Schreiben gegen die Krise und darüber hinaus: Das hilft nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern.
Schreiben gegen die Krise und darüber hinaus: Das hilft nicht nur Erwachsenen, sondern auch Kindern. dpa

Was ist Poesie? So lautete die erste Frage, die Kathrin Schadt ihrer Tochter stellte. Damals, im ersten Lockdown in einer Küche in Barcelona. Die Schulen waren geschlossen, was hermusste, war ein geregelter Tagesablauf. „Warum bringst du deinem Kind nicht auch etwas von dem bei, was du selber kannst und liebst?“, hatte jemand die 42-jährige Autorin gefragt. Die Berlinerin Kathrin Schadt machte aus der Idee eine bis heute produktive und überaus schöpferische Gedichtwerkstatt für Kinder.

Homeschooling: Freitags stehen Gedichte auf dem Stundenplan

Freitagmorgens schrieb ihre eigene Tochter Gedichte, und damit es nicht so einsam war, lud Kathrin Schadt auf Facebook andere Familien ein, mitzumachen. Mittlerweile beteiligen sich 100 Familien und Kinder regelmäßig. Berühmte Dichter stellen jeden Monat eine Schreibaufgabe. „Was ist Poesie?“ zum Beispiel.

Poesie ist Freiheit und Fantasie. Sie steht in der Welt wie ein Stern oder ein Regenbogen.

Mira Mausebein, 10 Jahre

Oder „Poesie ist, wenn Wörter sich mögen“, schreibt Gwang. Aus den Gedichten von Kindern für Kinder wird das Projekt Poedu. Weniger förmlich sollen die Texte und die Herangehensweise sein, nicht wie Erwachsene das machen würden, sondern aus dem Bauch heraus, in die Welt rein – Du statt Sie.

„Das erste Corona-Jahr hat uns ganz schön mitgenommen“, sagt Kathrin Schadt rückblickend. „Das Poedu war ein Anker, es hat uns beim Verarbeiten geholfen.“

Coronavirus
kannst du bitte
weggehen
kannst du bitte
ins Weltall gehen
kannst du bitte
in ein schwarzes Loch gehen.

Sinombre, 8

Ein Buch voller Poesie von Kindern für Kinder – und Erwachsene.
Ein Buch voller Poesie von Kindern für Kinder – und Erwachsene. Elif Verlag

„Das Poedu war erst nur ein Name, heute ist es eine Figur, ein Formenwandler, der alles sein kann, was Kinder sich vorstellen können“, beschreibt Kathrin Schadt ihre Erfindung.  Am liebsten isst das Poedu Gedichte. Die Kreatur mault mit Berliner Schnauze, wenn sie nicht genug Texte-Futter bekommt, das Poedu lobt und rülpst und traut sich alles, was Kinder lustig finden. Der Aufgabe etwa, dem Virus mal so richtig die Meinung zu geigen, kommen die Kinder gern nach.

du olle Qualle! du Quarkgesicht! du quatschiger Lumpen! du Quellenlatscher! du unbequemer Quieker! SCHIMPFQUADRAT blöder Virus

Rübezahl Cocktail, 7

„Wir haben die Familien mit einem großen Bildungshunger erlebt. Die Art, sich frei auszuprobieren, ohne jemandem gefallen zu müssen, hat uns motiviert“, sagt Kathrin Schadt, die die regelmäßigen Online-Treffen in einer geschlossenen und geschützten Facebook-Gruppe moderiert.

Kathrin Schadt, Autorin
Kathrin Schadt, Autorin privat

Poesie sei ein neues Werkzeug, das es zu erkunden gelte und mit dem Kinder gehört würden. Das Poedu hat keinen Rotstift. Und was die Kinder da schreiben, berührt und macht nachdenklich.

Jeden Tag nicht in die Schule. Jeden Tag Kopfschmerzen. Jeden Tag Tagebuch schreiben. Jeden Tag eine Tablette. Jeden Tag einen Pudel auf dem Schoß und eine nasse Nase. Ich darf nicht raus, außer nachts um 1:30. Nur mit zwei Masken darf ich in den Hinterhof, und auch nur, wenn niemand da ist. Einmal noch raus, es ist 1 Uhr nachts, ermahnt mich Papa. Ich antworte: Okay. Und siehe da, es schneit. Der ganze Boden voller Schnee, ich und mein Hund hopsen im Schnee, und ich mache für meinen Pudel eine Schneekugel zum Lecken.

Rübezahl Cocktail, 9

Kinder waren froh, nichts von Corona zu hören

„Es gab natürlich Schreibaufgaben zu Corona-Themen“, sagt Kathrin Schadt. Aber die Kinder waren auch froh, mal nichts von dem Thema hören zu müssen. Auch jetzt, nach mehr als zwei Jahren, ist das Virus in den Werken hin und wieder präsent. „Integriert“, sagt Kathrin Schadt, der Ausnahmezustand als neue, lästige Normalität. Doch auch zu anderen Themen geben die kleinen Dichter und Dichterinnen Einblicke. Erwachsene seien oft dankbar, zu erfahren, wie Kinder denken, so Schadt.

Ich möchte
Den schwarzen Gürtel
In Taekwondo
Superheldin werden
Fliegen können
Dedek tief werden
Mount Everest erforschen
Dichterin werden
Dass das Corona viros endet

Alma Shlarofski, 7

Für den Sommer plant sie die Veröffentlichung eines weiteren Gedichtbandes mit Kinderwerken. Weiter gibt es einmal im Monat freitags eine Aufgabe, um sich den Alltag von der Seele zu schreiben. Auch in diesen Tagen gibt es genug Anlässe, den eigenen Platz in der Welt schreibend zu erkunden. Einen kreativen Ausdruck finden in einer Welt, die aus den Fugen gerät, das ist nicht das schlechteste Rüstzeug. Für Kinder und Erwachsene.

Auf der Seite www.poedu.net können sich Interessierte für die Werkstatt anmelden. Das Angebot ist kostenlos.