Impfprioritäten fallen, Chaos bei den Hausärzten

Berliner Ärztin trotzt dem Ansturm auf die Praxen: „Nicht klagen, sondern einfach weiter impfen“

Sibylle Katzenstein sieht kein Problem in der Prioritätenfreigabe: „Uns Ärzten war doch klar, dass viel Arbeit auf uns zu kommt.“

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Hausärztin Sibylle Katzenstein in ihrer Neuköllner Praxis
Hausärztin Sibylle Katzenstein in ihrer Neuköllner PraxisFoto: Ponizak

Es herrscht Chaos bei den Hausärzten, nachdem sie auch Berliner ohne Priorität gegen Corona impfen dürfen. Wie berichtet, ist der Ansturm auf die über 2200 Impfpraxen enorm, der Impfstoff dagegen knapp. Trotz der Kritik der Ärzteverbände an der neuen Regelung des Senats solle man jetzt positiv nach vorne schauen und nicht klagen, sagt die Neuköllner Hausärztin Sibylle Katzenstein. „Es bringt nichts, sich nun über die Folgen den Kopf zu zerbrechen“, sagt sie dem KURIER. „Wir müssen mit dem, was wir haben, einfach weiter impfen. Uns Ärzten war doch klar, dass viel Arbeit auf uns zukommt, seitdem wir mit impfen dürfen.“

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Zwar ärgere sich Katzenstein genauso wie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und der Berliner Hausärzteverband darüber, dass der Senat so kurzfristig die Impfprioritäten bei den Hausärzten aufhob. „Das hat uns alle vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt sie. „Eine vorherige Absprache mit den Ärzten und etwas mehr Vorbereitungszeit wären notwendig gewesen, damit wir uns auch auf die neue Regelung einstellen und sie vor allem technisch umsetzen können.“

Dass der Ansturm auf die Praxen zunehme, sei schon vor Aufhebung der Priorisierung absehbar gewesen. Der Arbeitsdruck sei mit über 1000 Impfanfragen in ihrer Neuköllner Praxis derzeit nicht viel höher als vor der neuen Regelung, so die Ärztin. Man müsse deshalb vorausschauend arbeiten.

Um die enormen Anfragen in Abhängigkeit mit den vorhandenen Impfdosen zu koordinieren, habe sie sich ein digitales Einladungssystem einrichten lassen. „Wir arbeiten wie ein kleines Impfzentrum“, sagt Katzenstein. Andere Hausärzte haben eigene Impfhotlines geschaltet, um die Anfragen besser koordinieren zu können.

„Wir Hausärzte haben das Impfen bisher sehr gut geschafft“

Das Impfen gegen Corona sei eine große Herausforderung. „Wir Hausärzte haben bewiesen, dass wir das bisher sehr gut schaffen.“ Laut KV haben sie seit März fast eine halbe Million Berliner geimpft. Es könnten noch mehr sein, wenn mehr Serum vorhanden wäre, so Katzenstein. Aber bei den Lieferungen, die noch immer sehr gering ausfallen, werden die Impfzentren aufgrund einer Festlegung des Bundes bevorzugt. So  werden Hausärzte bundesweit bis Ende Mai mit 3,2 Millionen Biontech- und mit 1,3 Millionen Astrazeneca-Dosen beliefert.

Sibylle Katzenstein hat sich in ihrer Praxis ein digitales Impfeinladungssystem einrichten lassen.
Sibylle Katzenstein hat sich in ihrer Praxis ein digitales Impfeinladungssystem einrichten lassen.Foto: Ponizak

Aufgrund der geringen Mengen gilt in den Berliner Praxen zunächst weiterhin die bekannte Priorisierung. Vor allem die chronisch Kranken müssten rasch geimpft werden. Laut der Senatsgesundheitsverwaltung dürften Ärzte von der Reihenfolge abweichen, wenn sie ihre Dosen nicht für priorisierte Gruppen verbrauchen könnten.

Den Ansturm auf die Praxen müsse man positiv bewerten, so Katzenstein. Die Aufhebung der Prioritäten zeige, dass der Impfwille der Berliner hoch sei. Um die Lage zu entschärfen und das Impfen besser zu koordinieren, sei es jetzt wichtig, dass die Hausärzte ihren Fokus vor allem darauf setzen, dass Berliner erst einmal Erstimpfungen erhalten und die Zweitimpfungen auf den Zeitraum verschieben, wenn mehr Dosen geliefert werden, so Katzenstein. Das könne bereits im Juni der Fall sein. Dann sollen die niedergelassenen Ärzte bundesweit etwa 18 Millionen Biontech-Dosen erhalten.

„Erstimpfungen bieten schon einen sehr guten Schutz“, sagt die Neuköllnerin. Und es gebe noch einen anderen Grund: Der Erstschutz für möglichst viele Berliner könne verhindern, dass sich die indische Variante des Coronavirus in der Stadt ausbreitet, so die Ärztin. Eine Verlängerung der Spanne zwischen Erst- und Zweitimpfung sei kein Problem. Der Erstschutz würde bei Biontech wie Astrazeneca lange anhalten.

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Geduld sei nötig, bis ausreichend Impfstoff für alle da sei. „Wir erklären vor allem jüngeren Patienten, die nun ohne Priorität geimpft werden wollen, dass sie sich noch zwei, drei Wochen gedulden müssen, bis mehr Lieferungen eintreffen“, sagt Katzenstein. 

Es stehen noch anstrengende Wochen für die Ärzte bevor, da ist sich Katzenstein sicher. Der Ansturm auf die Praxen könne im Sommer noch größer werden, wenn die Priorisierung bei den Corona-Impfungen ab dem 7. Juni bundesweit wegfallen soll. „Wir Ärzte müssen uns darauf einstellen, dass wir dann noch mehr zu tun haben“, sagt Katzenstein. „Ich werde auf meinen Sommerurlaub verzichten.“