Umfrage zum Urteil

„Als Mieter selbst aktiv werden“: Das sagen Betroffene zum gekippten Mietendeckel

Das Urteil von Karlsruhe stellt Berliner zum Teil vor große Probleme. Finanziell müssen sich viele einschränken. Aktivisten wollen weiter kämpfen.

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Mieter demonstrieren gegen überhöhte Mieten in Neukölln.
Mieter demonstrieren gegen überhöhte Mieten in Neukölln.Imago Images

Zwischen Riesenschreck und Riesenscheck, zwischen Mieterschutz und Mieterwut. Der gekippte Mietendeckel bewegt die Stadt. Vier Stimmen, die für viele sprechen.

Der WG-Bewohner: „Als Mieter selbst aktiv werden.“

Tino Stein (Name von der Redaktion geändert) hat damit gerechnet, dass der Mietendeckel unter dem Druck der eigentümernahen Parteien und Interessensverbände keinen Bestand hat. „Natürlich war eine Resthoffnung da, dass sich das Bundesverfassungsgericht eher für diejenigen entscheidet, die am stärksten von der Krise betroffen sind“, sagt er. Doch darauf vertraute die Dreier-WG nicht und hat seit November die Differenz von 200 Euro im Monat angespart. Insgesamt müssen sie der Deutsche Wohnen GmbH vermutlich etwa 1000 Euro zurückzahlen. Stein ist der Meinung, es sei wichtig als Mieter selbst aktiv zu werden. Der 35-Jährige engagiert sich innerhalb verschiedener Initiativen, um gegen steigende Mieten vorzugehen. „Ich sammle beispielsweise Unterschriften für die Deutsche Wohnen enteignen und versuche, im Haus Leute für eine sozialere Mietenpolitik zu gewinnen“, sagt er.

Tino Stein hat mit seiner Dreier-WG Geld für die Miete zurückgelegt.
Tino Stein hat mit seiner Dreier-WG Geld für die Miete zurückgelegt.Foto: Volkmar Otto

Die alleinerziehende Mutter: „Sommerurlaub vielleicht neu planen.“

Mandy Svensson ist alleinerziehende Mutter von drei Mädchen. Zusammen wohnen sie in einer 97 Quadratmeter großen Wohnung in Blankenburg. „Ich habe einen Riesenschreck bekommen, als ich von dem Urteil erfuhr“, sagt sie. Nach der Trennung vom Vater der Kinder war sie erst im Juni 2020 in die neue Vierzimmerwohnung gezogen. Schon bei der Besichtigung wies sie die Vermieterin sehr eindringlich darauf hin, dass sie die Differenz zur eigentlichen Miete zurückzahlen muss, wenn der Mietendeckel gekippt wird. Das sind jetzt 3038,31 Euro, 276, 21 Euro für jeden Monat. Mandy Svenssons rechnet damit, dass sich die Kaution entsprechen erhöht, auf rund 4000 Euro, die auf einen Schlag fällig werden. „Wenn jetzt etwas kaputt geht, wird es schwer, auch für den Sommerurlaub muss ich jetzt unter Umständen neu planen.“ Die neue Miete von 882 Euro kalt wird sie sich zwar leisten können, ab knapp 300 Euro weniger sind im Alltag mit Kindern deutlich zu spüren. „Das werde ich schon merken.“ Dass ihr Vermieter, die Adler Gruppe , davon absieht, die Rückzahlung einzufordern, daran glaubt sie nicht. „Ich  gehe davon aus, dass ich demnächst einen Brief bekommen werde.“

Der Rechtsanwalt: „Gewerbliche Mieten außer acht gelassen.“

Malte Behrmann ist Professor und Anwalt aus Steglitz. „Ich war sehr vorsichtig mit dem Kürzen und habe aber erst seit Januar Miete einbehalten", sagt der 49-Jährige. „Zum einen, weil ich mir nicht sicher war, wie die gerichtliche Entscheidung ausfallen wird und zum anderen, weil ich einen sehr netten Vermieter habe. Deshalb muss jetzt auch nicht so viel zurückzahlen.“ Die Werte der Immobilien seien in den vergangenen Jahren in der Stadt enorm gestiegen. „Der Versuch der rot-grünen-Regierung, dagegen etwas zu unternehmen finde ich grundsätzlich gut. Schade, dass sie hierbei die gewerblichen Mieten völlig außer acht gelassen hat.“ Besonders die Gastronomie-Betriebe seien von den hohen Mietpreisen betroffen und müssten sogar während der Corona-Krise mit Mieterhöhungen kämpfen. „Auch wenn die Regulierung auf Landesebene nicht geklappt hat, sollte man es auf jeden Fall auf Bundesebene im Auge behalten“, sagt Behrmann. „Leider ist der Mieterschutz in Deutschland nicht so weitgehend, wie er oft dargestellt wird.“ Der Anwalt vermutet: „Im Hinblick auf die richterliche Entscheidung heute könnte ich mir vorstellen, dass der ein oder andere Verfassungsrichter in Karlsruhe vielleicht auch eine Brille aufhatte, weil er selbst Eigentum hat.“

Der Kurzarbeiter: „Ich kann kein Geld zurücklegen.“

Sebastian Heiner ist Bürokaufmann aus Steglitz. Der 32-Jährige sagt: „Ich lebe seit vier Jahren in einer Zweizimmerwohnung.“ 51 Quadratmeter stehen ihm zur Verfügung. „Ich habe seit November vergangenen Jahres einen Teil der Miete einbehalten.“ Heiner könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hart treffen. „Wenn ich die einbehaltene Miete zurückzahlen muss, werden das rund 800 Euro sein. Das würde mir in meiner jetzigen finanziellen Situation nicht leicht fallen.“ Seit März vergangenen Jahres befindet sich Heiner in Kurzarbeit, da er in der Reisebranche tätig ist. „Außerdem stehe ich kurz vor einer Privatinsolvenz und kann kein Geld zurücklegen. Die Rückzahlung wäre für mich ein harter Brocken.“