Darum verbuddeln Kinder in ganz Deutschland gerade Teebeutel
An 9000 Standorten in Deutschland wird derzeit der Boden genau unter die Lupe genommen. Auch der hinter der Kita Rasselbande in Neuenhagen.

Volkmar Otto
Die zwölf Kinder der Füchse-Gruppe der Kita Rasselbande in Neuenhagen machen einen Riesenlärm. Wie junge Wölfe heulen sie. Gleich geht es einen schmalen Pfad entlang ein Stück weit in den Wald hinein. Die Aufgabe an diesem grauen Morgen lautet: Teebeutel vergraben. Die Kinder haben leuchtende Regenhosen und Jacken an, der Regen, der durch die Blätter tröpfelt, kann ihnen nichts anhaben.
Aber warum eigentlich Teebeutel vergraben? Welche naturpädagogische Idee ist das denn schon wieder? Keine. Der Ausflug ist Teil der bundesweiten einmaligen Citizen-Science-Aktion zur Bodenforschung. Sie heißt „Expedition Erdreich“.
Lesen Sie auch: Stress lass nach! 6 effektive Tipps, wie Sie entspannter werden >>
Böden an 9000 Standorten werden untersucht
Seit Ende April untersuchen Tausende Bürgerinnen und Bürger, 300 Schulen und eben die Kinder in Neuenhagen Böden im ganzen Land mithilfe von Teebeuteln. Bis September erheben sie bundesweit Bodendaten an bis zu 9.000 Standorten. Einer davon ist mit einem Fähnchen im Wald hinter der Kita Rasselbande gekennzeichnet.

Volkmar Otto
Phil meldet sich als Erster, als die Geologin Stefanie Cable, die die Truppe anführt, fragt, wer denn einmal Chemiker werden möchte. Mithilfe von Teststreifen soll jetzt der pH-Wert des Bodens bestimmt werden. Vorsichtig krümelt Phil Erde in das Probenglas und stellt den Paprika-Timer. Nach zehn Minuten lässt sich anhand eines Teststreifens und einer Farbskala ablesen, wie sauer der Boden ist.
Während die Paprika-Uhr tickt, sind andere kleine Forscher schon damit beschäftigt, Regenwürmer und Ameisen aus einem Haufen Erde zu pulen. Fritzi macht akribisch einen Strich für jedes Tier, das in den umfunktionierten Eiswürfelbehälter wandert. „Ganz schön viele Regenwürmer“, sagt sie. Ein gutes Zeichen.

Volkmar Otto
Der dritte Versuch ist der Teebeutel-Versuch. Drei Beutel mit grünem Tee und drei Beutel mit Roiboos-Tee werden mithilfe einer Buddelschippe in acht Zentimeter Tiefe vergraben. In drei Monaten werden die Beutel wieder ausgebuddelt.

Volkmar Otto
Das Herzstück der Aktion ist die sogenannte Tea-Bag-Index-Methode, ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren, mit dem bestimmt werden kann, wie schnell Bodenorganismen Pflanzenreste abbauen. Um die Zersetzungsrate zu bestimmen, wird pflanzliches Material, hier eben Grün- und Rooibos-Tee, gewogen, drei Monate lang im Boden vergraben, dort von Mikroben zersetzt und nach dem Ausgraben erneut gewogen. Aus dem Gewichtsunterschied zwischen Start- und Endgewicht der Teebeutel lässt sich der Tea-Bag-Index (TBI) berechnen.
Die „Expedition Erdreich“ nutzt den TBI als Indikator für die biologische Aktivität im Boden. Die Daten gehen nach Abschluss der Aktion in eine europäische Datenbank zum Tea-Bag-Index ein. Forscherinnen und Forscher können die eingereichten Datensätze dann weltweit für ihre Arbeit nutzen. Ein Teil der Ergebnisse wird zudem für die Klimamodellierung genutzt.
Eine wichtige Arbeit tun die Kinder hier also. Und auch das Zählen von Lebewesen im Boden ist wichtig. „Du musst die Spinne wieder runterschubsen“, sagt Johanna zu ihrer Freundin, als das Tier aus dem Eiswürfelbehälter klettern will. Genauigkeit ist Forscherpflicht.

Volkmar Otto
„Die Gesundheit unserer Böden geht uns alle etwas an, denn unsere Böden sind unsere Lebensgrundlage“, hat Bundesforschungsministerin Anja Karliczek gesagt. „Sie spielen eine entscheidende Rolle für die Sicherung unserer Nahrungsmittelproduktion, die Artenvielfalt oder den Klimaschutz.“ Mit dem Wandel hin zu einer biobasierten Wirtschaft würden gesunde und fruchtbare Böden immer wichtiger. Es sei entscheidend, dass alle verstehen, wie man sie schützen und nachhaltig nutzen kann. Die „Expedition Erdreich“ helfe dabei.

Volkmar Otto
Die Aktion läuft noch bis September und findet im Rahmen des Wissenschaftsjahrs 2020|21 – Bioökonomie statt. Diese Wissenschaftsjahre initiiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit Wissenschaft im Dialog.

Volkmar Otto
Hans-Jörg Vogel leitet das BonaRes-Zentrum für Bodenforschung und forscht zu Bodensystemen am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Als wissenschaftlicher Partner der Aktion wertet er mit seinem Team die gesammelten Daten aus. Er sagt: „Mit der Aktion möchten wir den Boden stärker in das Bewusstsein der Menschen rücken. Außerdem sind wir gespannt, wie uns die gesammelten Bodendaten der Citizen Scientists bei aktuellen Forschungsfragen weiterhelfen können.“
Die „Füchse“ aus der Kita Rasselbande haben am Ende ihre Nasen ganz tief in die feuchte Erde gesteckt, ihre Hände sind erdig und ihre kleinen Forschergesichter glühen vor Stolz.