Politiker wollten nicht antanzen
Bundespresseball in Berlin: Ukraine-Botschafter Andrij Melnyk rüffelt Steinmeier und Bundesregierung
Wenn sie hoffen, dass sie durch ihre Abwesenheit kritischen Fragen entgehen, dann irren sie sich, sagte Melnyk.

Ein bisschen unheimlich war der Bundespresseball 2022 schon. Das Bundeskabinett hatte abgesagt, der Bundespräsident ebenfalls. Einer, der zum Ball kam, nahm das persönlich. Dabei gab es gute Gründe, nicht in Schampuslaune zu verfallen.
Die Politprominenz fehlte weitgehend. Die Kleider waren dunkler, die Bars und Tanzflächen weniger voll und die Reden wichtiger. So politisch wie 2022 war der Bundespresseball, die Jahresparty der Hauptstadtjournalisten, wohl kaum je zuvor. Und auch selten so gelichtet!
In den vergangenen Jahren sorgte die Corona-Pandemie für mehrere Verschiebungen. Nun gab Russlands Angriff auf die Ukraine dem Ball am Freitagabend im Berliner Hotel Adlon am Brandenburger Tor ein neues Gesicht und ließ ihn zum „Solidaritätsball“ für die Ukraine werden. Direkt neben der russischen Botschaft Unter den Linden!
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Für Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf die Veranstaltung damit genau den richtigen Ton. „Wenn dieser grauenhafte Krieg, dieser aggressive Angriffskrieg Putins in der Ukraine auch ein Propagandakrieg ist, auch ein Krieg gegen die Kultur, die Kultur der Demokratie, dann war es sehr wichtig, ein Signal zu setzen, ein Signal für die Pressefreiheit, ein Signal für die Kultur der Demokratie, und das ist gestern Abend passiert“, sagte die Grünen-Politikerin am Samstag im Deutschlandfunk, offenkundig noch erfüllt von den Ereignissen des Vorabends.
Forderung nach schweren Waffen beim Bundespresseball
Andere prominente Politiker hatten allerdings wegen des Kriegs abgesagt, allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Mitglieder des Bundeskabinetts. Die Aufmerksamkeit vieler der rund 1800 Journalisten, Verleger, Moderatoren, Manager, Lobbyisten und Politiker beim 69. Bundespresseball galt dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der schon in den vergangenen Wochen Teile der Politik mit seinen Forderungen nach schweren Waffen und ungewöhnlich deutlichen Worten genervt hatte.
Möglicherweise war das auch der Grund für etliche Absagen in diesem Jahr. Bei allem Verständnis für die Sorgen und Nöte Melnyks: Kein Politiker lässt sich gern vorführen, während andere die Champagnergläser klirren lassen und das Tanzbein schwingen.
Die Bundespressekonferenz, der Verein der Hauptstadtjournalisten, hatte Melnyk bekanntermaßen um eine kurze Rede gebeten. Und der nutzte sie für klare Ansagen. Melnyk dankte der Presse für ihre notwendigen Berichte über den Krieg und würdigte den Ball mit ukrainischen Künstlern und einer Spendensammlung für ukrainische Journalisten als Zeichen der Solidarität.
Die Absage Steinmeiers und die der Minister kritisierte er allerdings deutlich: „Umso mehr finde ich es schade, dass viele Politiker hauptsächlich durch ihre Abwesenheit glänzen. Doch wenn sie hoffen, dass sie dadurch kritischen Fragen entgehen, dann irren sie sich.“
Ukraine-Botschafter goss beim Bundespresseball weiter Öl ins Feuer
So goss der Ukraine-Botschafter also weiter Öl ins Feuer. Immerhin bleibt er so im Gespräch, nur muss er jetzt langsam aufpassen, dass er nicht ins Gerede kommt.
Nur die Medien hätten durch ihr Nachfragen zu der „zögerlichen“ Haltung der Bundesregierung beim Thema Waffenlieferungen Druck aufgebaut, ohne den die „Zeitenwende“ nicht möglich gewesen wäre, sagte Melnyk weiter. Die Ukraine brauche die Waffen dringend, um ihre Existenz nicht zu verlieren.
Und dann richtete er sich direkt an die Journalisten im großen Dinnersaal, die ihm ausdauernd applaudierten: „Wenn ein Krieg lange dauert, droht die Aufmerksamkeit der Medien nachzulassen. Ich bitte Sie daher, verlieren Sie nicht das Interesse an dem, was der Ukraine angetan wird, sonst sterben die Menschen unbemerkt. Und wenn Menschen unbemerkt sterben, dann stirbt auch die Wahrheit.“
Wegen der Corona-Pandemie hatten die Veranstalter die Zahl der Gäste in Smokings und Abendkleidern um 500 reduziert, entsprechend weniger Gedränge gab es auf dem roten Teppich, wo auch die Sängerin Natalia Klitschko, Ehefrau von Vitali Klitschko, dem früheren Profi-Boxer und aktuellen Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, sich bedankte. „Es geht um Zusammenhalt, um Unterstützung, die Hilfe der deutschen Bevölkerung ist unglaublich.“

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) kam mit blau-gelber Fliege, auch viele andere Besucher trugen Anstecker oder Schleifen in Blau-Gelb, den Nationalfarben der Ukraine. „Wir feiern, um Journalisten zu helfen. Ich glaube, wir müssen auch nicht alles absagen“, sagte Kubicki.
Ähnlich sahen es der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und seine Frau. Sie seien gekommen, „weil wir wissen, dass dieser Presseball für die Ukraine etwas tut“. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil versuchte sich in der Verteidigung seiner Parteifreunde und meinte, er verstehe die Minister, wenn sie sagten: „Uns ist nicht nach Feiern zumute.“
Bundespresseball 2022 mit ukrainischen Künstlern
Claudia Roth sagte am nächsten Morgen auf die Frage des Deutschlandfunks, ob ihre Kollegen eine Chance verpasst hätten: „Das müssen die alle für sich selber entscheiden. Es gibt sicher unterschiedliche Gründe, warum sie nicht anwesend waren. Aber als Zuständige im Kabinett war ich da und es sollte ja auch ein deutliches Zeichen sein“, erklärte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
An den beiden Champagnerbars im ersten Stock des Adlons, an den Buffets und Bierständen war die Stimmung mit fortgeschrittener Uhrzeit aber keineswegs bedrückt. Ukrainische Künstler traten auf, die Tanzflächen wurden voller, eine Bigband und Quartette spielten, später legten DJs auf.
In der Raucherbar, versteckt am Ende eines Ganges hinter einem Restaurant, war das Gedränge am größten und die Lautstärke am höchsten. Hostessen gingen mit großen Sammelboxen herum, in denen Geldscheine lagen. Es werde viel gespendet, sagte eine von ihnen. Die meisten Gäste überwiesen das Geld per Handy.
Das Thema des Abends konnten auch die am Brandenburger Tor flanierenden Touristen an den Absperrgittern vor dem Adlon sehen. Blau-gelbe Strahler leuchteten auf das Hotel und in den Himmel.
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