872 Straftaten

Raub, Drogen, Betrug! Das ist die Straf-Akte der Clan-Verbrechen in Berlin

Allein 43 Verfahren gibt es gegen ein Clan-Mitglied (22). Innensenatorin Iris Spranger fordert jetzt die sogenannte Beweislastumkehr

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Immer wieder muss die Justiz gegen kriminelle Clan-Mitglieder vorgehen.
Immer wieder muss die Justiz gegen kriminelle Clan-Mitglieder vorgehen.Stefan Sauer/dpa

Geldwäsche, Warenbetrug, Raub, Diebstahl, Bedrohung: Sage und schreibe 43 Strafverfahren hat die Berliner Polizei binnen eines Jahres gegen ein 22-jähriges Clan-Mitglied eingeleitet. Damit sicherte sich der Verdächtige den unrühmlichen Spitzenplatz im Lagebild Clan-Kriminalität 2022, das die Berliner Innenverwaltung am Sonnabend veröffentlichte.

Demnach registrierten Ermittler im vergangenen Jahr 872 Straftaten im Zusammenhang mit vielfach Organisierter Kriminalität, die von – oft arabischstämmigen – Großfamilien ausgeht. Das sind 23 Fälle mehr als 2021.

303 Verdächtige aus der Clan-Kriminalität wurden ermittelt

Die Liste ist lang und facettenreich. Betrug (125), Straftaten im Verkehr (122) und Rohheitsdelikte (120) führen sie an, es folgen Drogenverstöße (86) Diebstahl/Unterschlagung (65), Bedrohung auch mit Waffen (56), Raub (43) und Geldwäsche (42). Unter den registrierten Fällen sind drei Tötungsdelikte. Hinzu kommen 89 Ordnungswidrigkeiten wie zu schnelles Fahren oder Verstöße gegen das Waffengesetz.

Berlin gilt bundesweit als ein Hotspot der Clan-Kriminalität. Als kriminell gelten dabei laut Lagebild keineswegs alle Clan-Mitglieder. Es gehe vielmehr um diejenigen mit „delinquentem Verhalten“, die eigene Normen und Werte über die in Deutschland geltende Rechtsordnung stellten. Zu den Straftaten aus diesem Kreis wurden im Vorjahr 303 Verdächtige ermittelt (2021: 295). Insgesamt werden dem Milieu der Berliner Clan-Kriminalität laut Innenverwaltung 582 Menschen zugerechnet (Stand 31. Dezember 2022).

Knapp die Hälfte davon – 47,7 Prozent – sind deutsche Staatsbürger. Etwa ein Viertel werden in der Statistik als libanesisch (14,95 Prozent) oder deutsch-libanesisch (8,9 Prozent) geführt. Bei 18,7 Prozent ist die Staatsbürgerschaft unklar. Darüber hinaus ordnen die Berliner Ermittler unter anderem noch türkische (4,8 Prozent) oder deutsch-türkische Staatsangehörige (1,7 Prozent) oder Syrer (2,1 Prozent) der Clan-Kriminalität zu.

Die Straftaten von Clan-Mitgliedern hatten 2022 etwa 0,2 Prozent Anteil an der gesamten Kriminalität in Berlin, das gilt auch für die Zahl der Tatverdächtigen. Dennoch gehen die Behörden spätestens seit 2018 verstärkt und koordiniert gegen diese Gruppen vor. Ein Auslöser dürfte der spektakuläre Raub einer 100 Kilogramm schweren Goldmünze 2017 aus dem Bode-Museum gewesen sein, an dem Mitglieder einer arabischstämmigen Großfamilie nach Überzeugung von Gerichten beteiligt waren.

Immer wieder kommt es zu Polizei-Razzien in der Villa des Remmo-Clans in Alt-Buckow.
Immer wieder kommt es zu Polizei-Razzien in der Villa des Remmo-Clans in Alt-Buckow.BK

Ein wichtiger Punkt des seinerzeit beschlossenen Aktionsplans ist die Abschöpfung von Clan-Vermögenswerten, die mutmaßlich aus Straftaten stammen. Denn das trifft sie härter als Haftstrafen, die im Milieu häufig sogar als „Auszeichnung“ betrachtet werden, wie Ermittler berichten. In diesem Zusammenhang gab es laut Lagebild 2022 in Berlin 160 polizeiliche Kontrollen – also durchschnittlich jeden zweiten Tag. Bei diesen teils gemeinsam mit Ordnungsämtern, Bezirken, Zoll- und Finanzbehörden durchgeführten Einsätzen wurden 606 Objekte kontrolliert und 36 davon geschlossen.

34 Autos und 47 Waffen wurden im Jahr 2022 beschlagnahmt

Zu den beschlagnahmten Beweismitteln gehörten mehr als 52.000 Euro mutmaßliches Drogengeld, 11.203 unversteuerte Zigaretten, rund 209 Kilogramm Wasserpfeifentabak und 633 Verkaufseinheiten Betäubungsmittel. Hinzu kamen 34 Autos, 82 Spielautomaten sowie 47 Waffen beziehungsweise gefährliche Gegenstände.

Berlins Innensenatorin Iris Spranger kündigt vor diesem Hintergrund weiteres konsequentes Vorgehen gegen kriminelle Clans an. „Es gilt, diese abgeschotteten Strukturen, die unser Rechtssystem ablehnen und versuchen, sich unserer Rechtsordnung zu entziehen, aufzubrechen und letztlich aufzulösen“, sagt sie am Sonnabend. Gleichzeitig fordert die SPD-Politikerin Nachschärfungen bei Gesetzen. Denn bei der Vermögensabschöpfung stoße der Staat noch an Grenzen.

Iris Spranger (SPD), Berlins Innensenatorin, fordert die Beweislastumkehr, um besser gegen kriminelle Clans vorgehen zu können.
Iris Spranger (SPD), Berlins Innensenatorin, fordert die Beweislastumkehr, um besser gegen kriminelle Clans vorgehen zu können.Christophe Gateau/dpa

Innensenatorin Spranger fordert eine gesetzliche Beweislastumkehr. Das würde bedeuten: Ein Verdächtiger ohne Einkünfte und Vermögen müsste selbst nachweisen, woher er Geld für den Kauf einer Millionen-Villa oder eines Luxus-Autos hat – und nicht mehr, wie bisher, die Ermittlungsbehörden. Derartige Möglichkeiten nutzt etwa die italienische Justiz bei ihrem Vorgehen gegen die Mafia.

Spranger sagte gegenüber RBB24, mit den bisherigen gesetzlichen Instrumenten zur Vermögensabschöpfung stoße man beim Einziehen illegal erlangten Vermögens aus Immobilien oder Luxusautos immer wieder an Grenzen. Sie wolle diesen „wichtigen Baustein zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ mit ihren Amtskollegen voranbringen. Spranger ist Vorsitzende der Innenministerkonferenz.

Unterdessen verteidigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre selbst in der eigenen Partei umstrittenen Pläne zur leichteren Abschiebung krimineller Clan-Angehöriger. „Wir müssen den Kampf gegen Organisierte Kriminalität konsequent führen. Clan-Kriminalität ist ein Teil davon. Der Rechtsstaat muss hier Zähne zeigen“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstag). Dazu gehöre die schnellere Ausweisung von Kriminellen ohne deutschen Pass. „Es geht dabei um kriminelles Handeln, nicht um Verwandtschaftsverhältnisse“, fügte Faeser hinzu. „Der Familienname sagt nichts darüber, ob jemand kriminell ist.“