Verarmung am Stadtrand

Brennpunkt-Kiez Falkenhagener Feld: Quartiersräte schlagen Alarm

Energiekosten, Inflation, Perspektivlosigkeit – die Menschen am Rand der Stadt gehen auf dem Zahnfleisch

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Siedlung aus den 1960er Jahren; das Falkenhagener Feld. 
Siedlung aus den 1960er Jahren; das Falkenhagener Feld. Sabine Gudath

Die Großsiedlung Falkenhagener Feld entstand in den 1960er Jahren für Mieter mit geringem Einkommen. Eine Mark und neunzig kostete damals der Quadratmeer zur Miete. Ganz im Westen der Stadt, nicht ganz so dicht bebaut wie die Gropiusstadt, aber ebenso wenig gut angebunden an den Rest der Stadt wie etwa das Märkische Viertel, wohnen auch heute hier viele Menschen, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind.

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Seit 2014 ist im Viertel rechts und links der Falkenseer Chaussee ein Quartiersmanagement beauftragt. So sollen mit den Akteuren vor Ort soziale Herausforderungen gemeistert werden und  Lebensqualität erhalten werden. Doch die Stimmung kippt, schreiben jetzt die Quartiersmanager und warnen vor sozialen Schieflagen. Droht das Falkenhagener Feld abzurutschen?

Probleme in Berlins Großsiedlungen

Schon im Oktober haben die Quartiersräte im Falkenhagener Feld auf die Probleme in den Siedlungen aufmerksam gemacht, Ende Dezember veröffentlichten sie einen offenen Brief. Bis zu den Silvesterkrawallen in Nord-Neukölln waren es da nur noch wenige Tage. Sie erst rückten sie sozialen Probleme in Berliner Großsiedlungen ins Rampenlicht. Allen muss klar sein, abgehängte Viertel kann Berlin sich nicht leisten.

Soziale Probleme verschärfen sich im Falkenhagener Feld, warnen Sozialarbeiter vor Ort. 
Soziale Probleme verschärfen sich im Falkenhagener Feld, warnen Sozialarbeiter vor Ort. Sabine Gudath

„Lassen Sie nicht zu, dass sich die sozialen Problemlagen in unserem Quartier und anderswo weiter verschärfen. In Berlin gibt es 51 Großwohnsiedlungen. Dort leben insgesamt eine Millionen Menschen“, heißt es in dem offenen Brief. Die Gelder und alle Aufmerksamkeit müssten raus aus dem S-Bahn-Ring, rein in die Siedlungen.

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Etwa 38.000 Menschen lebten zurzeit in der Großwohnsiedlung Falkenhagener Feld, schildert der Brief. Armut, Existenzängste, Mangelernährung bei Kindern und Alten waren schon vor den aktuellen Krisen hier Alltag. Doch mittlerweile ist die Schlange vor der Ausgabestelle der Tafel in der Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde noch länger geworden, fällt es immer schwerer, die sozialen Härten abzufedern.

„Die steigenden Preise auf die Güter des täglichen Bedarfs verschärfen die bereits bestehende soziale Notlage, die Strom- und Gasversorgung wird zum Luxus. Hier im Quartier sind bereits 27 Prozent der Menschen auf Transferleistungen angewiesen. Der Anteil erwerbsloser Menschen liegt bei rund 8 Prozent. Mehr als jedes zweite Kind ist hier von Armut betroffen.“

Angst vor der nächsten Energierechnung

Menschen im Falkenhagener Feld hätten Angst vor der nächsten Energierechnung. Die, die bisher irgendwie über die Runden kamen, fürchten, dass auch sie abrutschen. „Das Klima im Quartier wird rauer und die Menschen sind zunehmend weniger in der Lage, den wachsenden psychischen Belastungen Stand zu halten. Auch rassistische und antisemitische Äußerungen und Beleidigungen nehmen spürbar zu“, schreiben die Quartiersräte. Und weite: Hier am Stadtrand gingen die Menschen bereits jetzt auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch. Soziale Schieflagen könnten nicht ausreichend durch die Zivilgesellschaft aufgefangen werden.

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„Wo ist die Schwemme von sozialen Akteuren, die einspringen, wenn der Staat nicht mehr ausreichend präsent ist?“, fragen die Menschen vor Ort. Denn im Falkenhagener Feld profitiere niemand von reicheren Kiezen oder neuen Jobs in der Hauptstadt.

Dringend nötig seien Antworten auf die aktuellen Krisen und Perspektiven für eine Zukunft ohne Angst vor Hunger, kalten Wohnungen oder dem Verlust des Zuhauses.

Im Falkenhagener Feld gibt es viele Wohnungen, die sanierungsbedürftig sind. 
Im Falkenhagener Feld gibt es viele Wohnungen, die sanierungsbedürftig sind. Sabine Gudath

Verarmung muss gestoppt werden

Die Quartiersräte haben einen Forderungskatalog aufgestellt: Lebensmittel sollen leichter von Supermärkten an Bedürftige gegeben werden. An den Bund gerichtet: eine Subventionierung von Konzernen, die in der Krise mit Mitnahmegewinnen profitieren müssen verhindert werden.

Die Wohnungen im Falkenhagener Fels sind oft in einem baulich katastrophalen Zustand, nötig ist die energetische Sanierung, die kommunalen Wohnungsunternehmen müssten sie angehen. Auch seien Instrumente zur Regulierung der Mieten nötig. „Die Belegungsquoten in unseren Häusern sind unzumutbar: Hier werden keine diversen Nachbarschaften gefördert, sondern bestimmte Problemlagen in einzelnen Häusern konzentriert“, lautet ein Vorwurf.

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Die Grundsicherung müsse deutlich erhöht werden und Menschen dazu befähigen,  ihre Heizkosten zu bezahlen oder für sich und ihre Kindern Winterkleidung zu kaufen. „Eine noch stärkere Verarmung einer relevanten Anzahl an Menschen im Falkenhagener Feld können wir nicht hinnehmen.“

Sozialsenatorin Katja Kipping verwies in einer Antwort auf den offenen Brief auf das Kündigungsmaratorium und den Mietenstopp bei städtischen Wohnungen und auch auf de eingerichteten Härtefallfonds für Energieschulden. Auch soll es ein Treffen mit den Quartiersräten geben.