Viel Planung, wenig Ergebnis
Berlins Schleichfahrt zu mehr Umweltschutz: Wie Güterzüge als Lkw-Ersatz auf der Strecke bleiben

Mehr Güter auf die Schiene! Seit Jahrzehnten hallt diese Forderung durch Deutschland, wegen Lasterstau und Dieseldunst. In Berlin jedoch gibt es für Unternehmen nach wie vor kaum eine Chance, kleinere Sendungen oder einzelne Paletten in Güterwagen ein- oder auszuladen zu lassen. Ein auf den letzten Drücker vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 verabschiedetes „Integriertes Wirtschaftsverkehrskonzept“ des Senats bleibt wolkig, was den Schienenverkehr angeht, und die Verwaltung jagt über zehn Jahre alten Planungszielen nach, die auf Jahre keine Chance auf Umsetzung haben. Am einstigen Güterbahnhof Tempelhof lässt sich das Debakel nachvollziehen.
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So, wie sich Berlin „Güterverkehrssubzentren“ (GVSZ) vorstellt, mit einer neuen Leichtbau-Lagerhalle und Umschlag zwischen Eisenbahn statt schwerer Lkw auf der einen, Lieferwagen, Lastenrädern oder elektrischen Liefermobilen auf der anderen Seite. „Es ist mir aber nicht gelungen, beim Senat jemanden auszumachen, der dafür zuständig sein könnte.“
Über Umwege landete sein Begehr bei der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Die stellte dem (vorigen) Senat die parlamentarische Anfrage, wie es damit stünde, innerhalb der Stadt an vorhandenen Eisenbahnstrecken Waren in kleinerem Maßstab umzuschlagen, und wo. Denn gegenwärtig kann Stückgut in Berlin ausschließlich im Westhafen in Güterzüge ein- oder ausgeladen werden, bestätigt Eberhard Tief, Geschäftsführer des LBBV, einem Verband von Logistikunternehmen.
Viele ehemalige Bahnflächen sind bebaut
Der Senat antwortete dem Abgeordneten Kristian Ronneburg, dass Umschlagorte an verschiedenen Stellen nicht mehr neu zu schaffen oder wiederherzustellen sind, weil die Bahnhofsflächen mit Wohnungen bebaut sind, zum Beispiel an der Heidestraße in Mitte. Bezüglich anderer Orte blieb die Antwort unpräzise: „Das Potenzial und die Eignung von (Bahn-)Flächen als Standort für einen Umschlag Schiene-Straße mit jeweils lokalem Bezug ist jeweils detailliert zu prüfen.“

Nicht nur Ronneburg fragt sich nach diesem Satz, was seit 2006 geschehen ist, als ein erstes „Integriertes Wirtschaftsverkehrskonzept“ vorgelegt worden war. Der Senat kann als einzigen maßgeblichen Erfolg vorweisen, dass der Westhafen zu einem gut funktionierenden Güter-Umschlagplatz zwischen Binnenschiffen, Eisenbahn und Straße geworden sei, das Gleiche in absehbarer Zeit auch im Südhafen Spandau anstehe.
Von Güterbahnhof Tempelhof als GVSZ ist aber nichts mehr zu hören, dabei liegt er unmittelbar am Stadtring A100, nebenan gibt es Ringbahn-Eisenbahngleise neben der S-Bahn. Angelika Schöttler (SPD), zuständige Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg, weiß zu berichten, dass bereits 2010 in einem Fachgespräch mit dem Senat „die möglichen Entwicklungsperspektiven erörtert und besprochen“ wurden.
„Terminal“ Tempelhof, erträumt für ein EU-Projekt
Selbst die EU wurde im vergangenen Jahrzehnt als Förderer in die Überlegungen eingebunden, allerdings ist von irgendwelchen Konsequenzen von „SMARTSET“ (2013–2016) nirgends zu lesen. Mehrere europäische Städte waren an diesem Projekt zum innerstädtischen Warenverkehr beteiligt, Berlin mit dem Bahnhof Tempelhof.
Es scheint auch so, dass schon damals alle Züge abgefahren waren, obwohl im ersten „Integrierten Wirtschaftsverkehrskonzept“ von 2006 der Bahnhof noch als „Logistischer Knoten für die bahnseitige Versorgung der südwestlichen Stadträume“ vorgesehen war.
Da hatte die Deutsche Bahn das Güterbahnhofsgelände aber schon 2003 als nicht betriebsnotwendig an ihre Immobilientochterfirma Aurelis abgestoßen. Die wurde an Hochtief weiterverkauft, 2008 dann habe Hochtief-Aurelis die Gleise abbauen lassen, schrieb ein SPD-Bezirksverordneter 2009 auf.
2012 stellte das Eisenbahn-Bundesamt die Fläche „von Bahnbetriebszwecken frei“, was immerhin drei Jahre später den Weg zur Bekanntgabe im Berliner Amtsblatt fand.

Vorhaben von Hochtief, einen Baumarkt zu errichten, blieben Makulatur, so wie das Vorhaben, über einen Bebauungsplan „7-43“ ein GVSZ zu ermöglichen. Der Plan ruhe, teilte Stadträtin Schöttler mit, wacker hält sie dennoch die Fahne hoch: „Für mich ist die Fläche für ein GVSZ sehr gut geeignet, zumal der Bahnanschluss weiterhin gegeben ist.“
Gleichzeitig muss sie eingestehen: „Dass im Ergebnis bis heute keine realistische Umsetzung erfolgte, liegt im Wesentlichen an den abweichend gelagerten Vermarktungsinteressen des Grundstückseigentümers.“ Wer das mittlerweile ist, dürfe sie nicht sagen – Datenschutz. Mit der gleichen Begründung hatte der Senat schon 2017 die Auskunft gegenüber einem Linke-Abgeordneten verweigert.
Bahnhofsgelände gehört jetzt einem Auto-Discounter
Der KURIER fand es dennoch heraus, und das große Autohandelsunternehmen mit Firmensitz in Brehna (Anhalt-Bitterfeld) und Niederlassungen überall in Ostdeutschland hat es bestätigt: „Autoland“ ist jetzt der Eigentümer.
Was die Firma plant, sagte ihr Immobilien-Verantwortlicher dem KURIER mit dem Hinweis auf ausstehende Genehmigungen nicht. Eine Aussage, die Stadträtin Schöttler überrascht: Das Unternehmen spreche nicht mit dem Bezirk. Nach ihrer Kenntnis gab es keine Kontaktaufnahme wegen einer Bauberatung oder eines Bauantrags.
Sie schränkt aber ein, dass es einen hohen Krankenstand in ihrem Amt gebe, unter Umständen hat einer der jetzt Kranken Kontakt zu Autoland gehabt.
Lose-Lose-Situation: Keiner bekommt, was er will
Am Ende stecke man in einer „Lose-Lose-Situation“, sagte Angelika Schöttler dem KURIER: Der Bezirk bekomme nicht, was er wolle, und der Eigentümer könne auch nichts tun. Einen Hebel, Autoland zu irgend etwas zu zwingen, gebe es nicht.
Eisenbahner Jan Habraneck jedenfalls wird wohl keine Chance auf Umsetzung seiner Ideen haben, die an der Berliner Realität zerschellt sind.