibetermine nutzen“, sagt Rauh. 2020 wurde dieses Modell infrage gestellt, von Schulleitern, aber auch von Schülervertretern. Die Senatsverwaltung hielt dennoch daran fest und sah sich am Ende bestätigt. „Es gab keine Probleme“, sagt Rauh. „Im Gegenteil: Es lief sogar besser als in den Jahren zuvor.“

Vorschlag: Abi-Prüfungen in den September verschieben

Ob das aktuelle Infektionsgeschehen ein solches Szenario zulässt, ist ungewiss, eine Verschiebung der Abschlussprüfungen in den September daher eine weitere Option. Bewerbungsfristen für Universitäten oder Lehrstellen müssten zeitlich angepasst werden. „Dann fängt das Semester eben später an“, sagt Rauh.

Das dritte Szenario sieht ein sogenanntes freiwilliges Ersatzjahr vor. „Wer der Meinung ist, er hat zu viel Lehrstoff verpasst, oder wer seine Noten verbessern möchte, sollte ein Jahr anhängen können“, sagt Rauh.

Diese Vorgehensweise favorisiert Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) für sein Bundesland. Wer im Sommer seinen Abschluss machen wolle, der solle mehr Zeit für jede schriftliche Prüfung erhalten, eine halbe Stunde, schlägt Piwarz vor. Wer dagegen das Jahr wiederholen möchte, dürfe dies tun, ohne Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. „Den Schülerinnen und Schülern sollen trotz schwieriger Umstände kurz- und langfristig keine Nachteile entstehen.“

Beim vierten Szenario schließlich würden die Abiturprüfungen ganz gestrichen. „Die Schüler bekämen trotzdem ein Zeugnis ausgehändigt, die Noten würden aus den Semesternoten errechnet“, sagt Rauh. Marlis Tepe tendiert als Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu dieser Art Corona-Abitur. Sie plädiert zugleich dafür, die Schüler aller Jahrgangsstufen bedingungslos in die nächst höhere Klasse zu versetzen, auf Sitzenbleiben zu verzichten.

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Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, findet eine solche Pauschallösung falsch. Er plädiert für individuelle Lösungen. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, äußerte sich ebenfalls skeptisch und ablehnend.

„Generell sollten die Prüfungsinhalte abgestimmt werden“, sagt Rauh. Sein Debattenbeitrag: „Man sollte überlegen, ob Inhalte, die im Homeschooling vermittelt wurden, in den Prüfungen außen vor gelassen werden. Das beträfe also Inhalte aus dem zweiten und vierten Semester.“ Außerdem sollten den Schülern mehr Aufgaben zur Auswahl stehen.

Plädoyer für ein Deutschland-Abitur

Die Diskussion nimmt Fahrt auf. Es geht im Kern um Bildungsgerechtigkeit. Darum ging es allerdings auch schon vor Corona, denn jedes Bundesland hat seine eigenen Richtlinien fürs Abitur. Die Leistungen werden unterschiedlich gewichtet. Ein Abschluss in Thüringen kommt anders zustande als einer in Nordrhein-Westfalen. Vier Prüfungsfächer gibt es in Berlin, fünf in Bayern, darunter schriftlich abzulegen Deutsch und Mathematik.

Diese Form des Bildungsföderalismus treibt Rauh schon länger um. „Abschaffen und im Interesse der Einheitlichkeit ein Deutschland-Abitur einführen“, sagt der Berliner Lehrer. Die Pandemie lege ja erneut die Schwächen des Systems offen. „Wenn zum Beispiel Hamburg jetzt ausscheren und auf die Abitur-Prüfungen verzichten würde“, sagt Rauh, „wäre das fatal.“