Auslandseinsatz
Berliner Arzt hilft auf Lesbos Flüchtlingen und bringt Babys auf die Welt
Felix Fellmer arbeitet als angehender Chirurg im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin. Derzeit ist er als Helfer auf Bitten der WHO im Einsatz.

Als Felix Fellmer das 15-jährige Flüchtlingsmädchen im Zeltlager Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos das erste Mal sah, kam es wegen einer Entzündung im Fuß mit Krücken zu ihm in die Sprechstunde. Fellmer behandelte die Jugendliche gemeinsam mit einer Kollegin, schnitt die entzündete Stelle auf, damit Eiter abfließen konnte. Zwei Tage später schon wusste er, dass es dem Mädchen besser ging. Es kam ohne Gehhilfen zur Behandlung. Es lächelte.
Vielleicht ist es dieses Lächeln von Menschen in Not, das Fellmer dazu bringt, sich immer wieder für Hilfseinsätzen im Ausland zu melden. Der angehende Chirurg aus Berlin gehört seit 2008 zu einem Pool von freiwilligen Medizinern, Rettungsassistenten, Krankenschwestern, Pflegern und Logistikern des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), die Menschen in Krisenregionen helfen wollen.
Jetzt also hat es Fellmer nach Griechenland verschlagen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die griechischen Behörden hatten um medizinische Hilfe gebeten. Das Bundeswehrkrankenhaus, in dem der Chirurg arbeitete, genehmigte einen Sonderurlaub. Seit Anfang Dezember ist der Arzt mit dem dem First Assistance Samaritan Team, dem Schnelleinsatzteam des ASB im Zeltcamp Kara Tepe, das nach dem verheerenden Feuer im völlig überfüllten Lager Moria im September dieses Jahres von den griechischen Behörden aus dem nackten Boden gestampft wurde und nun Heimstatt für etwa 7500 geflüchtete Kinder, Frauen und Männer ist.
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Felix Fellmer hat schon viel gesehen. Er war als Arzt im Norden Iraks, in Bosnien und Indonesien im Hilfseinsatz. „Das hier aber ist neu für mich“, sagt er am Telefon. Um dann das Neue, für ihn Unfassbare zu erklären: Sie, die neu angekommenen Helfer, seien am ersten Tag durch das Lager gefahren worden, um sich ein Bild zu machen – von den Unterkünften, die allen Wetterunbilden ausgesetzt sind, den hygienischen Verhältnissen, den sanitären Anlagen wie etwa den einfachen Dixie-Toiletten. Er habe schon beim Anblick geahnt, dass er viele Menschen mit Durchfallerkrankungen behandeln müsse, sagt der Mediziner. Ein solches Lager auf europäischem Boden für viel zu viele Flüchtlinge müsse in seinen Augen nicht sein, sagt er. Er habe selbst im Nordirak bessere Unterkünfte für Menschen gesehen, die aus ihrer Heimat geflohen seien.
Fellmer ist nach Lesbos gekommen, um zusammen mit derzeit elf Kollegen des ASB und Helfern anderer Hilfsorganisationen eine Ambulanz zu betreiben. Sie soll den Menschen in Kara Tepe die dringend benötigte Grundversorgung bieten, bis Ende Dezember ein neues, gerade im Bau befindliches Gesundheitszentrum in Betrieb geht. Nach Angaben des ASB können die Helfer derzeit mit den mitgebrachten Medikamenten und medizinischen Gerätschaften rund 10.000 Menschen bis zu drei Monate lang versorgen. „Wir machen hier keine großen Eingriffe, wir sind so eine Art erweiterte Hausarztpraxis“, erzählt Felix Fellmer. Die „Hausarztpraxis“ befinde sich in einem rund 300 Quadratmeter großen Zelt mit abgeteilten Räumen vor den Toren des eigentlichen Lagers. Auch andere Hilfsorganisatoren und Mitarbeiter des griechischen Gesundheitsministeriums kümmerten sich dort um Kranke und Verletzte.
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Neun Stunden am Tag steht das Versorgungszelt den Flüchtlingen, die auf eine Weiterreise nach Mitteleuropa hoffen, jeden Tag offen. Danach gibt es eine Notversorgung. Mal kommen nur 25 Patienten am Tag, mal 200. Fellmer behandelt gebrochene Arme und Beine, Verbrühungen bei Kindern, Hautkrankheiten, Traumaverletzungen. Um chronisch Erkrankte kümmern sich Kollegen einer anderen Hilfsorganisation. Der Mediziner erzählt, dass viele der Patienten eigentlich auch psychische Hilfe benötigten. Erst gestern habe sich ein Mann aus dem Kongo bei ihm vorgestellt. Der Patient habe einen Herzinfarkt gehabt. Bei der Untersuchung sah der Arzt Folterspuren am Körper des Mannes.
Nicht immer kann Fellmer etwas für die Menschen, die im Einsatz zu ihm kommen, tun. So stellte sich ein älterer Herr bei ihm vor, dem auf seiner Flucht im Iran ein Hirntumor entfernt wurde und der nun an Krampfanfällen litt. Der Chirurg vermutet, dass der Tumor des Patienten wieder wachse. „Hier im Lager können wir dem Mann nicht helfen“, erzählt der Chirurg. Er sei in das lokale Krankenhaus gekommen.
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Schon vor seinem Studium hat Felix Fellmer als Rettungssanitäter begonnen, sich im ASB zu engagieren. Auch während des Studiums machte er weiter. Eine „Mischung aus Hilfsbereitschaft, Neugier und auch ein wenig Abenteuerlust“ habe ihn dazu bewogen, wie er erzählt. Sein erster humanitärer Auslandseinsatz führte ihn im Jahr 2009 auf die indonesische Insel Sumatra, die von einem Erdbeben erschüttert worden war.
„An jeden Einsatz habe ich auch Erinnerungen, die mich nach wie vor nicht loslassen“, erzählt der 36-Jährige. So müsse er immer wieder an das Leid einer Frau denken, die sie 2013 nach dem schweren Taifun Haiyan auf den Philippinen versorgt hätten. Die Patientin war Mutter von fünf Kindern. Als die Sturmflut kam, hatte sie versucht, sich auf das Dach ihres Hauses zu retten. Sie konnte ein Kind aus den Fluten ziehen, die anderen vier Kinder wurden von den Wassermassen weggerissen.

Der Berliner Chirurg hat auch einige Male erfahren müssen, dass er nichts tun konnte für die Menschen, die vor ihm saßen. „Ich wusste zwar, wie ich ihnen hätte helfen können. In einem für uns ganz normalen Krankenhaus aber nicht dort, wo ich ihnen begegnet bin“, erzählt er. Diese Gewissheit, dass diese Menschen zuhause in Berlin eine gute Überlebenschance gehabt hätten, sei bitter. Doch es gebe auch die schönen Momente bei seinen Einsätzen, etwa wenn Mütter oder Väter sich bedankten, weil er ihren Kindern geholfen habe und sie wieder lachen konnten. Oder wie vor wenigen Stunden, als er mit einer Kollegin und einer Hebamme zu einer hochschwangeren jungen Frau aus Afghanistan ins Camp gerufen wurde. Sie wollten die werdende Mutter in ihrem Van in die Gesundheitsstation fahren. Doch das Baby war schneller. Noch im Auto kam es zur Welt. „Ein schöner Moment. Mutter und Kind sind wohlauf“, sagt der Mediziner.
Felix Fellmer hat jetzt zwei Wochen lang ohne einen freien Tag auf Lesbos Menschen behandelt. Weihnachten ist er wieder bei seiner Familie. Doch er wird irgendwann wieder dorthin fliegen, wo er und seine Kollegen dringend gebraucht werden.