Eines der Sammlerstücke des DDR-Design-Kenners Günter Höhne. 
Eines der Sammlerstücke des DDR-Design-Kenners Günter Höhne.  Foto: BK / Sabine Gudath

Alles begann mit einem Stuhl. Sitzfläche und Lehne bezogen mit grauem Kunststoff, die hölzerne Silhouette elegant geschwungen, so stand er inmitten einer ganze Herde weiterer grauer Stühle auf einem staubigen Tanzboden im Thüringischen. Bei einer Feier hatten wir sie zufällig entdeckt: vergessen und ausrangiert. Die Besitzer verkauften uns sechs Stück für wenig Geld. Der Rest sollte irgendwann entsorgt werden. In unserer Berliner Küche machen die Stühle, die in den 1950er oder 1960er Jahren in der DDR gefertigt wurden, seitdem eine steile Karriere.

DDR-Design ist in Mode. Besucher setzen sich fast ehrfürchtig auf unsere Fundstücke. Und gestehen, dass sie selbst schon einmal im Internet recherchierten, ob Omas Schränkchen oder die Mitropa-Kaffeekanne eigentlich ein Klassiker ist und auf Ebay teuer zu verkaufen wäre.

Mitdreißiger oder Menschen in ihren Vierzigern, die wieder heiß auf Ostware sind? Keine Seltenheit, sagt Günter Höhne, der mehrmals im Monat Anfragen von Interessierten bekommt.

Höhne ist eine Instanz in Sachen DDR-Design. Er war Chefredakteur der Zeitschrift form+zweck, welche das Amt für Industrielle Formgestaltung herausgab. Jetzt pflegt der Autor vieler Standardwerke zum DDR-Design akribisch die Webseite Industrieform-DDR , das vielleicht umfassendste Archiv zum Thema. Neben mehr als 1000 kommentierten Fotos durch alle Disziplinen der industriellen Formgestaltung, Verpackungs- und Gebrauchsgrafikkultur versammelt Höhne hier seine Expertise zum Thema.

Die Menschen, die Höhne schreiben, tun dies immer mit der Hoffnung, sie hätten eine seltene Entdeckung gemacht, ein Unikat vor dem Schrotthaufen gerettet. Ein junger Mann, so erzählt es Höhne, hätte erst kürzlich eine Variante des Huhn-Eierbechers aus dem VEB Presswerk Wolkenstein entdeckt. Einen Hahn statt einer Henne hatte er identifiziert, war dies etwa ein seltener Prototyp, ein Werksmuster? Höhne musste den Sammler enttäuschen: der Hahn stammte aus bulgarischer Produktion. Im Rahmen des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe war festgelegt worden, wer in den sozialistischen Ländern was produziert. „Bulgarien übernahm die Hühnereierbecher und irgendwer hat sich dort den Hahn  ausgedacht“, sagt Höhne.

Berühmter Eierbecher aus dem VEB Wolkenstein. 
Berühmter Eierbecher aus dem VEB Wolkenstein.  Foto: BK / Sabine Gudath 

Besucht man Günter Höhne und seine Frau Claudia in ihrer Pankower Wohnung, kann man gewiss sein, dass die beiden wieder einen Treffer auf einem Flohmarkt zu vermelden haben. Diesmal ist es ein Staubsauger der Marke Omega aus dem VEB Elektrowärme Altenburg,  originalverpackt, unbenutzt aus den 70er Jahren, den Günter Höhne zeigt. Er könnte stundenlang über seine Funde erzählen. Über die Menschen dahinter und über die Zeit in der sie entwickelt wurden. „Mit Schönheit gestaltet“, sagt er fast ein wenig verträumt. Selbst ein schnöder Staubsauger sei ein Kulturbotschafter.  Besonders, wenn er so elegant und leicht händelbar daherkommt.

Günter Höhne hat eine umfassende Sammlung an DDR-Design Schätzen zusammengetragen. Besonders stolz ist er auf eine Schüssel-in-Schüssel-Kombination von Marlies Ameling.
Günter Höhne hat eine umfassende Sammlung an DDR-Design Schätzen zusammengetragen. Besonders stolz ist er auf eine Schüssel-in-Schüssel-Kombination von Marlies Ameling. Foto: BK/Sabine Gudath 

Vorsichtig hebt der 75-Jährige nun mit weißen Handschuhen ein Set aus fünf Glasschüsseln, das den Namen „Rosales“ trägt, aus der Vitrine. Die Gestalterin selber, Marlies Ameling, eine Absolventin der  Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle, schenkte es ihm, eine Rarität. Die Burg galt bis 1989 als eine der einflussreichsten Ausbildungsstätten für Designer und Künstler in der DDR und war bestimmend für die besondere künstlerische Qualität des Kunsthandwerks in der DDR. Ameling galt in den 1980er Jahren als die namhafteste Glas-Designerin der DDR. Wer bitte kennt heute schon den Namen irgendeines Glasdesigners? Komisch, dass die Dinge, die uns täglich umgeben oft von Unbekannten sind.

„Wir leben heute in einer Zeit der kurzen Aufmerksamkeitsspanne“, sagt Günter Höhne, während er sorgsam die Schüsseln ausrichtet. Dieser Flut von „Mist aus China, dem regelrechten Vermüllen der gegenständlichen Umwelt“, dem hat er etwas entgegenzusetzen. „Unsere Klassiker waren bescheiden und zur Nutzung freigegeben“, sagt er. „Gestaltet für den Volksbedarf.“ DDR-Design, welches offiziell industrielle Formgestaltung genannt wurde, war geprägt von Funktionalität und der Reduktion auf das Wesentliche. Nicht zuletzt durch die Rohstoffknappheit und Planwirtschaft waren Langlebigkeit und zeitlose Schönheit eine Grundforderung an die Gestalter.

Parallelen zwischen dem pragmatischen skandinavischen Design aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, das derzeit ebenso gefragt ist, sind offensichtlich. Der finnische Designer Tapio Wirkkala, der mit seinen Entwürfen für die Glasfabrik Iittala bekannt wurde, sagte schon in den Sechzigerjahren, dass  man die beste Ausbildung der Welt in Design auf Burg Giebichenstein bekomme. Danish Design und DDR stehen heute bei Ebay oft nebeneinander.

Unsere Leidenschaft mit 35 war der Jugendstil

Günter Höhnes Interesse an Formen und deren Ausgestaltung galt längst nicht immer dem, was in der DDR produziert wurde. Seine Sammelleidenschaft begann mit  Stücken aus dem Jugendstil. „Das war für uns damals versunkene Welt, da haben wir Schätze gehoben und bewahrt. Wie die damals Naturmotive in Gebrauchsgegenstände integriert haben, das hat uns fasziniert.“ Die heute Interessierten schauen ebenfalls wieder 40 bis 50 Jahre zurück und landen dann beim Design der 50er, 60er und 70er Jahre. Vielleicht ist ein halbes Jahrhundert die notwendige Spanne, der gebührende Abstand, den es braucht, um Klassiker zu identifizieren.

Echtes Sammlerinteresse, keine Ostalgie

Die Menschen, die sich heute für funktionale Stühle aus 29 Lagen verleimten dünnen Furnierschichtholzes interessieren, für den sogenannten Menzel-Stuhl 1000 Euro hinblättern oder ähnliche Summen für ein Mid-Century-Sideboard von Franz Ehrlich für Hellerau bezahlen, haben die DDR zum Teil gar nicht mehr erlebt. Doch sie erkennen, dass die Stücke dauerhaft sind. „Die Produkte sind beständig in Zeiten zunehmender Beliebigkeit und Marktschreierei. Da hat man gern Dinge um sich, die Geschichten erzählen können“, sagt Günter Höhne.  DDR-Design habe bestimmte Stilmerkmale. Mit Ostalgie habe das Interesse der Sammler nichts zu tun. Vielmehr mit dem Wert des Geschaffenen, den man nun erkennt und sich jenseits von Kitsch-Ostalgie mit leisem Stolz in die Wohnung stellt.

Jetzt, in Zeiten von Krisen und schwindenden Ressourcen, kommt die Renaissance für die deutsche Designepoche mit Bauhauswurzeln gerade recht. Man kann sich was abgucken vom Rationell-Kännchen und seinen geistigen Verwandten. Langlebigkeit, Reduktion, Effizienz und Schönheit sind Werte, die es heute wieder zu etwas bringen könnten. Bringen sollten. Aus Stroh Gold machen, nennt Höhne den Umgang mit begrenzten Mitteln. Eine Fähigkeit mit Zukunftspotenzial.

Neben Anstößen für die Zukunft gilt es aber auch, die Essenzen des DDR-Designs zu bewahren und auszuerzählen. Museen müssten die Aufgabe übernehmen, Geschichten und  Gestalter vor dem Vergessen zu bewahren. Bisher hätten gerade die Berliner Museen das Thema ja ziemlich verschlafen, doch das ändere zum Glück, sagt Höhne. Das Museum für Kunstgewerbe sei interessiert, wolle mehr DDR-Stücke zeigen. Spätes Interesse gebe es auch in Dresden.

Günter Höhne und sein neuestes Sammlerstück, ein Omega-Staubsauger aus den 70er-Jahren. 
Günter Höhne und sein neuestes Sammlerstück, ein Omega-Staubsauger aus den 70er-Jahren.  Foto: BK / Sabine Gudath 

Aber immer nur Sonderausstellungen und Themenräume? Brauchen wir nicht endlich auch ein prominentes Museum für DDR-Design? „Bloß nicht!“, sagt Günter Höhne: Viel besser wäre doch ein, seltsamerweise immer noch nicht angedachtes „Deutsches Designmuseum des 20. Jahrhunderts“, wo zusammenkommt, was zusammengehört: auch die Produktkultur der BRD und der DDR. Vom Werkbund über das Bauhaus, das Dritte Reich, die beiden Deutschlands danach, bis zur Jahrtausendwende. Das wäre ein Geschichtsbuch der deutschen Alltagskultur zwischen 1900 und 2000. Ein „abgeschlossenes Sammelgebiet“ unseres gemeinsamen und geteilten Designs bis zum Beginn der digitalen Revolution und der  Globalisierung.