Gesang statt Rückwärtsgang
Berliner Chöre singen jetzt im Autohaus
Weil Chöre in der Pandemie mit viel Abstand probieren müssen, sind große Räume gefragt wie nie.

Der Raum ist hoch und weiß. Er ist trocken, warm und gut zu belüften. Auf der schmalen Empore an der Stirnseite hätten Zuschauer noch vor einiger Zeit einen guten Blick auf die Dächer und Motorhauben von Limousinen gehabt. Doch statt der Motorengeräusche von Skoda, Mazda und Co. erklingen in einem ehemaligen Autohaus in der Persiusstraße in Friedrichshain zukünftig viel schönere Töne.
Mit Hilfe einer Sonderzuwendung der Senatsverwaltung für Kultur hat der Berliner Landesmusikrat in Kooperation mit dem Berliner Chorverband eine Koordinationsstelle für Proben- und Aufführungsräume eingerichtet. Antje Materna und David Montero sind seitdem unermüdlich auf der Suche nach geeigneten leerstehenden Räumen, in denen Orchester, Chöre und Ensembles proben können. Das Autohaus ist ein Volltreffer.
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In der riesigen Halle können die geltenden Abstands- und Hygieneschutzrichtlinien optimal eingehalten werden. Der Choriosi-Chor war bereits zur Probe und die Mitglieder sind froh. „Wir haben nun erstmal wieder einen Ort, der groß genug ist, um wieder zu proben (mit Maske und Abstand natürlich)! Außerdem trocken und mit Licht! Was will man mehr!“, sagen sie.
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Chöre und Ensembles vor großen Herausforderungen
Seit es wieder kühler wird, sind Amateurmusiker in Berlin vor große Herausforderungen gestellt. Nicht erst seit es zu Beginn der Pandemie im Domchor zu mehreren Ansteckungen kam, gelten für Proben und Aufführungen sehr strikte Hygienevorschriften. Doch wo man mit mindestens zwei Metern Abstand und nicht mehr Schulter an Schulter singt, muss mehr Platz her für Carmina Burana oder Gospel-Songs. Platz, den es so ohne weiteres und vor allem kostengünstig in der Stadt kaum gibt.
„Wir haben immer noch mehr Nachfrage als Angebote“, sagt David Montero , einer der beiden Raumsucher. Dennoch haben er und seine Kollegin in anderthalb Monaten Beachtliches auf die Beine gestellt. Über 20 Orte, an denen die immerhin 120 000 Berlinerinnen und Berliner, die in Chören singen, aktuell proben können, sind in der neuen Raumdatenbank aufgeführt. Nach Größe und Bezirk geordnet kann man nach einem passenden Angebot suchen. Oder aber einen Raum zu Verfügung stellen.
Trabrennbahn, Club oder Tanzschule - gesungen wird, wo Platz ist
Und so kommt es, dass auf der Trabrennbahn Karlshorst zu bestimmten Zeiten gesungen wird. Oder, dass im derzeit geschlossenen Club Matrix zeitweise Chöre proben. Ein Hangar in Tempelhof, Räume einer Tanzschule in Charlottenburg oder die Halle einer alten Eisengießerei in Reinickendorf stehen der Kultur zu Verfügung und es dürften noch viel mehr Räume werden: Über 100 Anfragen von Gruppen gab es allein in der ersten Woche, meist Ensembles mit 30 bis 40 Mitgliedern.
„Viele große Chöre sind derzeit ohnehin in kleinerer Besetzung unterwegs“, sagt Ralf Sochaczewsky, Präsidiumsmitglied des Landesmusikrats für den Bereich Amateurmusik.
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Mitglieder zählen zu Risikogruppen oder wollen das persönliche Risiko einer Ansteckung nicht eingehen. Dabei habe es über den ganzen Sommer und auch als die Chöre Ende August wieder in geschlossenen Räumen proben durften, keinen einzigen Fall einer Ansteckung gegeben. „Die ausgefeilten Konzepte für jeden Chor, jedes Ensemble greifen also.“ Singen ist gesund, das galt schon vor der Pandemie, auch jetzt sei das so. „Wir sind keine Pandemietreiber“, so Sochaczewsky weiter.
Im Sommer sei die Szene sehr kreativ gewesen. Gut nutzbare Örtlichkeiten im Freien hatten sich schnell herumgesprochen. Eine Brücke beim Kanzleramt, die einen akzeptablen Klang hatte, die Höfe von Industriestätten. Der eine oder andere große Tordurchgang mit ansprechender Akustik. Doch mit sinkenden Temperaturen und auf lange Sicht muss etwas Handfesteres her. „Proben sind doch eine intime Angelegenheit“, sagt Ralf Sochaczewsky. Pöbler, Passanten, Wind und Regen auf offener Straße sind eher destruktiv. Eine diffizile Produktion von Kunst sei so schlicht nicht möglich.
Auch deswegen wollen Montero und Materna die zwangsverordnete Novemberpause nutzen, die Raumvermittlung auch gut für die Zeit nach Corona aufzustellen.
Landesmusikrat fordert dauerhafte Raumkoordinatoren
„Es wird eine Zeit danach geben und das Raumproblem für Amateurmusiker ist nicht neu“, sagt David Montero. Der Landesmusikrat fordert daher analog zum Vorgehen bei Sportstätten ein Kulturfördergesetz – hier müsste eine dauerhafte Stelle für Raumkoordination eingerichtet werden.