Currywurst, Goldbroiler, Würzfleisch: Warum im Osten die Lust auf Fleisch größer ist
Das Sojasteak hat es im Bratwurstland immer noch schwer. Schon in der DDR aß man mehr Fleisch und Wurst als im Westen.

Die Schlange vor Konnopke in der Schönhauser Allee war zu DDR-Zeiten noch viel länger als heute. In der DDR galt: Wenn Imbiss, dann Fleisch! Currywurst, Grilleta, Ketwurst, Goldbroiler, Soljanka, Würzfleisch oder Thüringer Bratwurst. Nach der Wende kam der Döner dazu. Und das wirkt bis heute nach. Noch immer wird im Osten viel mehr Fleisch als im Westen gegessen. Sojaschnitzel oder Hafermilch haben zwischen Gera und Stralsund einen schwereren Stand. Einzelhändler merken aber auch im Osten, dass der Markt für vegane oder vegetarische Ersatzprodukte angezogen hat. Fragt sich nur, wie lange der Hype anhält – auch angesichts des Krieges.
Lesen Sie auch: Omas Rezept: Zarte Schnitzel köstlich überbacken – das müssen Sie probieren!>>
Die Kult-Currywurstbude Konnopke in Berlin-Prenzlauer Berg steht exemplarisch für die Lust auf Fleisch zu DDR-Zeiten. Heute kommt man zum Mittagessen her, geöffnet wird um 11 Uhr. Damals war das ganz anders: „Schon morgens um halb fünf lockt das Licht hinter den Fenstern die Nachtschwärmer vom Prenzlauer Berg, Handwerker aus den umliegenden Gewerben und Schichtarbeiter“ an, ist auf der Internetseite von Konnopke zu lesen. Man kam früher zum frühen Frühstück her. Currywurst mit Pommes, das Bauarbeiterfrühstück. Heiß und fettig – und lecker.
Autoritäre Systeme sorgen für genug Fleisch und Alkohol
„Fleisch wurde ab den 50er-Jahren in BRD und DDR gleichermaßen als Symbol für gesundes Leben, Kraft und auch Männlichkeit gesehen“, sagt Esskulturforscher Gunther Hirschfelder, Professor für vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. In der BRD sei Fleisch in 70er-Jahren erst zögerlich, später aber immer vehementer skandalisiert worden.
In der DDR hingegen habe die Führung versucht, trotz Mangelwirtschaft Fleisch weiter verfügbar zu halten. „Systeme, die unter Druck stehen und die autoritäre Züge haben, tun gut daran, einer Bevölkerung Sachen wie Fleisch und Alkohol zu lassen.“

Zahlen belegen, dass die Vorliebe für Fleisch im Osten immer noch anhält. Im Osten (und in Bayern) essen Männer pro Tag über 105 Gramm Fleisch und Wurst. In den anderen Bundesländern liegt der Verbrauch bei 90 bis 105 Gramm. Ähnlich sieht es bei den Frauen aus, nur essen sie nur rund halb so viel Fleisch und Wurst wie Männer.
Lesen Sie auch: 20 geniale Energiespar-Tipps: So sparen Sie 250 Euro und mehr pro Jahr >>
Aber Zeiten ändern sich. Deutschlandweit waren die Wachstumsraten für den Veggie-Markt zuletzt immens: Einzelhändler berichten für 2021 von Umsatzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich. Laut Statistischem Bundesamt legte der Wert der produzierten Waren von 2019 auf 2020 um 37 Prozent zu. Mit rund 375 Millionen Euro war er aber immer noch hundertmal niedriger als der Wert aller in Deutschland produzierten Fleischprodukte.
Der Anteil der Vegetarier und Veganer lag demnach im Westen bei 14 Prozent, im Osten bei neun Prozent
Doch kommt der vorsichtige Trend zur Veggie-Wurst dennoch im Osten an? „Insgesamt und pauschal betrachtet ist die Nachfrage nach veganen Produkten im westlichen Teil unseres Absatzgebietes stärker als in Sachsen und Thüringen“, teilt etwa Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka mit, der aber auch auf ähnliche Strukturen in Nordbayern verweist.
In urbanen Zentren im Osten ziehe die Nachfrage jedoch an. Auch Rewe verzeichnete in seinem Vertriebsgebiet in Ostdeutschland für 2021 ein Umsatzplus „im höheren zweistelligen Prozentbereich“ im Vergleich zum Vorjahr.
Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zufolge griff 2021 fast jeder Dritte in Westdeutschland öfters zu vegetarischen Alternativen von tierischen Produkten, im Osten nur jeder Fünfte. Der Anteil der Vegetarier und Veganer lag demnach im Westen bei 14 Prozent, im Osten bei neun Prozent.

Dieser Unterschied hat aber auch mit der Wende zu tun. Denn damals seien die jüngeren, innovativen Bevölkerungsgruppen, die eher den Vegetarismus vorangetrieben hatten, in den Westen gegangen. Übrig geblieben sei eine ältere und männlichere Bevölkerung mit eher geringerem Einkommen. Diese Faktoren begünstigten eher einen hohen Fleischkonsum.
Dazu komme, dass im Osten die regionale Identität oft wichtiger sei als im Westen, weil sie stärker bedroht sei. „Und das führt dazu, dass man zu Traditionsprodukten eher steht“, wie Gunther Hirschfelder erklärt.
Der Trend zum Sojaschnitzel wird sich im Osten nicht durchsetzen
Wer herausfinden will wie es um den Veggie-Trend im Osten bestellt ist, kann im thüringischen 3000-Seelen-Städtchen Gößnitz an der Grenze zu Sachsen fündig werden. Dort machen Claudia und Uwe Lahl etwas, das man im Bratwurst-Bundesland nicht unbedingt erwarten würde: veganen Räucherkäse. Von den Verkaufsmengen im Einzelhandel sind sie mit ihrer Manufaktur weit entfernt. Dafür sind sie als Direktvermarkter umso näher an den Kunden.
„Die Leute sind auf jeden Fall toleranter geworden“, sagt Claudia Lahl. Als sie mit ihrer Manufaktur 2017 anfingen, habe es auch in den Supermärkten noch kaum Auswahl gegeben. Das habe sich gewandelt. Mittlerweile bestellten Menschen zwischen 20 und 60 Jahren bei ihnen, schräg angesehen würden sie nicht. Was man aber gerade auf dem Land merke: Hier gebe es viel weniger Geschäfte, in denen vegane oder vegetarische Produkte angeboten werden.
Vom Stadt-Land-Gefälle berichten auch die Einzelhändler. Bei Edeka werden insbesondere in Dresden und Leipzig anteilig besonders viele Ersatzprodukte verkauft, wie eine Sprecherin mitteilte. Auch in Städten mit hohen Studierenden-Anteilen, wie etwa in Jena, sei das zu beobachten.
Lesen Sie auch: Köstliches Rezept wie in der DDR: Ungarische Gulaschsuppe mit Paprika und Kartoffeln! So schmeckt der deftige Eintopf wie bei Oma…>>
Esskulturforscher Hirschfelder glaubt nicht, dass sich der Trend zum Sojaschnitzel im Osten auf breiter Front durchsetzen wird. In absehbarer Zeit werde die Gesellschaft nicht nur die ökonomischen Folgen der Corona-Krise stärker spüren, sondern vor allem die Folgen des Kriegs in der Ukraine. „Wir sehen, dass eine Überbewertung von Essen ein Wohlstandsphänomen ist.“
Dazu komme die Nachhaltigkeitsdebatte: Gerade Fleisch-Ersatzprodukte seien meist hochverarbeitete Lebensmittel mit langen Lieferwegen. „Man kann nur darauf warten, dass die medial gebasht werden.“