Klappt die Integration?
Pflegenotstand: Dieser Brasilianer ist jetzt Pfleger in Cottbus
Bevor Bruno Ribeiro da Silva (36) nach Deutschland kommen konnte, musste er erst mal seine Möpse auf Diät setzen

Im Pflegebereich fehlen in Deutschland Zehntausende Arbeitskräfte. Die Deutschen werden immer älter, damit steigt auch der Anteil derjenigen, die auf Pflege angewiesen sind. Doch schwer ist die Arbeit, meist nicht sehr gut bezahlt. Deshalb kommen jetzt immer mehr Pflegekräfte aus dem Ausland zu uns. Aus Polen, Vietnam oder Brasilien. Bruno Ribeiro da Silva ist einer von ihnen. Er gehört zu rund einem Dutzend brasilianischer Pflegekräfte, die am künftigen Universitätsklinikum CTK arbeiten. Wie gut klappt die Integration?
Klar, dass die erste Frage nach seinem Hobby die nach Fußball ist. Bruno Ribeiro da Silva lächelt. Seine freundlichen Augen blicken etwas müde. „Schlafen war die vergangenen Monate mein Hobby“, sagt er. Sprachkurse, Abschied von der Familie in São Paulo, Anpassungslehrgang und ein neues Leben in einem noch unbekannten Land – die Zeit war für ihn intensiv. Der 36-Jährige ist seit August einer der ersten ausgebildeten brasilianischen Pflegefachmänner im Cottbuser Carl-Thiem-Klinikum.
Mitgebracht hat der 36-Jährige einen Teddy aus seiner Kindheit und ein geschenktes Fachbuch für Kardiologie
In seinem Heimatland arbeitete er in der Kardiologie – seinem Lieblingsbereich, wie er erzählt. Dort hat er sich viel Wissen angeeignet, war Praxisanleiter. Doch die Bezahlung reichte häufig nicht zum Leben, teilweise musste er zwei Jobs annehmen. Sein Drang, beruflich weiterzukommen, brachte ihn schließlich nach Deutschland: im Koffer ein Teddy aus seiner Kindheit, Sommerkleidung und ein geschenktes Fachbuch für Kardiologie. Für ihn ist Deutschland ein Wissenschaftsland mit einer moderneren Medizintechnologie. „Mir waren neue Herausforderungen, neue Arbeitsmöglichkeiten wichtig.“
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Das CTK hat die größte Ausbildungsstätte für Gesundheitsfachberufe in Brandenburg, bildet seinen Nachwuchs selbst aus, doch der Bedarf an Mitarbeitern im Pflegebereich steigt, die Bewerbungen reichen bei weitem nicht. „Wir wissen ganz klar, dass wir in zehn Jahren unseren eigenen Bedarf nicht mehr decken können“, macht Pflegedirektorin Andrea Stewig-Nitschke klar. „Jeder zweite Schulabgänger in Südbrandenburg müsste in der Pflege lernen, damit wir den Bedarf hier sichern können.“
Seit 2019 bemühen sich CTK und das Land deshalb um Großprogramme zur Fachkräfterekrutierung. Sie stützen sich dabei auch auf Erfahrungen anderer Bundesländer. Am Klinikum lernen neben den Brasilianern auch knapp 100 Pflegekräfte aus Vietnam, aus dem Nachbarland Polen werden junge Menschen in Forst im Spree-Neiße-Kreis in einer eigens dafür geschaffenen medizinischen Schulklasse für die Region ausgebildet.
Pro Jahr werden an der Klinik 60 bis 80 Pflegekräfte aus dem Ausland gebraucht
Der Bedarf ist groß. 60 bis 80 Menschen würden pro Jahr aus dem Ausland gebraucht, obwohl auch Kräfte aus Südbrandenburg in der Ausbildung seien, sagt Stewig-Nitschke. „Wir stehen immer wieder vor der Frage: Wie bekommen wir spezifische Fachbereiche gedeckt wie etwa die Intensivpflege.“ Der eingerichtete Anpassungslehrgang für Menschen wie Bruno ziele auf Pflegekräfte, die aus ihren Ländern Wissen mitbrächten. Das Klinikum stehe dafür auch in engem Austausch mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), dem Land und der Landeskrankenhausgesellschaft (LKB).

LKB-Geschäftsführer Michael Jacob sieht die Gewinnung ausländischer Fachkräfte als „einen Mosaikstein“ im Kampf gegen den Fachkräftemangel. „Natürlich muss man immer ein Stück weit ein Auge darauf haben, aus welchen Ländern die Menschen kommen, das muss man verantwortungsvoll machen“, sagt er. Im Pflegebereich seien in Brasilien viele Menschen arbeitslos, es könne eine „Win-win-Situation“ für alle Beteiligten entstehen.
„Wir haben am CTK genau überlegt, wer von seiner Pflegeausbildung her passt und auch, wer sich hier in der Region wohlfühlen könnte“, beschreibt Pflegedirektorin Stewig-Nitschke die Auswahl. Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hält es für wichtig, ausländische Fachkräfte frühzeitig darüber zu informieren, in welchem Umfeld sie eingesetzt werden. „Fachkräfte aus Metropolen müssen wissen, dass sie es in Brandenburg eher mit ländlichen Regionen zu tun haben. Bei falschen Erwartungen werden wir sie sonst in Richtung Großstädte verlieren“, warnt die Ministerin.
Wie sich Mutti um die zu dicken Möpse von Bruno kümmerte
Bruno hatte sich in Brasilien über das CTK informiert. Es sei renommiert in der Region und werde zum Uni-Klinikum und digitalen Krankenhaus ausgebaut – der richtige Platz für ihn, sagt er. Für seine Ankunft hatte das Klinikum eine Wohnung organisiert, übernahm für den Übergang die erste Miete.
Katrin Pischon, Lehrerin an der Medizinischen Schule des CTK, kümmert sich als Koordinatorin unter anderem um die Integration der ausländischen Mitarbeitenden. Für den Brasilianer ist sie mittlerweile die „Mutti“. Schon früh hatte Pischon Kontakt mit Brasilien. In Video-Calls wurden Details besprochen, mit Glühwein gemeinsam Weihnachten gefeiert – ein erstes Vertrautmachen.
Nun helfen Pischon und ihr Team beim Eingewöhnen der Pflegekräfte und auch ihrer Familien – bei Behördengängen, bei alltäglichen, aber auch ungewöhnlichen Situationen. So wusste die Koordinatorin, dass die zwei Möpse des Krankenpflegers für seine Reise nach Deutschland zu dick waren. Die Hunde wogen jeweils elf Kilo, erlaubt sind in Europa bei Einreise nur zehn Kilo. Die Tiere mussten vorher abspecken.

Inzwischen hat Bruno einen zweiten Sprachkurs erfolgreich absolviert – Bedingung für einen Arbeitsvertrag als Pflegefachmann am CTK. Bis zum Abschluss half er auf der Intermediate Care Station (IMC) Patienten beim Waschen, teilte Essen aus. Geduldig beantwortete er Patienten die Frage nach seiner Herkunft. Nein, er komme nicht aus Griechenland, Spanien oder Ägypten. „Die meisten sind sehr freundlich“, berichtet er. Er fühlte sich „willkommen“.
Rechtsextreme Vorfälle wie die an der Schule in Burg schaden
„Ich halte es für extrem wichtig zu sagen: Ihr seid willkommen, ihr seid wichtig, um die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten“, sagt LKB-Geschäftsführer Jacob. Die Stadt Cottbus vernetze Neuankömmlinge mit Vereinen und sozialen Bereichen. „Was allerdings verheerend ist, was ich durchaus mitbekomme, sind solche Vorgänge, wie sie an der Schule in Burg stattfinden. Das wird wahrgenommen in den Communitys. Da kann man schnell ziemlich viel kaputtmachen“, warnt er mit Blick auf die rechtsextremen Vorfälle an der Schule.
„In der Pflege werden ausländische Fachkräfte unerlässlich sein. Auch zahlreiche Geflüchtete beginnen in der Pflege zu arbeiten. Hier ist Zuwanderung eine große Chance“, sagt Ministerin Nonnemacher. Das Land hat deshalb auch Anerkennungsverfahren von ausländischen Abschlüssen in Gesundheitsfachberufen beschleunigt. Im vergangenen Jahr wurden laut Ministerium 141 ausländische Approbationen von Ärzten anerkannt, im ersten Halbjahr 2023 waren es 59.
Auch in der Pflege braucht es nach Ansicht von LKB-Geschäftsführer Jacob schnellere Prüfungen von ausländischen Abschlüssen wie dem akademischen von Bruno, der in Deutschland nicht anerkannt ist. Kein leichtes Unterfangen, wie er weiß. „Doch wir stehen in Konkurrenz, was diese Fachkräfte angeht, mit anderen Bundesländern, aber auch weltweit.“ Trotz allem gehe es um die Gesundheitsversorgung von kranken Menschen.