Pastorin im Glück!
Die große Stadtflucht: Von Potsdam auf die Hallig
Aus der Großstadt auf die Hallig? Hildegard Rugenstein war fast vier Jahrzehnte gerne Pastorin in Potsdam. Dann zog sie kurzentschlossen um.

Hildegard Rugenstein ist angekommen in ihrem ganz persönlichem „Vorhimmel“. In karierter Bluse, die grauen Haare zu einem Zopf gebunden, steht die Pastorin auf der Kirchwarft von Hallig Hooge. Von dem künstlichen Erdhügel aus, auf dem die Kirche, das Pfarrhaus und der Friedhof des kleinen Eilands zu finden sind, kann sie bei klarem Wetter weit blicken – über Hooge, das Meer, hinüber zu anderen Halligen und nordfriesischen Inseln bis aufs Festland. Es ist sonnig und friedlich an diesem Sommertag.
Rugenstein ist vor zweieinhalb Jahren von Potsdam auf die Hallig gezogen, um hier die Pfarrstelle zu übernehmen. Hooge gehört mit rund 100 Mitgliedern zu den kleinsten Gemeinden der Nordkirche. Die mit Abstand kleinste ist nach Kirchenangaben die Hallig Gröde mit acht Kirchenmitgliedern. Sie hat allerdings keinen eigenen Pastor, sondern wird vom Pastor der Hallig Langeneß mitbetreut.
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Leben mit der Natur: Die Winter auf der Hallig sind lang
Bevor Rugenstein nach Hooge kam, war die Stelle gut fünf Jahre lang vakant. „Das liegt in erster Linie daran, dass Menschen Mühe haben, sich zu entscheiden, auf eine Hallig zu gehen“, sagt Nordkirchensprecher Dieter Schulz. Auch weil es schwer sein kann, für den Partner ebenfalls Arbeit zu finden. Hinzu kommt: Die Winter sind lang und oft kann man tagelang nicht aufs Festland gelangen. Im Winter alleine auf der Warft könne es schwierig werden, das gelte für alle, sagt Schulz. „Die Hooger sagen, es ist wichtig, dass niemand allein auf die Hallig kommt.“ Rugenstein ist nicht allein. Ihr Mann, ein promovierter Geophysiker im Ruhestand, war sofort Feuer und Flamme für die Idee, auf die Hallig zu ziehen.
Fast vier Jahrzehnte war Rugenstein zuvor Pastorin in einer Hugenottengemeinde in Potsdam und seit einigen Jahren zusätzlich in einer Gemeinde in Vorpommern. Sie habe eine wirklich sehr tolle Gemeinde gehabt, sagt die Theologin. Eigentlich habe sie immer gedacht, sie bleibe bis zum Ruhestand in Potsdam. Doch dann kam dieser Film. Sie sei in Vorpommern gewesen. Schlechtes Internet, nur ein Handy, wie sie erzählt. Sie zappte über das Handy durch das Fernsehprogramm, blieb bei einem Beitrag des NDR hängen, in dem ein Pastor für Hooge gesucht wird.
Veränderung wagen: Aufbruch in ein neues Leben
„Ich war wirklich wie vom Blitz getroffen“, sagt Rugenstein. Sie habe ihr Leben lang sehr gerne in der Potsdamer Gemeinde gearbeitet, aber in dem Moment festgestellt, dass sie zum Ende ihres Berufslebens noch einmal etwas anderes machen wolle. Sie schrieb ihrem Mann eine SMS, dass er den Beitrag schauen solle. Die Antwort: „Ruf sofort an.“ – „Wir waren uns vom ersten Tag an einig – da wollen wir hin.“
Auf der Hallig habe sie nachträglich gemerkt, wie ermüdend eigentlich das Stadtleben war, sagt Rugenstein. Auch wenn es ein erfülltes Leben war, geprägt vom gesellschaftlich-sozialen Engagement Rugensteins. Sie gründete in Potsdam beispielsweise „Omas gegen Rechts“ mit und einen Toleranzverein. Sie initiierte den „Aktionsladen Eine-Welt“ in Potsdam und engagierte sich für den jährlichen Weltgebetstag – eine Veranstaltung, für die sie sich auch von Hooge aus mit Leidenschaft einsetzt.

Auf Hallig Hooge ist die Natur unmittelbar spürbar. Mehrmals im Jahr gibt es hier wie auf den anderen Halligen auch „Land unter“. Das Land zwischen den Warften wird überspült. Dann ist man nicht nur abgeschnitten vom Festland, sondern auch von seinen Nachbarn auf den anderen Warften. Das war zwar schon immer so, nimmt in Zeiten von Klimawandel und ansteigendem Meeresspiegel aber zu.
„Die Urgewalten sind unglaublich. Aber man weiß, dass sie irgendwann vorbei sind.“ Und man werde auf eine gesunde Art demütig. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich der Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Engagements verändert hat – in Richtung Klima- und Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung.
Ade reizüberflutetes Großstadt-Leben
Der Klimawandel müsse noch stärker auf allen Ebenen bekämpft werden, findet Rugenstein. Es brauche neue, weniger konsum- und wachstumsorientierte Werte, die eine Zukunft möglich machten. Dafür kämpft sie. „Hooge macht es mir leichter, in eine gute Richtung zu sehen – ohne Ablenkung vom reizüberfluteten Großstadtleben mit allen Nebensächlichkeiten.“
Die Hooger Kirche passt gut zu den Themen, die Rugenstein beschäftigen. Sie wurde einige Jahre nach einer schweren Sturmflut mit Tausenden Toten, der zweiten großen Mandränke 1634, auf Hooge errichtet. Die alte Holzkapelle wurde damals zerstört. Die Insel Strand wurde auseinandergerissen, 18 von 24 Kirchen fielen der Katastrophe zum Opfer. Aus den Trümmern holten sich die Hooger Baumaterial und Inventar für eine eigene Kirche, vor allem aus dem Ort Osterwohld. „Wir sind hier in einer Recycelkirche, in einer Second-Hand-Kirche“, sagt Rugenstein.
Und wenn man auf den Boden blickt, fällt noch etwas auf zum Thema Nachhaltigkeit. Der Boden zwischen den Kirchenbänken hat kein Fundament, er besteht aus Sand und Muscheln. Die Bretter, die hier und da liegen, liegen dort nur, weil es sonst so laut knirscht.

Und trotz der Abgeschiedenheit auf der Hallig ist Rugenstein gut vernetzt mit der Außenwelt – der modernen Technik sei Dank. So nimmt sie an Seminaren in Breklum teil oder an einem Hebräisch-Kurs in München. Auch mit ihren Kindern und Enkelkindern, die verstreut auf der Welt leben, hält sie per Video Kontakt.
„Eine Pastorin oder einen Pastor auf der Hallig zu haben, ist wichtig, weil dieser im Prinzip drei Gemeinden betreut“, findet Hooges Bürgermeister Michael Klisch (SPD). Klisch ist überzeugt: „Das soziale Leben auf der Hallig ist auch geprägt durch die Kirche vor Ort.“ Zudem gebe es die große Gemeinde der Urlaubsgäste. „Schließlich bleibt noch die Gemeinde der Tagesgäste, für die unsere schöne Halligkirche mehr ein Platz des besonderen, interessanten und ruhigen Ortes ist, mehr Sehenswürdigkeit darstellt.“