Berliner Feuerwehr vor dem Kollaps: Von 140 Rettungswagen waren am Sonnabend nur 80 verfügbar
Bis zu sieben Minuten lang konnte nicht ein einziger Rettungswagen losgeschickt werden. Löschfahrzeug transportierte Patientin.

Berlins Rettungswesen am Abgrund: Nach Darstellung der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft waren am Sonnabend statt 140 nur gut 80 Rettungswagen im Einsatz. Für nahezu vier Millionen Berliner und Besucher in der Stadt. Der Engpass habe dazu geführt, dass mehrmals und bis zu sieben Minuten lang überhaupt kein Rettungswagen (RTW) zur Verfügung stand. Insbesondere am Abend mit diversen Veranstaltungen.
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„Teilweise konnten an diesem Abend dringlichste Einsätze nicht sofort beschickt werden. Es ist unter diesen Umständen nicht abwegig zu glauben, dass wir irgendwann Tote zu beklagen haben werden. Wir fordern erneut eine Aufarbeitung der betroffenen Einsätze“, so Lars Wieg, Vorsitzender der DFeuG Berlin Brandenburg. Angesichts dieser Entwicklung könne man sich nur noch als Passagier eines außer Kontrolle geratenen Zuges fühlen.
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Verletzte Frau im Löschfahrzeug transportiert, weil kein Rettungswagen verfügbar war
In einem Fall, erklärte DFeuG-Sprecher Manuel Barth, hätten Kameraden eine verletzte Frau auf dem Sitz eines Löschfahrzeugs ins Krankenhaus bringen müssen. Gleichzeitig seien von 25 Plätzen der Leitstelle, wo die 112-Notrufe eingehen, zeitweilig nur 16 besetzt gewesen. Ein Mann aus der Personalvertretung und zwei freiwillige Feuerwehrleute mit Leitstellen-Erfahrung seien im Nachtdienst eingesprungen.
Gut hundert Dienstposten sollen auf den Wachen nicht besetzt gewesen sein.
Seit Jahresbeginn herrscht fast jeden Tag Ausnahmezustand bei der Berliner Feuerwehr
Lars Wieg fordert angesichts eines nahezu täglichen Ausnahmezustands im Rettungsdienst seit Jahresbeginn, dass die Berliner für ihre Feuerwehr aufstehen und dem Senat Druck machen: „Wir wundern uns ehrlich über den ausbleibenden Aufschrei aus der Bevölkerung. Es scheint immer noch nicht klar, dass wir annähernd jeden Tag Phasen haben, in denen Menschen in lebensbedrohlichen Situationen auf sich selbst gestellt sein werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt am Wochenende und verschärft sich durch jede Großveranstaltung, deren Versorgung die Berliner Feuerwehr garantieren muss.“
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Als Ausnahmezustand gilt, wenn die Rettungswagen zu 80 Prozent ausgelastet sind und die zehn Minuten nicht mehr eingehalten werden können, binnen derer ein Fahrzeug nach dem Alarm beim Patienten eintrifft.
Vor einem knappen Monat eingeführte Gegenmaßnahmen der Feuerwehrführung, darunter eine verstärkte Abgabe von Notrufen an die Kassenärztlichen Vereinigung bei Bagatellen, sollen bislang keine Wirkung gezeigt haben.
Feuerwehrsprecher Thomas Kirstein erklärte dem KURIER, das die genannten Zahlen stimmten, mit der Einschränkung, dass die 140 Rettungswagen die höchste vorgesehene Stärke am Abend gewesen wären. Die Feuerwehr habe schlicht zu wenig Personal, worüber der KURIER berichtet hatte.
Rettungsfahrt des Löschfahrzeug war sehr kurz
Es sei auch richtig, dass ein Löschfahrzeug eine Frau ins Krankenhaus gebracht habe. Allerdings hätte sie sich in unmittelbarer Nähe der Schöneberger Auguste-Viktoria-Klinik verletzt, so dass die Leitstelle entschieden habe, für den sehr kurzen Transport das Löschfahrzeug zu schicken. Kirstein: „So etwas ist nicht das erste Mal passiert. Bei einem Blitzeis mit vielen Verletzten haben wir auch eine Drehleiter losgeschickt.“
Ansonsten würden Gegenmaßnahmen gegen den Personalmangel anfangen zu wirken. So würden die Dienstzeiten so verändert, dass nicht alle Besatzungen der Wachen gleichzeitig wechseln, was zu deutlichen Personalausfällen zwischen 17 und 19 Uhr geführt habe: „Deshalb haben wir jetzt im Schnitt sieben RTW mehr im Einsatz als vor wenigen Wochen.“
Die sogenannte Codeanpassung sei technisch in Arbeit, um mehr Fälle an Kassenärzte zu vermitteln. Das dauere seine Zeit, könne aber den Personalmangel nicht wettmachen. Kirstein: „Ruft jemand die 112, wird er abgefragt, wo und was passiert ist. Am Ende kommt ein Alarmierungscode heraus, der festlegt, was zu tun ist.“ Bei „fehlenden Vitalfunktionen“ beispielsweise fahren dann Notarzt und Rettungswagen los.
„Vier Wochen Rückenschmerzen“ sollen kein Grund mehr für Rettungswagen-Fahrten sein
Jetzt ist das Ziel, Bagatellen verstärkt nicht mehr von der Feuerwehr betreuen zu lassen. Wenn jemand einen Rettungswagen wolle, weil er seit mehreren Wochen Rückenschmerzen hat, soll der Code darauf hinaus laufen, den Fall an die Kassenärztliche Vereinigung weiterzuleiten. Die kann dann laut Kirstein einen Bereitschaftsarzt schicken, den Patienten an eine offene Praxis verweisen oder einen Praxistermin vorschlagen.
Die Schwierigkeit bleibe, dass es Irrtümer geben kann. Kirstein: „Ein Hautausschlag kann harmlos sein, aber auch ein Zeichen für einen lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock.“