BAP-Sänger Wolfgang Niedecken im großen KURIER-Interview: Ohne Bob Dylan hätte er keinen einzigen Song geschrieben!
Der Frontmann der Kölschrock-Band BAP geht mit seinem neuen Buch über den US-Liedermacher und Nobelpreisträger Bob Dylan auf Lesereise und kommt damit auch nach Berlin.

Ohne Bob Dylan hätte es die Rockband BAP wohl nicht gegeben. Vieles an dieser jahrzehntelangen Beziehung erinnert an eine Ehe in ihrem Spätherbst, aber sie ist fruchtbar und sie wirkt bis heute nach. Wenn BAP-Leadsänger Wolfgang Niedecken über sein musikalisches Vorbild spricht, erinnert er an einen kleinen Jungen, der mit riesigen Augen sein überlebensgroßes Idol anhimmelt. Niedecken hat nach seinem Film „Bob Dylans Amerika“ (für Arte) jetzt auch ein Buch über den US-amerikanischen Musiker, Songwriter und achtzigjährigen Nobelpreisträger verfasst („Wolfgang Niedecken über Bob Dylan“, KiWi Musikbibliothek, 14 Euro).
Mit diesem Buch geht er auf Lesereise, er wird dabei musikalisch begleitet, und er kommt auch nach Berlin. Der KURIER erreichte den Sänger und studierten Maler telefonisch in Griechenland, wo Niedecken sich regelmäßig erholt.
Berliner KURIER: Das ist ja herrlich, Sie sind mit Ihrer Familie auf Kreta! Im Herbst! Sind Sie dort fest verankert?
Wolfgang Niedecken: Nein, seit fünf Jahren fahren wir jetzt dahin, in einen wunderschönen Ort im Süden der Insel, mit wunderschönen normalen Menschen. Also kein Heckmeck, nix Schickimicki. Das gefällt uns sehr.
Heckmeck und Schickimicki braucht man mit 70 Jahren nun wirklich nicht. Aber ein Geburtstagskonzert wäre schön gewesen. Immerhin, Sie haben sich dieses tolle Dylan-Buch geschenkt …
Ja, beim Geburtstagskonzert mussten wir wirklich irgendwann einsehen, dass man es besser verschiebt. Es wäre nichts geworden in diesem Jahr. Mit den strengen Corona-Auflagen hätten wir in der Kölnarena nicht spielen können. Wenn du in der Kölnarena spielst und da stehen dann 1000 Leute, kommst du dir vor wie beim Soundcheck. Das geht nicht. Schon wirtschaftlich nicht. Das haben wir also schweren Herzens verschoben.
Und stattdessen?
„Eine Bob-Dylan-Hymne und nicht die 10.000. Biografie von jemandem“
Im vorigen Jahr hat sich dann die Situation ergeben, dass man von einem Lockdown in den nächsten musste … na ja, und da habe ich die Chance ergriffen und das Buch geschrieben. Das wollten die vom Kiwi-Verlag schon die ganze Zeit. Das ist ja in dieser Reihe erschienen, wo Prominente über den Act schreiben, der sie in ihrem Leben am meisten beeinflusst hat. Und deswegen sind das auch von vornherein so subjektiv schön geschriebene Bücher.

Wie meinen Sie das?
Heraus kommt immer eine Hymne und nicht die 10.000. Biografie von jemandem. Deswegen hat es mir auch so viel Spaß gemacht. Ich habe ja im Jahr 2017 für Arte diese wunderschöne Dylan-Reise gemacht. Das wurde dann ein Fünfteiler über Bob Dylans Amerika, und ich habe im Buch eigentlich nur von dieser Reise erzählt – mit Rückblicken auf mein Leben, das natürlich viel mit Dylan zu tun hat. Das Buch ist im Grunde genommen ein Roadmovie und darum auch im Plauderton verfasst.
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Wussten Sie beim Schreiben, dass Sie damit auf Tour gehen würden?
Nicht beim Schreiben, aber das hat sich natürlich angeboten, denn nach und nach wurde mir klar, dass das noch lange dauern kann, bis wir wieder mit BAP spielen können. Und dann habe ich halt meinen alten Freund Mike Herting angerufen, ob er nicht Bock hätte, mit mir auf Tour zu gehen, daraus vorzulesen und dann die entsprechenden Songs zu spielen, und ich muss sagen, die ersten 30 Termine, die wir im Sommer gespielt haben, die haben einen unfassbaren Spaß gemacht. Das Publikum war rührend. Wie sich alle gefreut haben, dass wieder was passiert. Das war toll, das zu erleben. Also haben wir jetzt noch mal verlängert.
Sie schreiben im Buch: Ohne Bob Dylan kein BAP. Die Reise in die USA ist also eigentlich eine Reise zu Ihnen selbst gewesen …
Irgendwie schon. Ich habe mich auch an vielen Stellen so gefühlt, als wenn ich das schon mal erlebt hätte. Ich vermute aber, das wird eher auf Leseerlebnisse zurückgehen.
Gibt es denn so viele Bücher über Bob Dylan?
Ich habe, und das ohne Übertreibung, locker vier Meter Dylan-Literatur bei mir zu Hause stehen, und ich kenne natürlich auch viele Filme über ihn, ich kenne seine Platten in- und auswendig. Trotzdem war diese Reise noch mal anders, allein durch das haptische Erlebnis. Du kommst an Orte, an denen Dylan gewirkt hat, zum Beispiel das Big Pink bei Woodstock, wo er und The Band 1967 die Basement Tapes aufgenommen haben – das ist schon ein magischer Ort. Und wir haben in den USA viele magische Orte besucht. Wo er aufgewachsen ist, wo er geboren wurde. Du stehst vor dem Haus in Duluth, in dem er die ersten zehn Jahre seines Lebens verbracht hat und weißt, von hier aus hat er die Welt entdeckt.
Klingt fast schon mythisch.
Das ist ja das Absurde: Dylan ist der wirkmächtigste Poet der vergangenen 60 Jahre, und dann reist du zu seinen Wurzeln und siehst, wie klein das alles war.
So, wie Sie das erzählen, kommt mir das vor wie eine Fanveranstaltung – im besten Sinn. Man hat das Gefühl, hier folgt ein kleiner Junge wie verzaubert seinem überlebensgroßen Idol.
Es ist nicht ganz so, aber gewissermaßen schon. Der Vorteil ist ja, dass dieses Buch sich überhaupt nicht um Objektivität bemühen muss. Es ist ganz klar: Man sieht immer den Niedecken dahinter. Aber man sieht natürlich auch den kritischen Niedecken dahinter. Trotzdem gebe ich zu, das schreibe ich auch, ohne Dylan wäre ich niemals Musiker geworden, dann gäbe es auch BAP nicht.
„Er ist Bob Dylan, ich bin nur der Präsident der Vereinigten Staaten“
Ganz große BAP-Fans könnten sagen, du machst dich da so klein, lieber Wolfgang, dabei bist du doch selbst für viele ein Idol.
In dem Vergleich bin ich winzig … winzig, absolut.
Sie sehen das wie Obama, der im Vergleich mit Dylan einmal tiefstapelte „Ich bin nur der Präsident“?
Klasse, was? Als ich das zum ersten Mal gehört habe, ich hätte ihn herzen können. „Er ist Bob Dylan, ich bin nur der Präsident der Vereinigten Staaten.“ Ja, stimmt, da hat er recht!
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Obama hat coole Sachen gesagt.
Absolut. Stell dir mal vor, so ein Schwachmat wie der Trump hätte was zu Dylan sagen müssen. Der Trump wollte ja allen Ernstes Kiss für seine Inauguration haben. Aber die Band hat ihm einen Korb gegeben. Das rechne ich ihnen hoch an. Ich bin kein Fan von diesem Klamauk, aber das fand ich wirklich super (lacht).
Sie sprechen es gerade an und auch im Buch wird es mehrmals erwähnt: Die USA haben sich verändert – vom großen Bruder, der auf uns aufpasst, zu einem unerbittlichen Konkurrenten, der längst nicht immer fair spielt. Ist es leichtsinnig, dass viele Deutsche sich gerade jetzt von den USA abwenden?
Seit Biden habe ich wieder eine gewisse Hoffnung, aber es ist klar, in den nächsten vier Jahren muss in Amerika ein Wandel stattfinden, weil die Republikaner verhalten sich ja ausschließlich destruktiv. Die wollen nur zerstören, was der Biden versucht, auf den Weg zu bringen. Und das ist natürlich sehr gefährlich. Dann hast du diese furchtbaren Medien von Fox News bis USA Today, eine Zeitung wie eine Katastrophe. Da ist die Bild-Zeitung ja Die Zeit dagegen. Das ist ja unfassbar, was da läuft! Und dann dieser Sturm aufs Capitol. Du glaubst das ja nicht, wenn du es siehst, das ist wie in einem Horrorfilm oder in einem dieser komischen Zukunftsfilme. Das hält man ja gar nicht für möglich, dass das tatsächlich passiert. Aber doch, es ist passiert: Die sind da reingekommen!
Das gab es in Deutschland übrigens auch. Die Querdenker sind zwar nicht reingekommen, aber sie haben versucht, das Reichstagsgebäude zu stürmen.
Ganz furchtbar, was da noch auf uns zukommt. Da muss man vorbereitet sein. Man kann da jetzt nicht sagen: Prima, ist gut gegangen, das wird auch noch mal gut gehen. Nix da, die Demokratie muss man beschützen, da muss man sich auch für einsetzen.
Was sollte getan werden? Wir kriegen eine neue Bundesregierung, was die Sache nicht einfacher macht …
Ja, aber auch da habe ich eine gewisse Hoffnung, weil – Asche auf mein Haupt – ich bewege mich teilweise auch zu sehr in meiner Blase. Ich achte auf die Ökologie, ich achte auf ausreichend Widerstand gegen Rechts, und ich verliere darüber dann oft wirtschaftliche Themen komplett aus den Augen. Genauso andere Themen und Fragen, die für normale Leute natürlich kolossal wichtig sind: Was ist mit der Rente? Ist mein Arbeitsplatz sicher? Wie wird das alles gehen?

Aber was tun?
Jeder sollte sich dahingehend überprüfen, ob er in der Lage ist, aus seiner eigenen Blase mal rauszugucken. Früher hat man das genannt: Mal über den Tellerrand hinausgucken. Und wenn jetzt wirklich diese Ampelkoalition funktioniert, dann ist das schon so etwas. Die Ampel ist demokratisch zustande gekommen und es ist deren Pflicht zusammenzuarbeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit dem Lindner verhandelt, aber Gott sei Dank machen das ja andere. Und sie machen es wirklich gut, sie haben einen Plan, was man bisher sieht: Chapeau!
„Ich würde heute wahrscheinlich immer wieder aus der Kirche austreten“
Und Sie unterstützen das Ganze weiter musikalisch und jetzt auch mit Ihrem Buch. Einer Ihrer zwei Berlin-Termine findet in der Kreuzberger Passionskirche statt. Meinen Sie das als Statement?
Es ist kein Statement, aber ich habe mich sehr gefreut, dass dieser Termin zustande kam. Wir hätten am liebsten das Zusatzkonzert auch noch da gespielt, aber die hatten keinen Termin mehr frei.
Ich frage deshalb, weil einige Künstler in fortgeschrittenem Alter wieder religiöser werden. Sie haben ja Ihre eigenen Erfahrungen mit der Kirche gemacht. Ich denke da an die Missbrauchsgeschichte aus Ihrer Jugend …
Wenn ich in dieses Thema weiter reindenken soll: Ich war beispielsweise nie Atheist. Ich habe mich immer selbst als Rest-Katholik bezeichnet. 51 Prozent bin ich gläubig und 49 Prozent sehr, sehr skeptisch. Trotzdem, ich bin katholisch erzogen worden und in dieser Kultur aufgewachsen und man hat mir Werte wie Nächstenliebe vermittelt, und das hat man mir auch vorgelebt. Darum würde ich niemals auf die Idee kommen, etwas Gotteslästerliches zu tun. Ich kenne noch die ganzen Grundsätze meines Vaters und die waren alle gelebt. Und das ist gut so.
Gelebt auch von Ihnen?
Ich habe das meinen Kindern leider nicht vererben können, weil ich nach dem Tode meines Vaters aus der Kirche ausgetreten bin, es war irgendwann einfach genug. Ich würde heute wahrscheinlich immer wieder aus der Kirche austreten, zumindest aus der Katholischen Kirche. Was die sich erlauben, ist wirklich unfassbar. Wie die mit diesem unsäglichen Missbrauchsproblem umgehen – die wähnen sich immer noch in einer Zeit des Absolutismus und denken, sie können das ungestraft machen und durchgehen lassen. Also die können überhaupt nicht über den Tellerrand blicken, um das Bild von eben aufzugreifen.
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Draußen tobt ein Krieg der Identitäten. Identität ist für Sie immer wichtig gewesen, sonst würden Sie nicht auf Kölsch singen. Wo ziehen Sie die Grenze?
Wenn die Toleranz dabei zu kurz kommt. Dann kannst du es vergessen. Mir geht es eigentlich eher um Respekt, dass man Respekt vor anderen Identitäten hat. Da ist die Auseinandersetzung auch völlig in Ordnung. Dann versteht man sich auch trotzdem. Aber den sogenannten Identitären, denen geht es um null Toleranz, denen geht es nur um ihre eigene Identität. Die Identität anderer Leute geht denen am Arsch vorbei. Das ist ein großer Unterschied.

Sind Sie mal Opfer der um sich greifenden Cancel Culture geworden?
Nein, ist mir nicht passiert. Auf der anderen Seite ist es gut, wenn Konflikte und Widersprüche diskutiert werden. Man kann auch nicht alles über einen Kamm scheren. Wenn beispielsweise Denkmäler gestürzt werden von irgendwelchen Rassisten, wenn Fragen gestellt werden, wie: Warum steht dieser Sklavenhalter immer noch in unserer Stadt herum? Das ist sicher legitim. Aber auch da fange ich schnell an zu denken, wo ist da die Grenze? Müssen jetzt alle Bismarck-Denkmäler aus Deutschland verschwinden? Mit Sicherheit nicht! Weil das gehört zu unserer Kultur. Aber es war schon ganz gut, dass man in Köln den Ebert-Platz wieder Ebert-Platz genannt hat und nicht weiter Adolf-Hitler-Platz. Es gibt sicher viele Denkmäler, da kommt mir die Galle hoch, in dem Fall ist Cancel Culture sicher angebracht. Andererseits können Denkmäler auch wie ein Mahnmal wirken. Dann sollten sie auch stehen bleiben.
Sie haben sich in der Coronazeit ein bisschen neu sortiert. Für manche waren die vergangenen Monate existenzgefährdend. Welche Ängste und Sorgen hatten Sie?
Existenzielle Problem gab es für uns nicht, wir haben genug auf der hohen Kante. Mir war schon klar, dass das wirtschaftlich gehen würde. Es war nicht schön anzusehen, wie die Leute, die für uns arbeiten, die Crew, die PA-Verleiher, die Hallenbetreiber, Riesenprobleme bekamen und teilweise pleite gegangen sind.
Wer war besonders betroffen?
Du musst dir nur vorstellen, Leute die Tourbusse verleihen, die Dinger kosten ja fast eine Million Euro: Jetzt stehen die sich alle die Reifen platt und amortisieren sich nicht, da können schön Existenzen drüber platt gehen. Lichtverleiher, Crewmitglieder, die Techniker, die teilweise wieder in ihre alten Berufe zurückgegangen sind. Einer in unserer Crew war in jungen Jahren Zahntechniker, der ist auf einmal wieder Zahntechniker und der wird das wahrscheinlich auch bleiben. Wenn es also wieder losgeht, musst du dir als Musiker Gedanken machen, wie kriegst du deine Crew zusammen! Aber eine gute Crew. Leute, die das nebenbei machen, die wissen, wie man einen Stecker in die Dose steckt, das reicht nicht. Es müssen Profis her und von denen sind einige auf der Strecke geblieben. Also, wir haben rundgefragt und wir kriegen unsere Crew zusammen, wenn wir wieder auf Tour gehen.
„Selbst die Lesungen fangen an, auf die drei Stunden zuzugehen!“
Haben Sie schon Termine?
Die stehen jetzt auf unserer Homepage BAP.de. Vor dem 30. März, also vor meinem 71. Geburtstag, machen wir ein paar Warm-up-Gigs, und wir freuen uns alle total drauf. Ich bin schon an der Setlist dran. Es gibt Überlegungen, inwieweit man dieses ganze Geburtstagstheater noch zum Thema macht, aber eigentlich: Der runde Geburtstag war ja dann im vorigen Jahr, also lass uns lieber einen normalen Gig spielen. Da bin ich noch nicht ganz mit mir einig. Ich komme mir jetzt hier auf Kreta echt komisch vor, wenn ich mir vorstelle, ich lasse mir im März von den Kollegen ein Geburtstagsständchen singen.
Schaffen Sie heute noch Dreistunden-Konzerte?
Selbst die Lesungen fangen an, auf die drei Stunden zuzugehen! Und die Konzerte, die wir spielen: Keines der letzten Tour war kürzer als 3.20 Stunden.
Neue Konzert-Termine trotz Corona. Trotzdem: Sie sind Schlaganfallpatient und gehören damit zur Risikogruppe. Die letzten Monate müssen doch der Horror für Sie gewesen sein. Sind Sie geimpft?
Klar, demnächst bekomme ich schon meine dritte Impfung. Ich bin ja schon vom Alter her gefährdet. Aber mein Arzt sagte, nicht wegen des Schlaganfalls direkt. Aber je nachdem, welche Virusvariante mich erwischt, kann es Folgen für bestimmte Organe haben, das ist die Gefahr. Ich bin 70! So gesehen, hat man das schon gut gemacht, zuerst die Alten zu impfen, dann die Risikogruppen.
Können Sie die Grabenkämpfe ums Impfen verstehen?
Die Querdenker habe ich mal als Scheinriesen bezeichnet, die tun ja nur so, als würden sie für alle sprechen, die noch nicht geimpft sind. Ist Quatsch! Die sprechen nicht für die ganzen Schlafmützen und Drückeberger, die denken: Ach lass doch ruhig die anderen sich impfen, dann wird das schon vorbeigehen. Die sprechen nicht für die.
Für wen dann?
Die sprechen für ein paar Esoteriker, die sprechen für Leute, die Angst haben, dass der Impfstoff nicht ausreichend genug erforscht sei. Ich kann ja auch durchaus nachvollziehen, wenn Leute ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, weil sie denken, es ist noch nicht genug getestet worden, mit solchen Leuten kann ich mich auch unterhalten. Aber viele von den Querdenkern sind ja völlig vernagelt. Mit denen kannst du nicht diskutieren.
Warum?
Weil deren Diskussionstechnik darin besteht, etwas zu behaupten, was nicht Fakten entspricht, was man in dem Moment aber nie nachweisen kann. Die wollen einfach nur Sand ins Getriebe streuen. Und es sind übrigens auch eine Menge Rechte dabei, die einfach nur destabilisieren wollen. Das kennt man auch aus Amerika. Gerade die Republikaner wollen oft destabilisieren.
Das Amerika-Buch haben Sie Ihrer Familie gewidmet. Weil sie Ihnen in der schweren Zeit zur Seite stand?
Nein, weil ich gerade, was meine Kinder und meine Enkel betrifft, einen besonderen Bezug zu Corona habe. Meine Enkel sind ja beide geboren worden als es mit Corona losging, die kamen im Abstand von neun Tagen auf die Welt. Erst kam der Quinn, dann als nächstes der Noah, und meine Tochter Isis ist extra aus Berlin nach Köln gekommen, um das Kind dann auch im Klösterchen, wie sich das gehört, zur Welt zu bringen (Krankenhaus der Augustinerinnen in Köln, die Red.). Also ich kann nicht sagen, dass ich unter Corona besonders gelitten hätte. Auf einmal hat sich eine ganz neue Tür geöffnet ... Mensch, ich bin Opa (lacht)! Und dann geht das natürlich los. Ich bin dafür verantwortlich. Also komm, Wolfgang, lass dich nicht hängen, gib Gas! Mach, dass du so viel dafür tun kannst, wie es nur irgend geht.
Wahnsinn, dabei hatten Sie ja schon eine große Familie: Ihre Band. Ganz ehrlich: Wenn man 30 ist, erfolgreicher Rockmusiker. Hat man da eine Ahnung, was mit 70 auf einen zukommt?
Überhaupt nicht. Gut, ich habe auch nie an diesen blöden Spruch geglaubt, trau keinem über 30. Auch das war mir schon damals egal. Ich habe natürlich nicht im Traum für möglich gehalten, dass ich mit 70 immer noch in einer Rock ‚n‘ Roll-Band spiele und damit meine Familie ernähre. Damals dachte ich, das würde so zwei, drei Jahre gehen und dann gehe ich zurück ins Atelier und male wieder. Aber letztendlich sind diese vier Jahrzehnte plus dann doch wie im Flug vergangen. In meinem Kopf fühle ich mich ja nicht wie ein 70-Jähriger. In meinem Kopf fühle ich mich wie irgendwas um die 50.
„Wenn wir genug zusammen haben, gehen wir wieder ins Studio“
Denken Sie oft über das Alter nach?
Normalerweise nicht. Das kommt in bestimmten Momenten, zum Beispiel, als jetzt im August Charlie Watts starb. Ich muss sagen, das war ziemlich einschneidend, weil mir da so bewusst wurde: Mist, es geht eine Epoche zu Ende. Eine Epoche, für die ich natürlich sehr dankbar bin, weil ich 60 Jahre lang diese Wahnsinnsepoche in vollen Zügen miterleben dürfte. Das ist schon ein Privileg. Und was habe ich alles erlebt … Junge!
Es ist ja noch nicht vorbei. Was kommt als nächstes?
Ich bin immer dafür, dass ich einen Schritt nach dem anderen mache. Ich freue mich, dass ich jetzt diese 16 Lesekonzerte mache, dann freue ich mich darauf, die nächste BAP-Tour vorzubereiten, und ich denke, dass im Laufe dieser Zeit auch wieder erste Songs entstehen, und dann gucken wir mal. Wenn wir genug zusammen haben, gehen wir wieder ins Studio und machen das nächste Album.
Hört Ihre Familie Ihre Songs?
Die hören sie, wenn sie neu sind, und es ist mir auch sehr wichtig, ihre Meinung zu kennen. Da darf man dann auch gerne diskutieren, von wegen „Vatter, was haste denn da gemacht? Das bist du doch gar nicht.“ So was musste ich mir von meinem Sohn Robin echt schon anhören (lacht). Das war so ein Ding, wo ich dachte: Okay, das willst du dir nicht noch mal sagen lassen. Der Satz ist jetzt wie in Stein gemeißelt in meiner Rübe.
Das Interview führte Karim Mahmoud
„Wolfgang Niedecken liest und singt Bob Dylan“ am Sonnabend, den 27. November, im Columbia Theater. Beginn: 20 Uhr. Und am Sonntag, 28. November, in der Passionskirche. Beginn: 18 Uhr. Tickets und Infos gibt es unter www.bap.de