3300 mal Beihilfe zum Mord

Als junger Mann Wachmann im KZ - mit 98 Jahren angeklagt

Die Staatsanwaltschaft Gießen hat Anklage gegen einen 98-jährigen Mann erhoben, der als Heranwachsender Wachmann im KZ Sachsenhausen gewesen sein soll.

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Neuer Prozess gegen Wachmann? In der Gedenkstätte Sachsenhausen gehen Besucher auf dem Gelände des ehemaligen KZs an einem Tor vorbei.
Neuer Prozess gegen Wachmann? In der Gedenkstätte Sachsenhausen gehen Besucher auf dem Gelände des ehemaligen KZs an einem Tor vorbei.Fabian Sommer/dpa

Die Staatsanwaltschaft Gießen hat Anklage gegen einen 98-jährigen Mann erhoben, der als Heranwachsender Wachmann im KZ Sachsenhausen gewesen sein soll. Ihm wird in 3300 Fällen Beihilfe zum Mord vorgeworfen.

Dem heute hoch betagte Angeklagten aus dem Main-Kinzig-Kreis werde zur Last gelegt, von Juli 1943 bis Februar 1945 im KZ Sachsenhausen in Brandenburg tausendfach Beihilfe zum Mord geleistet zu haben. Das teilte die Behörde am Freitagmittag mit.

Als junger Mann und Angehöriger der SS-Wachmannschaften soll der deutsche Staatsangehörige „die grausame und heimtückische Tötung Tausender Häftlinge unterstützt haben“, erklärte die Staatsanwaltschaft Gießen. Grausamkeit und Heimtücke sind juristische Mordmotive.

Ob die Anklage gegen den 98-Jährigen zugelassen wird, entscheidet eine Jugendkammer

Ob die Anklage zugelassen wird, entscheidet skurrilerweise die Jugendkammer des Landgerichts Hanau. Denn  der heute 98-Jährige war zur Tatzeit Heranwachsender, daher gelte für ihn das Jugendstrafrecht und das Wohnortprinzip, erläuterte die Staatsanwaltschaft. Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, das im Oktober 2022 eingeholt worden war, kam zu dem Ergebnis, dass der Senior zumindest eingeschränkt verhandlungsfähig sei.

Das Konzentrationslager Sachsenhausen lag etwa 35 Kilometer nördlich von Berlin in Brandenburg. Hier wurden ab 1936 rund 204.000 Menschen von den Nazis interniert. Zehntausende Häftlinge kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um – oder wurden Opfer von Vernichtungsaktionen der SS. Auf Todesmärschen nach der Evakuierung des Lagers im April 1945 starben weitere Tausende Häftlinge.

An einem seiner Tore des Lagers in Sachsenhausen hatten die Nazis die zynische Aufschrift „Arbeit macht frei“ angebracht. Heute befindet sich hier eine Gedenkstätte.