Dafür oder dagegen? Zwei KURIER-Redakteure streiten darüber, ob die dauerhafte Sperrung der Berliner Friedrichstraße für Autos Sinn macht

Die Friedrichstraße zwischen Leipziger und Französischer Straße ist seit Montag, 8 Uhr, dauerhaft für Autos gesperrt und zur Fußgängerzone erklärt worden. Zunächst soll es eine einwöchige Umbauphase geben. Es werden Sitzmöbel aufgestellt, im Frühling ist zusätzlich eine Begrünung geplant. In einem weiteren Schritt soll dann die langfristige Umgestaltung des autofreien Abschnitts angegangen werden, die nach Einschätzung der Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) mehrere Jahre dauern wird. Ein Bündnis der Anrainer hat Widerstand gegen den Umbau angekündigt. Zwei KURIER-Redakteure erklären, was sie von dem Umbau halten.
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Dafür: Hier kann ein echtes Zentrum entstehen, das Lust macht, länger zu verweilen
Dagegen sein ist einfach. Den Ist-Zustand zementieren, obwohl er eine Zumutung ist, auch. Der Umbau der Friedrichstraße zu einer Fußgängerzone erzeugt einmal mehr reflexhaft Gegenwehr.
Was aber, wenn man einmal kurz innehält und sich ernsthaft und ohne Schnappatmung fragt, was wir, was Berlin, mit dem Vorhaben gewinnen kann. Auf der einen Seite jault die Stadt, dass nichts angepackt wird, nichts funktioniert.
Wenn es dann mal schnell geht und Nägel mit Köpfen gemacht werden, wie jetzt in der Friedrichstraße, ist es auch nicht recht. Wann waren Sie denn das letzte Mal in der Ecke? Zum Flanieren, Kaffeetrinken, Einkaufen? Mit dem Auto? Eben.
Der Straßenzug so wie er jetzt ist, bietet wenig Anlass, eine Reise durch die halbe Stadt anzutreten, um dort zu verweilen. Wenn aber, wie geplant, die gesamte Mitte mit Gendarmenmarkt, Rathausforum und Checkpoint Charlie den Fußgänger in den Mittelpunkt stellt, kann hier ein echtes Zentrum entstehen, das Lust macht, länger zu bleiben. Ein Ort, an den man seine Besucher führt, einer, den Touristen frequentieren und die Berliner dann ebenso.
Wie der Ort am Ende aussieht, wird sich noch zeigen, das zwischenzeitliche Gemeckere über unschöne Stadtmöbel und Provisorien ist kleinlich. Die Alternative dazu wäre weiterer jahrelanger Stillstand in der Straße.
Wenn ein ordentliches Verfahren mit Architekten und Bürgerbeteiligung, das ja auch zu recht gefordert wird, durchgeführt werden soll, dann dauert das eben seine Zeit. Sich einerseits über die Einrichtung einer Fußgängerzone zu echauffieren und dann zu beklagen, wie lange das ordentliche Verfahren dauert, ist opportunistisch.
Berlin muss in ganz vielen Fragen Neues wagen, wenn es eine lebenswerte Stadt bleiben will. Dazu gehört auch, mit Provisorien und Unsicherheit zu leben. Machen wir doch einfach was draus. Am besten das Beste. (shi)

Dagegen: Das Gegenteil von Nichtstun ist nicht planlos, Frau Jarasch!
Keine Autos mehr in der Friedrichstraße? Vielleicht ist das eine ganz gute Idee. Doch das Problem ist hier nicht die Idee, sondern die Holterdipolter-Umsetzung.
Stellen Sie sich vor, Sie haben den Wunsch, sich ein Haus zu bauen. Sie haben aber über die Idee noch nicht mal mit der Familie gesprochen, geschweige denn einen Architekten beauftragt. Sie wissen noch gar nicht, wie das Haus aussehen soll, lassen aber schon mal die Baugrube ausheben. Da würde jeder denken: Der tickt doch nicht mehr richtig!
So ähnlich geht Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) mit der Friedrichstraße vor. Nachdem der erste Versuch vor Gericht scheiterte, wurden die 500 Meter jetzt dauerhaft zur Fußgängerzone umgewidmet. Kurz vor der Berlin-Wahl. Fühlt sich wie ein Geschenk für die grüne Kern-Wählerschaft an.
Ohne sich aber mit Anwohnern und ansässigen Gewerbetreibenden, die jetzt wieder mit Klagen drohen, abzustimmen, ohne einen Plan zu haben, wie die 500 Meter wirklich aussehen sollen. Noch nicht mal das Verfahren für die Planung steht bisher fest. Das alles wird dauern. Erst für den Haushalt 2026/27 ist Geld für die endgültige Umsetzung eingeplant.
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Kosten entstehen aber schon jetzt. 800.000 Euro für „hochwertige Sitzmöbel“, die aufgestellt werden, aber in drei Jahren schon wieder Müll sein könnten, wenn die Planung für die Fußgängerzone eine ganze andere ist.
Dazu kommt ein Geburtsfehler dieser Fußgängerzone. Fahrradfahrer dürfen durchfahren – im Schritt-Tempo. Kennt irgendjemand einen Radfahrer in Berlin, der 500 Meter Schritt-Tempo fährt?
Meine Kollegin, die für das Experiment Friedrichstraße plädiert, hat natürlich in einem recht. Berlin ist der Trödel-Weltmeister. Es dauert hier viel zu lange, bis Vorhaben umgesetzt werden. Bis etwas passiert, was getan werden muss. Und die Friedrichstraße muss rasch reanimiert werden, damit hier wieder Leben einzieht. Aber das Gegenteil von Nichtstun ist nicht planlos, Frau Jarasch! Was Nichtstun und Planlosigkeit eint: In beiden Fällen wird viel Geld vernichtet. (sth)
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