Der klare KURIER-Kommentar

Berlin ist nicht Münster oder Freiburg: Warum auch noch so gut ausgebaute Radwege die Berliner Verkehrsprobleme nicht lösen

Berliner Verkehrspolitik sieht oft nur nach Klientelpolitik aus, in die immer öfter Gerichte korrigierend eingreifen müssen.

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Autos und Fahrräder suchen sich jetzt wieder gemeinsam Wege durch die Friedrichstraße.
Autos und Fahrräder suchen sich jetzt wieder gemeinsam Wege durch die Friedrichstraße.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Jetzt ist sie wieder offen, die Friedrichstraße. Für Autos. Die einen freut es (viele Gewerbetreibende vor Ort), die anderen ärgert es (vor allem Radfahrer, die eine Rennpiste verloren haben). Aber ärgern müssten sich alle Berliner eigentlich über etwas ganz anderes. Über das Hickhack in der Berliner Verkehrspolitik, die oft nur nach Klientelpolitik aussieht, in der aber immer öfter Gerichte korrigierend eingreifen müssen.

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Nicht nur der Streit um die Friedrichstraße wurde vor Gericht entschieden. Auch eine Busspur in der Zehlendorfer Clayallee musste nach Einspruch von Anwohnern und Richterspruch wieder aufgehoben werden. Es sieht oft so aus, als ob jede(r) nur an seine eigenen Wähler denkt, aber nicht an die ganze Stadt.

In Berlin agiert auf den Straßen jeder gegen jeden. Am meisten leiden die Fußgänger

Leiden aber müssen alle. Radfahrer, die sich oft auf unzureichenden Wegen durch die Stadt quälen müssen, Autofahrer, die wegen unkoordinierter Baustellen mutwillig in Staus gejagt werden. Und vor allen Dingen die Fußgänger – weil eine fehlgeleitete Verkehrsplanung Auto- und Radfahrer aufeinander hetzt und immer aggressiver macht.

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Da wird eine Gruppe gegen die andere ausgespielt, aber nie an das „Wir“ gedacht. Ja, wir brauchen mehr und sichere Radwege. Aber glaubt jemand ernsthaft daran, dass noch so toll ausgebaute Radwege Marzahner in Zukunft dazu bringen werden, mit dem Fahrrad viele Kilometer zur Arbeit, bei Wind und Wetter, nach Reinickendorf zu radeln? Von Spandau nach Mitte? Von Neukölln nach Pankow? Oder Rentner mit dem Fahrrad zum Einkaufen in den Supermarkt fahren?

Ausgebaut werden muss in erster Linie der öffentliche Nahverkehr

Berlin ist eben nicht Münster oder Freiburg. Von einem Ende der Stadt (Müggelheim) zum anderen (Frohnau) sind es schnell mal mehr als 40 Kilometer. Da hilft es auch nicht, jetzt Fahrräder so zu bevorzugen, wie jahrzehntelang Autos bevorzugt wurden.

Ausgebaut werden muss in erster Linie der öffentliche Nahverkehr. Solange man mit den Öffis oft doppelt so langsam ans Ziel kommt wie mit dem Auto, werden viele nicht auf Pkw verzichten (können).

In der Innenstadt funktioniert es mit den Öffis prima, aber von den Rändern geht es oft nur sternförmig Richtung Innenstadt. Querverbindungen in den Außenbezirken werden mit den Öffis schnell zum Marathon.

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Mit dem Auto braucht es vom Helios Klinikum Buch in die Wuhletalstraße (Marzahn) 19 Minuten für 11 Kilometer – mit Bus und Bahn sind es weit mehr als eine Stunde. Von Grünau zum Botanischen Garten sind es mit dem Auto 32 Minuten für 24 Kilometer, mit den Öffis rund eine Stunde und zehn Minuten. Da helfen auch noch so gut ausgebaute Radwege nicht weiter.