Bunt, laut, verrückt: So schrill wird Berlins neueste Late-Night-Show
Guntbert Warns (61), Intendant des Renaissance-Theaters am Ernst-Reuter-Platz, holt eines der schrägsten Bühnen-Spektakel in das Haus.

Gute Nachrichten für alle Nachtschwärmer: Berlin bekommt ab diesem Wochenende eine neue Late-Night-Show. Sie wird wild, schrill, obszön, laut – und eines der ersten Projekte des Berliner Theater-Stars Guntbert Warns. Der 61-Jährige ist seit dem Sommer Intendant des Renaissance-Theaters am Ernst-Reuter-Platz, holt mit „Hedwig and the Angry Inch“ eines der schrillsten Musicals in das Haus.
In Amerika hat die Show längt Kult-Status, hierzulande noch nicht – aber das soll sich bald ändern. „In den Staaten hat es auch länger gebraucht. Am Broadway funktioniert es aber inzwischen“, sagt er dem KURIER. „Aber es hat auch hierzulande das Potenzial zum Kult-Stück. Ich habe den Wunsch, dass es sich durchsetzt.“ Die Inszenierung war bereits in der Absinth-Bar des Admiralspalast zu sehen, zog später ins BKA, doch der große Durchbruch blieb aus. „Aber Hedwig gehört nach Berlin“, sagt Warns.

Das liegt schon an der Geschichte: Es geht um den jungen Hansel, er wächst in der DDR auf. Er ist homosexuell, verliebt sich in einen amerikanischen Soldaten. Um dem GI über die Grenze in die große, weite Welt folgen zu können, lässt sich Hansel zu Hedwig machen. Doch die OP geht schief, die Liebe scheitert, Hedwig bleibt allein in einem US-Trailerpark zurück – und tourt mit ihrer Punk-Band durch die Hinterhof-Clubs. Das Musical ist ein Konzert, Hedwig erzählt währenddessen die eigene Geschichte.
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Und zwar: brutal, laut, wild, schrill. Für die neue Sause im Renaissance-Theater – das Musical soll hier zweimal im Monat zu sehen sein – musste es sogar abgeändert werden. Denn die Hauptfigur setzt auf Kontakt mit den Zuschauern, spuckt auch mal ins Publikum. „Da müssen wir durch Corona natürlich Abstriche machen“, sagt Warns. „Einige Dinge müssen nun verbal und durch Blicke und Gesten klappen.“
Hygiene-Regeln gelten auch im Renaissance-Theater
Auch im Renaissance-Theater ist Corona allgegenwärtig: Besucherführung, Maskenpflicht, Desinfektion, rund 140 statt 540 Sitzplätzen. Weniger Gäste, aber große Hoffnungen. „Wir sind in den neuen 20er-Jahren“, sagt Warns. Bisher sei der Verlauf des Jahres aber eher Anti-20er. „Ich will mir aber noch nicht ausreden lassen, dass wir es noch schaffen können, Stimmung wie damals aufkommen zu lassen.“

Bisher sei die Lage, wie überall, schwierig gewesen. „Es war frustrierend – alles, was wir planten, war irgendwann hinfällig.“ Vieles muss sich noch finden, vorerst seien viele Kult-Stücke des Hauses verbannt. Etwa „Spatz und Engel“, ein Stück über Marlene Dietrich und Edith Piaf. „Wie soll man eine Liebesgeschichte zweier Frauen auf die Bühne bringen, ohne dass die beiden sich berühren dürfen?“
Auferstanden aus Ruinen: Das Stück gehört zu Berlin
Dass es nun weitergeht, freut auch Sven Ratzke. Der deutsch-holländische Entertainer spielt seit Jahren die Rolle der Hedwig – und kann dank festem Spielort für seine schrille Show nun öfter in Berlin sein, seiner zweiten Heimat. Und: er freue sich auf das Publikum, sagt er. „Vom Keller des Admiralspalasts ins Dachgeschoss des BKA – und nun dürfen wir in ein großes Theater. Das ist ein Aufstieg“, sagt er und lächelt. Momentan läuft das Stück bis Sonntag (Fr. & Sa. 23 Uhr, So. 18 Uhr), danach wieder am 16. und 17. Oktober (jeweils 23 Uhr).
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Vor allem neue Gäste könnten nun begeistert werden. „Das Stück gehört auch einfach nach Berlin. Und es passt in die Zeit. Die Geschichte von Hedwig ist voller Brüche – und immer wieder steht sie auf aus den Ruinen. Das passt auch zur Situation der Theater in der Corona-Zeit.“ Berlin brauche eine Figur wie Hedwig. „Wir haben das Bedürfnis, alle Menschen in eine Schublade zu stecken“, sagt Ratzke. „Aber Hedwig ist weder Mann noch Frau, eine Rebellin. Sie lässt das nicht zu. Das ist typisch Berlin.“