Comeback alter Sorten

Klosterküche Neuzelle: Hier wird sogar mit Birkenrinde gekocht

Küchengärten mit alten Nutzpflanzen erfahren gerade eine Renaissance. Einer der Vorreiter kommt aus Brandenburg.

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Manuel Bunke (l.), Chef vom Restaurant Wilde Klosterküche, und Ralf Mainz, Klostergärtner der Stiftung Stift Neuzelle, zwischen rot blühenden Amarant-Pflanzen
Manuel Bunke (l.), Chef vom Restaurant Wilde Klosterküche, und Ralf Mainz, Klostergärtner der Stiftung Stift Neuzelle, zwischen rot blühenden Amarant-PflanzenPatrik Pleul/dpa

Weg von hochgezüchteten, industriell hergestellten Lebensmitteln, zurück zu alten Sorten. Küchengärten mit alten Nutzpflanzen erfahren momentan eine Renaissance. Deutschlandweit gibt es inzwischen wieder einige, meist zu historischen Gartenanlagen gehörend. Doch die meisten sind bloße Schaugärten. Ganz anders ist es in Neuzelle.

Gelb leuchten dicke Kürbisse aus üppigem Grün, die Lauchzwiebeln stehen in Reih und Glied, die Spaghetti-Bohnen im Spalier und der Amarant beeindruckt in dunklem Weinrot. Der im vergangenen Jahr eingeweihte Küchen- oder Nutzgarten der historischen Zisterzienser-Klosteranlage in Neuzelle (Oder-Spree) ist ein Magnet für Besucher innerhalb des barocken, nach alten Vorbildern wieder hergestellten Klostergartens.

Der Klostergärtner baut alte Sorten wie Hirse, Buchweizen und Topinambur an

„Wir pflanzen alte Sorten an, beispielsweise Hirse oder Buchweizen, aber auch Topinambur, Meerrettich oder Schwarzwurzel, und die Leute sind interessiert, weil sie diese Pflanzen in natura gar nicht kennen“, beschreibt der Klostergärtner Ralf Mainz.

Manuel Bunke, Chef vom Restaurant Wilde Klosterküche, rupft einen Kohlrabi.
Manuel Bunke, Chef vom Restaurant Wilde Klosterküche, rupft einen Kohlrabi.Patrick Pleul/dpa

Ihm sei es wichtig, zu zeigen, wie Obst, Gemüse oder Kräuter aussehen, bevor sie zum Verzehr auf dem Teller landen. Das Interesse der Besucher gibt ihm recht. „Die fragen gezielt zu Anbau und Verwendung alter Sorten“, sagt der Gartenfachmann, dessen Beobachtung nach längst vergessenen Nutzgärten wieder in den öffentlichen Fokus geraten.

Erst kürzlich war das etwa 400 Quadratmeter große, gepflegte Areal mit alten Obst- und Gemüsesorten sowie Heil- und Küchenkräutern hinter der Orangerie Ziel des deutschlandweiten Küchengarten-Netzwerkes, einem Zusammenschluss von etwa 50 Fachleuten zum Thema historische Nutzgärten.

Reaktiviert wurden inzwischen viele der alten Küchengärten, die zu Hochzeiten des Adels zu großen Gartenanlagen gehörten. Doch die meisten sind heutzutage reine Schaugärten. Das dort wachsende Obst und Gemüse wird nicht genutzt oder weiterverarbeitet. „Es scheitert oftmals an der Pflege und der Verwertung. Insofern ist das, was die da in Neuzelle machen, fachlich wirklich gut, weil es funktioniert“, sagt die Leipziger Landschaftsarchitektin Kathrin Franz vom Küchengarten-Netzwerk.

Was sie meint: Bohnen, Kohlrabi, Pastinaken und Karotten aus dem Klostergarten landen in der Wilden Klosterküche – einem 2018 eröffneten Restaurant, in dem Manuel Bunke kulinarisch das Sagen hat und das inzwischen im Restaurantführer Gault & Millau geführt wird.

Manuel Bunke bereitet einen Teller mit einem Kohlrabi-Gericht vor.
Manuel Bunke bereitet einen Teller mit einem Kohlrabi-Gericht vor.Patrick Pleul/dpa

„Bunke ist für uns ein Glücksfall, weil er aus dem, was bei uns anfällt, etwas Leckeres zaubert – selbst aus den Mini-Möhren, die beim Verziehen der Reihen anfallen. Er ist spontan und äußerst kreativ, macht kulinarisches Kino“, sagt der Klostergärtner.

Birkenrinde nutzt Küchenchef Manuel Bunke für Brühen

Rein von den Mengen her sei dabei nichts planbar, der Garten schließlich kein Produktionsbetrieb, erläutert Mainz. Mit anderen potenziellen Abnehmern würde so etwas gar nicht funktionieren. „Wir richten uns nach dem, was da ist. Insofern wechselt bei uns die Speisekarte weitaus häufiger als sonst in der Gastronomie üblich“, fügt der aus Guben (Spree-Neiße) stammende Koch hinzu.

Bevor er nach Ostbrandenburg zurückkehrte, hat er weltweit Erfahrungen gesammelt. Nun bezieht er die Zutaten aus einem Umkreis von nicht mehr als 50 Kilometern rund um die Wilde Klosterküche.

So sieht der fertige Teller mit dem Gericht „Kohlrabi von der Wurzel bis zum Blatt“ aus.
So sieht der fertige Teller mit dem Gericht „Kohlrabi von der Wurzel bis zum Blatt“ aus.Patrick Pleul/dpa

25 verschiedene Wildkräuter sammeln er und seine drei Kollegen persönlich in der Natur: Birkenrinde nutzt er für Brühen, pflegt zudem einen restauranteigenen kleinen Garten mit Gurken, Tomaten, Brunnenkresse und Wildkarotten.

Zu Bunkes modernem Küchenkonzept gehört es, alle Zutaten komplett zu verarbeiten – ob nun ein frisches Rind gemeint ist, das er vom Kopf bis zum Schwanz selbst zerlegt, oder der Kohlrabi von der Wurzel bis zum Blatt. Wahlweise vakuumgegart, süßsauer eingelegt, fermentiert, pulverisiert, als Eis, Öl oder Creme. Kaum noch jemandem sei bewusst, dass von der Gemüsepflanze tatsächlich alles essbar sei, sagt der Klosterküchenkoch.

Die Restaurantgäste interessieren sich zunehmend dafür, woher die Zutaten kommen

„Es ist eine tolle Zusammenarbeit mit dem Klostergarten. Ich entdecke ständig Neues, experimentiere aktuell mit gelber Beete und ihrem eher süßlichen Geschmack“, sagt Bunke. Der 37-Jährige hatte die Küchengarten-Netzwerker persönlich durch das grüne Kloster-Refugium geführt und erklärt, wie der nahtlose Übergang vom Garten zur Küche funktioniert.

Dunkle Regenwolken ziehen über den Klostergarten der Stiftung Stift Neuzelle. Das Kloster Neuzelle, rund zehn Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt, ist das einzige vollständig und einschließlich der Außenanlagen erhaltene Zisterzienserkloster Brandenburgs und eine der wenigen unzerstörten Klosteranlagen in Deutschland und Europa.
Dunkle Regenwolken ziehen über den Klostergarten der Stiftung Stift Neuzelle. Das Kloster Neuzelle, rund zehn Kilometer südlich von Eisenhüttenstadt, ist das einzige vollständig und einschließlich der Außenanlagen erhaltene Zisterzienserkloster Brandenburgs und eine der wenigen unzerstörten Klosteranlagen in Deutschland und Europa.Patrick Pleul/dpa

Dabei ist er scheinbar auf den Geschmack gekommen. „Auch meine Gäste im Restaurant interessieren sich zunehmend dafür, woher das Obst oder Gemüse stammt, das bei ihnen auf dem Teller landet, also habe ich sie ebenfalls im Klostergarten herumgeführt“, erzählt der Koch. Führungen dieser Art will er nun häufiger anbieten.