Brandenburgs Landwirte brauchen die Hauptstadt, doch die Berliner kaufen zu wenig – kann ein Siegel das Dilemma lösen?
Neue Label sollen den Absatz steigern, aber Landwirte und Verarbeitungsbetriebe sind skeptisch.

Brandenburg hat so ziemlich alles zu bieten, was die Landwirtschaft hergeben kann. Und dennoch: Weder im eigenen Land noch in Berlin können die brandenburgischen Bauern große Erfolge feiern. Nicht einmal die Hälfte der Nahrungsmittel, die in Brandenburg produziert werden, landen im Handel der Region. Etliche Betriebe – wie viele, weiß niemand – versuchen auf eigene Faust, ihre Ware über Märkte in Berlin und Brandenburg loszuschlagen. Landwirtschaftsminister Axel Vogel (Grüne) hofft nun zusätzlich, mit zwei kürzlich vorgestellten neuen „Qualitätszeichen“ brandenburgische Erzeugnisse erkennbarer zu machen: „Gesicherte Qualität Brandenburg“ und „bio Brandenburg. Gesicherte Qualität“. Er erntet aber viel Skepsis.
Lebensmittel aus Brandenburg suchen Absatz
Jeden Sonnabend nimmt Marcel Schallmea (43) den Weg von Drehnow bei Cottbus auf sich, um in Lichterfelde auf dem Markt Kranoldplatz Milch, Eier und Käse seines Bio-Landbetriebs zu verkaufen. „Man muss dahin, wo die Kaufkraft ist“, begründet er das. Sein Hofladen, der Verkaufsautomat in Blankenfelde sowie die Märkte in Königs Wusterhausen und Cottbus reichten als Einnahmequellen nicht hin.
Vertriebswege über den Handel schafften das erst recht nicht. Er halte Tiroler Grauvieh – gute Futterverwerter, die hervorragende Milch lieferten –, aber mit maximal 5000 Litern pro Kuh und Jahr nur die Hälfte der auf Menge gezüchteten Rassen. Da deckten die vom Handel gezahlten Literpreise die Produktionskosten nicht. Er verlangt für einen Liter 1,80 Euro. Was da ein Label helfen soll?

Christoph Baronick (36) sieht schon um 7.30 Uhr müde aus und hat noch zwölf Stunden vor sich, ehe er in Burg Feierabend machen kann: Um 4.30 ist er im Spreewald aufgestanden, baut jetzt im Lichterfelder Einkaufszentrum Lio seinen Stand auf. Hier ist er mittwochs und freitags, wenn nebenan auf dem Kranoldplatz Markt ist, freitags und sonnabends gibt es noch in der Markthalle Neun in Kreuzberg einen Stand.
Brandenburger Landwirte brauchen Berlin
Der Familienbetrieb kämpft seit 30 Jahren um Kunden in Berlin, er bietet alles an von Artischocken über Kartoffeln und Pastinaken bis Zucchini. Vieles vom eigenen Land, im Winter aber auch vom Großmarkt. Tomaten oder Gurken gibt’s jetzt eben nicht frisch. Ohne Berlin sei aber alles nichts: „Auf dem Land haben viele einen Garten, sind teilweise Selbstversorger.“ An den Handel zu verkaufen, lohne sich nicht: Wenn seine Tomaten reif sind, werde er beim Handel vielleicht einen Euro für das Kilo erzielen können, seine Kosten aber lägen bei zwei Euro.

Baronick fürchtet, dass es seine Art von Landwirtschaft nicht mehr lange geben wird. Mit der Konkurrenz selbst des EU-Auslands sei unter anderem wegen des Mindestlohns nicht mitzuhalten. Und wenn Subventionen in Monokulturen statt in Gärtnereiprodukte wie seine flössen, dann würden auch neue Labels nichts nützen.
Ohne den Einsatz von Maschinen sei nichts mehr zu verdienen, und bio baue er nicht an: „Wenn einer nebenan spritzt, kann ich die Werte nicht halten.“ Er setze auf „kontrollierte integrierte Produktion“, etwas in der Mitte zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft.
Brandenburger Landwirte sind auf den Berliner Märkten die Minderheit
Axel Szilleweit (59) betreibt in Teltow den Obst- und Gemüsehof Teltower Rübchen. Mit der Wende habe er sich aus dem VEB Obst- und Gemüsehandel selbstständig gemacht. Familie und Mitarbeiter bieten seine Produkte auf mehreren Märkten zwischen Zehlendorf, Schöneberg und Kreuzberg an. Szilleweit bestätigt Schallmeas Beobachtung, dass die Anbieter aus Brandenburg in der Minderheit gegenüber den Händlern sind, die Ware vom Großmarkt Beusselstraße verkaufen: „Dabei waren die Märkte einst dafür geschaffen worden, dass die Bauern ihre Ware in Berlin verkaufen.“ Aus bekannten Gründen war das bis 1990 nicht möglich, und die Situation sei so geblieben.
Und wie ist es mit dem Handel? Da hat der Landwirt so seine Erfahrungen: Die Bioprodukte seien dem zu groß, zu klein, nicht einheitlich genug, der Inhalt von Mineralien, Vitaminen und anderen Antioxidantien zählte da nicht. Nur die Rübchen, die seinem Betrieb den Namen gaben, könnte er in den Handel geben. Ein Händler bringt es auf den Punkt: „Die Leute wollen bio, leicht verdaulich, aber billig und aussehen soll die Ware wie Plastik.“
Bio-Anbau ist wegen viel Handarbeit teuer
Auch Szilleweit konstatiert, dass man mit den Supermärkten nicht konkurrieren könne, schon gar nicht im Biobereich, der viel Handarbeit (zum Mindestlohn) mit sich bringe. Von den neuen Labels halte er wenig: „Noch zwei dazu. Die Kunden wissen doch gar nicht mehr, auf welche sie sich verlassen können.“ Es gebe zu viele ungeschützte Qualitätszeichen, das schade auch denen Brandenburgs.
Fleischermeister Detlev Glaser (68), der von Baruth/Mark aus Verkaufswagen auf zwei Märkten in Berlin und einem in Königs Wusterhausen beschickt, kann mit Labeln nichts anfangen: „Sie verdecken immer etwas.“ Nämlich Papierkram und Einmischung von außen. „Wenn ein Landwirt seine mit Erde behafteten Feldfrüchte in Berlin verkauft, dann, weil er es will, und nicht, weil es ein Label gibt.“
Lesen Sie auch: Auf den letzten Rosenkohl-Drücker bitte mal auf polnische Art >>
Jenseits der individuellen Beobachtungen der Betriebe betrachtet Johann Meierhöfer die Szene. Er betreibt nebenberuflich das Internetportal berlin-brandenburg-regional.de, war Abteilungsleiter Landwirtschaft des Landkreises Teltow-Fläming. Er sieht vor allem zwei Probleme, die einen größeren Absatz brandenburgischer Produkte in der eigenen Region bremsen.

Eines sei die Logistik: „Es rechnet sich nicht, kleine Mengen in die Umgebung des Hofs oder Verarbeitungsbetriebs zu liefern.“ Über Discounter seine Produkte zu den zahlungskräftigen Berlinern zu bringen, sei aussichtslos. Die Betreiber von Supermärkten wiederum, die zu Genossenschaften wie Edeka oder Rewe zählen, hätten nur begrenzte Möglichkeiten, selbst gewählte Produkte aus der Region anzubieten. Wenn sie es überhaupt wollen.
Das zweite Problem sei das Kaufverhalten insbesondere der Berliner. Sie holten zu wenig auf den Märkten ein, und dort nicht bei den Landwirten oder heimischen Verarbeitungsbetrieben. Meierhöfer befindet: „Dabei sind die gar nicht so viel teurer als die Supermärkte.“ Viele würden die Qualität des Angebots schätzen, aber dann doch nicht auf den Markt gehen, obwohl sie es sich leisten können. Täten sie es, würden auch mehr Waren aus Brandenburg angeboten werden.

Label bedeuten mehr Kosten und mehr Arbeit
Was die Label angeht, bedeuteten sie nach Meierhöfers Auffassung mehr Kosten für die Zertifizierung und noch mehr Arbeit. Brandenburg sollte eher bei den Vorschriften abrüsten, die Waren noch zusätzlich verteuerten. So verkaufe Marcel Schallmea seine Milch nur lose an die Kunden. Füllte er sie auf dem Hof in Flaschen ab, zöge das teure Investitionen für die Anlagen und das Flaschenspülen nach sich – und viele Kontrollen. Ohnehin, so sagte es einer der Produzenten dem KURIER, habe er den Eindruck, dass die „Kleinen“ mehr überwacht würden als die großen Betriebe.
Weniger als die Hälfte (46 Prozent) der in Brandenburg produzierten Nahrungsmittel sind nach einer Befragung unter Betrieben der Agrar- und Lebensmittelbranche im Handel in der Region Berlin-Brandenburg zu finden. 50 Prozent des verkauften Schweinefleischs stammen aus der Region. Bei Milch sind es 70 Prozent. Das ergab ein kürzlich vorgelegtes Branchenbarometer des Verbandes pro agro und des Landesbauernverbandes.

„Die Vermarktungsquote ist noch ausbaufähig“, sagte Kai Rückewold, Geschäftsführer von pro agro bei der Vorstellung des Barometers. Es sei ein Dilemma, dass regionale Qualität oft teurer sei als Produkte aus dem Ausland. Zudem würden Budgets für die Gemeinschaftsverpflegung häufig knapp bemessen. Herausfordernd seien die Bereitstellung in erforderlichen Mengen, Logistik und auch die Preise.
Brandenburg will Küchen in Kliniken, Mensen und Kantinen beliefern
Gemeinschaftsverpflegung, das bedeutet Großküchen von (Berliner) Krankenhäusern, Mensen und Kantinen. Der Verband pro agro, der den ländlichen Raum fördern soll, ist zuversichtlich, dass die Labels helfen werden. Denn, so sagt es dessen Sprecherin, nun könne die regionale Herkunft der Waren „EU-notifiziert“ bei Ausschreibungen als Bedingung genannt werden.
Bei den regionalen Lieferketten bleibe noch viel Luft, sagte Denny Turmlisch, Hauptgeschäftsführer des Brandenburger Landesbauernverbandes. Man könne nicht über kurze Transportwege oder Nachhaltigkeit sprechen, aber der Absatz regionaler Produkte in der Hauptstadtregion hinke hinterher.
Lesen Sie auch: Grüner Spargel mit Spaghetti und Parmesan: Dieses leckere und schnelle Pasta-Rezept müssen sie probieren >>
Laut der nicht repräsentativen Befragung beurteilte nur ein gutes Drittel der Firmen das vergangene Geschäftsjahr 2021 als stabil bis gut. 39 Prozent haben positive Erwartungen für dieses Jahr. Höhere Ausgaben für Energie, Treibstoff und Personal sowie zunehmender Arbeitskräftemangel bereiten der Land- und Ernährungswirtschaft die größten Sorgen. Diese Faktoren belasteten mehr als die Folgen der Corona-Pandemie oder sinkende Erlöse.