Im Februar verbrannten in Treptow drei Insassen eines Autos, dessen Fahrer sich mit einem Konkurrenten ein illegales Rennen geliefert hatte.
Im Februar verbrannten in Treptow drei Insassen eines Autos, dessen Fahrer sich mit einem Konkurrenten ein illegales Rennen geliefert hatte. Foto: Morris Pudwell

Die Zahl illegaler Autorennen hat in Berlin massiv zugenommen. Von 345 Ermittlungsverfahren im Jahr 2018 stieg die Zahl auf 871 Verfahren im vergangenen Jahr. Das heißt: durchschnittlich knapp zweieinhalb Mal pro Tag erwischt die Polizei illegale Raser. In diesem Jahr führte die Berliner Amtsanwaltschaft mit Stichtag 26. April bereits 298 Verfahren.

„Es gibt unglaubliche Amokfahren, die wir teilweise erleben“, sagte am Dienstag Andreas Winkelmann, der bei der Berliner Amtsanwaltschaft eine Abteilung leitet, deren Kfz-Spezialisten das Fachwissen haben, um Rasern ihre Taten zu beweisen. So können sie die Daten aus den elektronischen Steuerungssystemen eines beschlagnahmten Autos zum Tatnachweis auslesen. Dazu gehört unter anderem, wie tief das Gaspedal durchgedrückt war.

Für die Zunahme der Verfahren nannte der Erste Oberamtsanwalt mehrere Gründe: Neben verstärkten Kontrollen an den typischen Raserstrecken habe es auch eine „Coronaschwemme“ an Fällen gegeben. Die geringere Verkehrsdichte im April und Mai vergangenen Jahres habe zum Rasen verleitet. So seien damals bei der Amtsanwaltschaft innerhalb einer Woche 32 Verfahren eingegangen und 32 Autos beschlagnahmt worden, sagte Winkelmann. Zeitweise hatte die Polizei keine Kapazitäten mehr auf ihrem Sicherstellungsgelände.

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Grafik: Hecher, Quelle: Amtsanwaltschaft 

Sehr viele hochmotorisierte Fahrzeuge in Berlin

Ein weiterer Grund für die Zunahme der Verfahren liegt Winkelmann zufolge allerdings auch darin, dass der juristische Anwendungsbereich größer wurde. Als verbotenes Kraftfahrzeugrennen wird jetzt auch die Flucht vor der Polizei gewertet, etwa wenn ein Betrunkener zufällig in eine Verkehrskontrolle gerät und dann mit einer waghalsigen Flucht versucht, sich dieser zu entziehen. In vielen Fällen betraf dies auch sogenannte „Kokstaxis“. Gerade während der Corona-Lockdowns boomte das Geschäft mit dem Drogenlieferservice frei Haus.

Nach Angaben von Winkelmann begünstigen weitere Faktoren den steigenden Trend: die kurze Dauer der Taten, bei denen sich die Täter zufällig an Kreuzungen begegnen und dann spontan ein Rennen starten. „Es gibt sehr viele sehr hochmotorisierte Fahrzeuge im Berliner Stadtverkehr. Bei den Neuzulassungen steigt der Grad der Motorisierung stetig an.“ 150 PS hätten vor dreißig Jahren als hochmotorisiert gegolten. „Und die jungen Männer haben sehr leichten Zugang zu hochmotorisierten Fahrzeugen.“

Zu 97 Prozent handelt es sich bei den Tätern um Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Den größten Anteil unter ihnen machen junge Männer zwischen 21 und 25 Jahren aus. Die Ankläger stehen auch vor der Schwierigkeit, dass sie zwar Fahrzeuge, die den Tätern gehören, als Tatwerkzeug einziehen können. Bei Mietfahrzeugen ist das jedoch nicht möglich. Und sehr viele Autos, die für illegale Rennen genutzt werden, wurden gemietet.

Justizsenator Dirk Behrendt plant die Bundesratsinitiative noch im Juni

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) will deshalb noch im Juni eine Bundesratsinitiative einbringen. „Wir wollen, dass hochmotorisierte Fahrzeuge nicht mehr an Fahranfänger verliehen werden dürfen“, sagte er am Dienstag. „Wenn Vermieter es trotzdem tun, sind sie in hohem Maße schadenersatzpflichtig.“ Dies würde bedeuten, dass dann auch Mietfahrzeuge vom Staat eingezogen werden können. „Ich bin nicht weiter bereit hinzunehmen, dass die Stadt zur Rennstrecke verkommt“, sagte Behrendt.

Entsprechende Schritte für eine Bundesratsinitiative sollen Behrendt zufolge demnächst im Senat abgestimmt werden. Er glaubt, dass andere Bundesländer Berlin im Bundesrat unterstützen werden. Auch andernorts, etwa in Nordrhein-Westfalen, gebe es eine Raserszene. Wie lange diese Sperre für Fahranfänger gelten soll, ist noch unklar. Unter „hochmotorisiert“ stellt Behrendt sich Autos ab 200 bis 250 PS vor.

Seit 2017 gab es in Berlin 450 rechtskräftige Verurteilungen

Seit Oktober 2017 gelten illegale Autorennen gemäß laut Strafgesetzbuch als Straftat und nicht mehr als Ordnungswidrigkeit. Seitdem wurden Andreas Winkelmann zufolge in Berlin etwa 2000 Verfahren gegen bekannte und unbekannte Täter eingeleitet. In 850 Verfahren wurde Anklage erhoben, und es gab etwa 450 rechtskräftige Verurteilungen.

Die in Berlin verhängten Strafen reichen von Geldstrafen bis hin zu Freiheitsstrafen. Die Geldstrafen lagen bei mindestens zwei Nettoeinkommen (60 bis 70 Tagessätze) und zusätzlichen Fahrverboten. Hinzu kamen etwa 20 Verurteilungen zu Freiheitsstrafen. Die höchste Haftstrafe - lebenslang - gab es für den Fahrer, der 2018 mit einem Audi A 6 in Charlottenburg eine Studentin getötet hatte.

Im vergangenen Jahr wurden eine unbeteiligte Autofahrerin und ihre Tochter auf dem Kurfürstendamm lebensgefährlich beziehungsweise schwer verletzt, als ihr Kleinwagen mit einem heranrasenden hochmotorisierte Audi kollidierte. Dieser war gemietet. Die Frau liegt noch immer im Krankenhaus.

Im Februar dieses Jahres starben drei junge Insassen eines 450 PS starken Audi bei einem Unfall in der Straße Am Treptower Park.  Einer der Männer verbrannte am Ort, ein weiterer starb kurz darauf im Krankenhaus, der dritte Mann nach einigen Tagen. Das Auto, mit etwa 150 Stundenkilometern unterwegs, rasierte zwei Straßenbäume ab und wurde beim Aufprall auf einen Baucontainer völlig zerrissen. Der Fahrer (21) als einziger Überlebender kam in Untersuchungshaft.