Brotbacken, Gemüseanbau und Essen auf die Hand: Wie uns 2020 geschmeckt hat
Im Pandemie-Jahr mussten in deutschen Küchen kreative Genuss-Lösungen her. Traditionelle Gerichte, Selbstversorgung und Gesundheit standen auf der Speisekarte.

Sich in der Krise mit selbstgebackenem Brot versorgen - einer der kulinarischen Trends 2020.
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Ein krosser und fluffiger Pizzaboden zugleich gelingt tatsächlich mit Backpulver! Musste er an einem Samstagabend im April dieses Jahres auch zwangsläufig. Denn beim Blick in die Regale von sechs verschiedenen Supermarktketten bot sich mir in der Backabteilung immer wieder dasselbe Bild: Hefepäckchen sind ausverkauft. Mehl hatte ich glücklicherweise bereits einige Zeit vor Beginn der Panikkaufsaison gehamstert. Mit ein wenig Milch, Olivenöl, einer Prise Salz und eben erwähntem Backpulver ließ sich der Teig zu einer recht puristischen und traditionellen Pizza formen. Sie schmeckte vollmundig wie beim Italiener um die Ecke, den man während des Lockdowns im Frühjahr nicht besuchen konnte.
Wer in diesem Jahr auf exklusive Fine-Dining-Erlebnisse in Restaurants oder ausgewählte Heißgetränkspezialitäten in Cafés gesetzt hatte, bekam ab Mitte Mai eine andere Art von Exklusivität und Ausgewähltem: nämlich einen vom Tischnachbarn mindestens 1,5 Meter entfernten Sitzplatz. Eisbein mit Sauerkraut oder Linseneintopf schmeckten in den Lokalen deshalb nicht besser oder schlechter. Sicherlich machten sich aber einige Restaurantbesucher noch mehr Gedanken darüber, was sie bestellen als gewöhnlich.
Gesundheitliches Bewusstsein im Trend
Denn das gesundheitliche Bewusstsein in Pandemie-Zeiten lag und liegt weiterhin im Trend, weiß Kulturwissenschaftler Gunter Hirschfelder von der Universität Regensburg. „Essen soll mich widerstandsfähig machen, lautet die Devise. Wir diskutieren noch stärker über Sauerkraut, Rote Beete oder andere saisonale Gemüsesorten. Allerdings weniger, weil sie nachhaltig sind, sondern, weil sie bestimmte stoffliche Eigenschaften haben, die uns gesund halten und fit machen“, sagt er.
Wer 2020 von gesunden Vitaminbomben zu Hause naschen und damit gleichzeitig seinen ökologischen Fußabdruck in der Welt hinterlassen wollte, baute sein eigenes Obst und Gemüse an. Radieschen, Tomaten, Kopfsalat, Steckrüben, Kräuter: An vielen Küchenfenstern und auf unzähligen Balkonen blühten die saftigen Früchte der Wochen zuvor eingepflanzten Samen.
Tipps für Hobbygärtner
So wie bei Patrick, der seine Erfahrungen beim Gärtnern, seitdem er im Februar nach Berlin gezogen ist, mit seinen rund 15.000 Followern bei Instagram teilt. Der Franzose, der auf der Plattform „thefrenchiegardener“ heißt, verbringt jeden Tag mindestens 30 Minuten mit der Pflege seiner Gemüsesorten. Für alle Hobbygärtner hat Patrick einen Tipp. „Man sollte nicht zwei verschiedene Pflanzen in einen Topf pflanzen. Ich habe das im letzten Jahr gemacht, weil ich gedacht habe, dass ich ein bisschen produktiver anbauen könnte. Aber die Natur ist nicht auf Produktivität ausgerichtet, sondern immer darauf, eine gute Qualität zu erzeugen.“
Der unbändige Trend zur Selbstversorgung zeigte sich ebenso beim Brotbacken. Mehl und Hefe waren auch deswegen so lange Mangelware, weil sich zahlreiche Haushalte ihre eingeweckte Marmelade auf die frisch gebackenen Laibe schmierten. Von diesem Boom profitierte auch Laurel Kratochvila. Die Inhaberin des Fine Bagels auf der Warschauer Straße in Friedrichshain verkauft in ihrem Laden zwei Dinge: Bagels und Bücher. „Während des ersten Lockdowns haben wir allein 50 Bücher übers Brotbacken in Berlin ausgeliefert.“
Siegeszug der sogenannten Ghost Kitchens
Geliefert haben auch dutzende Essens-Bringdienste. „Im Bereich Delivery gibt es eine unglaubliche Dynamik“, sagt Kulturwissenschaftler Hirschfelder. Er glaubt, dass die Branche stetig wachsen wird, denn „die Leute gewöhnen sich daran, dass ihnen Essen ausgeliefert wird“. Das wiederum könnte einen Siegeszug der sogenannten Ghost Kitchens – in denen nur gekocht, aber keine Gäste bedient werden – zur Folge haben. Die Vorteile liegen auf der Hand: Für Kunden bietet ein solches Angebot eine große Auswahl an flexiblen und individuellen Speisen, Gastronomen können dadurch bei der Standortwahl oder beim Personal sparen.
Auf die Hand oder to go gab es 2020 nicht nur den Döner oder die Currywurst, sondern auch Pasta, Suppen oder den Gänsebraten in Pappschachteln. Selten schön angerichtet, unterwegs im Auto oder auf dem Gehweg nicht immer praktisch zu essen, aber meist ein abwechslungsreicher Sattmacher in einer sehr grundsätzlichen Zeit. Ohnehin standen in vielen Haushalten öfter einfache erprobte Gerichte wie Eintöpfe, Braten oder Kartoffelspeisen auf dem Tisch.
Weniger im Fokus stand die internationale Küche. Urlaubsfeeling kam in meiner Küche dennoch besonders in der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr auf. Da Genuss-Expeditionen in andere Länder nicht möglich waren, unternahm ich einfach eine kulinarische Weltreise bei mir zu Hause und widmete mich jedes Wochenende einer anderen Esskultur.
Eine Bouillabaise und Coq au vin brachten mir Frankreich ein Stück näher, eigens marinierte Spareribs erinnerten mich an die USA und mit Lachs im Bratschlauch fand ich mich plötzlich in Skandinavien wieder. Was mir beim anschließenden Essen am meisten fehlte? Meine Familie und Freunde, für die ich ansonsten sehr gerne koche. Auf ein schlemmerhaftes 2021 – in hoffentlich bester Gesellschaft!