Die Berliner Klimaaktivisten kriegen inzwischen Unterstützung aus ganz Deutschland. Hier eine neue Soli-Kundgebung für „Letzte Generation“ und „Scientist Rebellion“ in München.
Die Berliner Klimaaktivisten kriegen inzwischen Unterstützung aus ganz Deutschland. Hier eine neue Soli-Kundgebung für „Letzte Generation“ und „Scientist Rebellion“ in München. imago/Alexander Pohl

Sie kleben sich an Straßen fest, an wertvollen Gemälden und einmaligen Dinosaurierskeletten. Selbst vor einer Blockade von Feuerwehrfahrzeugen schrecken Klima-Kleber-Aktivisten nicht zurück. Am Montag wurden Spezialkräfte der Feuerwehr in Berlin derart ausgebremst – die Retter konnten einer verunglückten Radfahrerin nicht schnell zu Hilfe eilen. Die Berliner Staatsanwaltschaft drückt jetzt auf die Verfahrenstube und selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schickte mahnende Worte an die Klimaaktivisten.

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen rund 730 Verfahren zu den anhaltenden Aktionen von Klimademonstranten auf den Tisch bekommen. Das teilte die Justizverwaltung auf Anfrage mit. Vielfach seien Fälle verbunden worden, weil eine Person an mehreren Aktionen beteiligt war. Offen sind nach den Angaben derzeit 139 Fälle. Allerdings sprechen wir hier über den Stand vom 25. Oktober 2022. Es drängt sich also die Frage auf: Reicht das?

Auffallend ist: Bisher gab es nur einige Verurteilungen von Demonstranten zu kleineren Geldstrafen wegen Nötigung. Die Staatsanwaltschaft beantragt in der Regel eine Ahndung der Taten durch einen Strafbefehl, also ohne mündliche Verhandlung. Rund 150 solcher Strafbefehle wurden bis Mitte Oktober nach Justizangaben vom Amtsgericht Tiergarten erlassen.

Zwei Klima-Muttis klebten sich am Sonntag im Berliner Naturkundemuseum an einem Saurierskelett fest.
dpa/Paul Zinken
Zwei Klima-Muttis klebten sich am Sonntag im Berliner Naturkundemuseum an einem Saurierskelett fest.

Aus Sicht der Justiz funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der Staatsanwaltschaft Berlin und der Polizei inzwischen gut. Im Sommer war der Justiz von einigen Politikern vorgeworfen worden, sie reagiere nicht konsequent genug auf die Protestaktionen. Wiederholt sprach sich Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) gegen eine Einmischung in die Ermittlungen aus. Bei der Staatsanwaltschaft kümmern sich allerdings inzwischen zwei Schwerpunktabteilungen um die Fälle, auch die Polizei hat personell aufgestockt.

Klima-Kleber können beinahe jeden Tag neue Aktionen starten

Merkwürdig ist nur: Trotz der Personalaufstockung können die Klima-Kleber und Aktivisten beinahe jeden Tag neue Aktionen in der Berliner Innenstadt starten.

Mit den derzeit fast täglichen Aktionen der Klimaaktivisten, die auf den Berliner Straßen für erhebliche Behinderungen sorgen, wird in der Politik der Ruf nach Konsequenzen wieder lauter, was verständlich ist. Auch in der Senatssitzung am heutigen Dienstag steht das Thema nach Information der Deutschen Presse-Agentur (dpa) nochmals auf der Agenda.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat ihre eigene Meinung dazu, sie hält eine Verschärfung des Polizei- und Ordnungsrechts für erforderlich: „Die Hauptstadt wird so lange Wohlfühl-Biotop für diese Aktionen sein, bis der Rechtsstaat deutlich macht, dass Straftaten nicht toleriert werden können“, sagte Sprecher Benjamin Jendro.

Die Berliner FDP regte eine zentrale Plattform an, mit deren Hilfe Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit Klimaprotesten angemeldet werden können. „Für die Betroffenen der Klima-Kleber, die arbeitende Mitte unserer Stadt, muss es in Zukunft eine realistische und einfache Möglichkeit geben, ihren Schaden geltend zu machen“, sagte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja am Montag der dpa.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ermahnte die Klima-Kleber

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte zuvor im Gespräch mit der Berliner Morgenpost (Sonntag) gesagt, sie habe großes Verständnis dafür, wenn Handwerker, denen durch die Klimaproteste höhere Kosten entstünden, Zivilklagen anstrengten und Schadenersatz geltend machten. Der FDP-Innenpolitiker Björn Jotzo kritisierte das als vollkommen realitätsfremden Vorschlag.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich inzwischen zu Wort gemeldet. Er forderte die Klima-Kleber dazu auf, bei ihren spektakulären Aktionen keine anderen Menschen zu gefährden – etwa mit Straßenblockaden. Er appelliere, „dass man bei all den Entscheidungen, die man trifft für politische Kundgebungen, immer bedenkt, dass das nicht zur Gefährdung anderer beiträgt“, sagte der Kanzler zu den Aktionen der Gruppe „Letzte Generation“.

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Die Klimaaktivisten der Gruppe äußerten sich inzwischen zu der unglücklichen Blockadeaktion am Montag, bei der die Berliner Feuerwehr einen Rettungseinsatz nicht durchführen konnte: „Es bestürzt uns, dass heute eine Radfahrerin von einem LKW verletzt wurde. Wir hoffen inständig, dass sich ihr Gesundheitszustand durch die Verspätung nicht verschlimmert hat“, so Carla Hinrichs von der „Letzten Generation“. „Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten. Das gilt selbstverständlich auch für alle Verkehrsteilnehmer:innen.“

Die Zukunft wird zeigen, ob sie das ernst meinen.

Unterdessen ermittelt die Polizei nach dem schweren Betonmischer-Unfall, bei dem es laut Feuerwehr wegen einer Blockadeaktion von Klima-Aktivisten zu Verzögerungen bei der Rettung gekommen ist, gegen zwei der Blockierer. Gegen einen 63-Jährigen und einen 59-Jährigen werde wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen ermittelt, sagte ein Sprecher am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

Zuvor hatte die „Berliner Zeitung“ über die Ermittlungen berichtet. Nach Angaben des Sprechers sollen sich die Aktivisten an einer Schilderbrücke auf der A100 festgeklebt haben. Eine 44 Jahre alte Radfahrerin war am Montagmorgen in der Bundesallee von einem Betonmischer-Lastwagen überrollt und unter dem Wagen eingeklemmt worden.

Feuerwehr-Einsatzkräfte mit Spezialgeräten standen wegen Protesten von Klimademonstranten auf der Stadtautobahn A100 im Stau und trafen erst verspätet am Unfallort ein, weshalb an der Unfallstelle improvisiert werden musste, wie die Feuerwehr betonte. Die Frau kam mit lebensgefährlichen Verletzungen in eine Klinik. Der Fahrer des Betonmischers (64) wurde von einem zunächst unbekannten Mann mit einem Messer schwer verletzt.