Köpenicker Familie: „Covid-19 hat unser Glück von heute auf morgen zerstört!“
Der Familienvater Oliver Ritter (55) aus Köpenick liegt seit fünf Monaten und 22 Tagen auf der Intensivstation und ringt nach einer Corona-Infektion um sein Leben

Sie haben ihm einen Strauß mit Kunstblumen mitgebracht und bunte Luftballons an seinem Bett befestigt. Seine Ehefrau und seine beiden erwachsenen Kinder sangen ihm ein Ständchen, obwohl ihnen nicht danach zumute ist. Vergangenen Dienstag hat er seinen 55. Geburtstag gefeiert, viel davon mitbekommen hat er allerdings nicht. Oliver Ritter aus Köpenick liegt seit genau fünf Monaten und 22 Tagen auf der Intensivstation der Charité. Der zweifache Familienvater ist schwer an Covid-19 erkrankt und kämpft ums Überleben.

„Die Situation ist sehr kritisch. Die Ärzte haben mir gesagt, dass mein Mann nur noch eine Überlebenschance von 10 Prozent hat. Er hat sämtliche Schäden, die man haben kann“, sagt Ilka Ritter (49). Vor wenigen Tagen hat die ganze Familie ein Sonderbesuchsrecht der Klinik bekommen, um sich noch einmal gemeinsam am Krankenbett ihres Angehörigen zu versammeln und vorsichtshalber schon mal Abschied nehmen zu können. Aber Ilka Ritter, ihre Tochter Jessica (27) und ihr Sohn Tim (22) hoffen täglich auf ein Wunder.
Ein Familientreffen am 13. März wurde dem Elektroingenieur Oliver Ritter zum Verhängnis. An jenem Abend fuhr Ilka Ritter zu ihrer Schwägerin, um mit den Verwandten über ihren lang geplanten Skiurlaub zu sprechen, den sie coronabedingt absagen mussten. Ihr Ehemann selbst traf sich in dieser Zeit mit einem Kumpel. Vier Tage nach dem Treffen rief die Schwägerin an und teilte mit, dass sie und weitere Familienmitglieder an Corona erkrankt seien.
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Am 18. März zeigte Oliver Ritters Ehefrau Ilka typische Symptome einer Covid-19-Infektion mit Halskratzen, Fieber, Geschmacks- und Geruchsverlust und Kopf- und Gliederschmerzen. Ein positiver Test brachte die Gewissheit: Auch sie war an Corona erkrankt. Fünf Tage danach begann auch Oliver Ritter zu fiebern. Während es Ilka Ritter langsam wieder besser ging, verschlechterte sich der Gesundheitszustand ihres Ehemanns zunehmend. „Mein Mann war ganz apathisch und hat ganz schwer geatmet. Er saß verzweifelt auf der Bettkante und rang nach Luft“, erinnert sich Ilka Ritter. Sie habe dann einen Rettungswagen gerufen, der ihren Mann in die Klinik nach Rüdersdorf brachte.
Dort diagnostizierten die Ärzte eine fortgeschrittene Lungenentzündung. Die Lage war so ernst, dass sie Oliver Ritter intubieren und ein künstliches Koma versetzen mussten. Kurz darauf veranlassten die Ärzte eine Verlegung in die Charité, wo er bis zum heutigen Tag liegt. Er bekam ein Tracheostoma (Luftröhrenschnitt), um besser atmen zu können und wurde alle 16 Stunden vom Rücken auf den Bauch umgelagert. Dann bekam Oliver Ritter auch noch eine bakterielle Infektion und eine Sepsis dazu. „Er hatte Lungenversagen und einen Herzstillstand und musste drei Mal wieder belebt werden“, beschreibt seine Frau das Drama um ihren Mann. Dabei sei es auch noch zu Einblutungen im Kopf gekommen.
Als Jessica Ritter ihren Vater Anfang Mai zum ersten Mal besuchte, war es ein wahnsinniger Schock für sie, ihn in diesem Zustand zu sehen, wie sie sagt. Es sei äußerst beklemmend gewesen. Sie habe Schutzkleidung getragen und eine FFP 3-Maske und sei von einem Pfleger zu seinem Bett geführt worden. „Überall an seinem Körper hingen Schläuche, die Geräte, unter anderem an einer Herz-Lungen-Maschine, an denen er angeschlossen war, piepsten unentwegt und sein ganzes Gesicht sei mit Herpes übersät gewesen“, erinnert sie sich. Sie habe ihrem Vater liebevoll die Hand gestreichelt und ihm etwas vorgelesen, damit er ihre Stimme höre. Dabei habe sie sich die ganze Zeit zusammen reißen müssen, um nicht zu weinen.
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Nach einer weiteren Lungenentzündung und einer Einblutung in der Lunge, die später operativ entfernt werden musste, gab es Ende August doch einen Hoffnungsschimmer. Die Ärzte hatten Oliver Ritter allmählich zurück aus dem Koma geholt. Er habe schon wieder blinzeln und die Stirn runzeln können und erkannte seine Frau und Kinder, wenn sie ihn besuchen kamen. Er lernte langsam wieder feste Nahrung zu sich zu nehmen und „konnte sogar schon Kartoffelpuffer und Stullen essen“, sagt seine Frau. Doch dann der Rückfall. Oliver Ritter bekam erneut hohes Fieber und erlitt einen septischen Schock. „Seine Nieren fielen aus und seine Leber ist so stark geschädigt, dass er eine neue braucht“, sagt Ilka Ritter. Doch zu einer Transplantation sei er momentan gar nicht in der Lage.
Wie viel Zeit ihnen noch bleibt, weiß Ilka Ritter nicht. Nur, dass jede Minute kostbar ist, die sie bei Oliver verbringen dürfen. Wenn seine Familie ihn im Krankenhaus besuchen will, dürfen sie wegen der Coronagefahr Slots nur einzeln und nicht länger als eine Stunde am Nachmittag bei ihm sein. Manchmal klappt es auch nicht, weil alle Zeitfenster schon von anderen Besuchern, die ebenfalls Angehörige auf der Intensivstation haben, ausgebucht sind.
Ilka Ritter erzählt das tragische Schicksal ihres Mannes nicht, um anderen Menschen Angst zu machen, so betont sie. Sie erzählt es deshalb, weil das Virus so heimtückisch ist und sie es vorher nie für möglich gehalten hätte, dass ihr eigener Mann einmal so krank wird. „Er war sportlich sehr aktiv und leidenschaftlicher Kitesurfer und Skifahrer und hatte keine Vorerkrankungen, außer einen leicht erhöhten Blutdruck“, erzählt sie. Als ihn der Rettungswagen vor fünf Monaten und 22 Tagen abholte, sei er selbst nur im Schlafanzug und Hausschuhen bekleidet eingestiegen. Da habe er wohl noch selbst geglaubt, er käme morgen wieder nach Hause. Corona hat Oliver Ritters bisheriges Leben von heute auf Morgen einfach ausgelöscht.

Zwei Mal ist Ilka Ritter schon Corona-Leugnern während der Demonstrationen in Mitte begegnet, als sie ihren Mann in der Charité besuchen wollte. „Während sie für ihre Freiheit protestiert haben, haben 500 Meter weiter, Menschen um ihr Leben gekämpft“, sagt sie. Oliver Ritter ist kein Einzelfall. Ilka Ritter und ihre Tochter Jessica seien in der Klinik auch anderen Covid-19-Patienten begegnet. Es gebe harte Schicksale dort. Seitdem ihr Vater dort liege, sei ihnen erst bewusst geworden, was die Pfleger und Ärzte leisteten. „Vor ihrer Arbeit haben wir wahnsinnigen Respekt“, sagt Jessica Ritter.
In Oliver Ritters Zimmer hängen noch die Luftballons von seinem Geburtstag, sie sind nur ein bisschen kleiner geschrumpft. Der Strauß mit den Kunstblumen steht auch noch neben seinem Bett. Seine Kindern haben ihm Fotos aus seinem früheren Leben aufgehängt und ein Motivationsposter. Wie viel er von der Liebe und Fürsorge seiner Familie noch mitbekommt, kann keiner so genau sagen. „Er ist verwirrt und bekommt keinen geraden Satz mehr heraus“, sagt Ilka Ritter unter Tränen. Sie selbst ist seit dem 18. März auch noch immer krank geschrieben und eine Röntgenaufnahme habe belegt, dass ihr Lungenvolumen durch die Covid-19-Erkrankung nachgelassen habe. Doch das sei bloß eine Lappalie gegen das Unglück, das ihrem Mann widerfahren sei. Sie sagt: „Covid-19 hat unser Glück von heute auf Morgen zerstört.“